Möbel Widmer – vom Spezereiladen zum Innenausstattungshaus

Briefgeschichten Von der ursprünglichen Reihe der zweistöckigen Vorstadthäuser an der Alten Aarauerstrasse hat einzig die Nummer 31 noch überlebt. Doch demnächst wird nun auch dieses Gebäude abgerissen. Dabei war es das Stammhaus der einst bedeutenden Inneneinrichtungs-Firma Karl Widmer.

Marie und Karl Widmer-Weisskopf mit ihren Kindern Karl und Julie sowie einem Angestellten vor ihrem Lädeli (um 1910).

Marie und Karl Widmer-Weisskopf mit ihren Kindern Karl und Julie sowie einem Angestellten vor ihrem Lädeli (um 1910).

Karl Widmer senior, flankiert von Sohn Karl (links) und einem Gesellen.

Karl Widmer senior, flankiert von Sohn Karl (links) und einem Gesellen.

Das 1933 von Möbel Widmer erbaute Geschäftshaus an der Unterführungsstrasse 29.

Das 1933 von Möbel Widmer erbaute Geschäftshaus an der Unterführungsstrasse 29.

Die alte Aarauerstrasse mit dem Spezereiladen Karl Widmer, erkennbar am Schaufenster. (Bilder: ZVG)

Die alte Aarauerstrasse mit dem Spezereiladen Karl Widmer, erkennbar am Schaufenster. (Bilder: ZVG)

Brief von 1910 an Tapezierermeister Carl Widmer. Der Absender Jacob Roth, der ein Araberpferd im Firmenlogo führte, lieferte Rosshaar für Matratzen.

Brief von 1910 an Tapezierermeister Carl Widmer. Der Absender Jacob Roth, der ein Araberpferd im Firmenlogo führte, lieferte Rosshaar für Matratzen.

Blick auf die moderne Inneneinrichtung im Schaufenster von Möbel Widmer.

Blick auf die moderne Inneneinrichtung im Schaufenster von Möbel Widmer.

Zwei Tapezierer an der Arbeit in der Werkstatt von Karl Widmer.

Zwei Tapezierer an der Arbeit in der Werkstatt von Karl Widmer.

Der Firmengründer Karl Widmer war ein Handwerker von altem Schrot und Korn. Als Oltner Sattlermeister legte er das Fundament für ein Möbelgeschäft, das 1933 von der Aarauerstrasse 31 aus an die Unterführungstrasse 29 expandierte. Bruchstücke der Werbeschrift «Karl Widmer Vorhänge Teppiche Möbel» an der Fassade kamen beim Abbruch des Nebenhauses Nr. 27 für kurze Zeit wieder zum Vorschein.

Als sein Vater, der Negoziant Samuel Widmer, starb, war Karl erst acht Jahre alt. So führte die Mutter Viktoria Widmer-Seitz die Spezereihandlung an der Aarauerstrasse 31 weiter. Im kleinen Laden hatte sie Wolle, Baumwolle, Strickgarn und Stoffe am Meter sowie einfache Textilien im Angebot. Mit einem Inserat bot sie «Käse, Butter und prima geräucherte Fleischwaren» zum Verkauf an. Und mit der Anschrift über dem Schaufenster ihres Ladens warb sie für ihre «Spezereien / Mercerie» sowie «Cigarren / Tabak».

Wanderschaft im Welschland

Hier wuchs Karl Widmer zusammen mit seinem Zwillingsbruder Samuel und drei weiteren Geschwistern auf. Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte er eine Sattlerlehre in Liestal. Als Geselle ging er anschliessend auf Wanderschaft und arbeitete an diversen Orten im Welschland, so in Morges und Pruntrut, und schliesslich in Sissach beim Sattler Johann Weisskopf. 1897 heiratete er Marie Weisskopf, die Tochter seines Meisters, und zog mit ihr um nach Olten ins mütterliche Haus an der Aarauerstrasse 31. Die junge Frau Maria Widmer übernahm von ihrer Schwiegermutter Viktoria das Lädeli und führte es weiter. Karl Widmer, inzwischen Sattler- und Tapezierermeister, nutzte den Mercerieladen als Basis für sein Gewerbe, und auf dem Hinterhof baute er eine Werkstatt an. In einem Inserat warb er 1907 für seine «Anfertigung von Betten und Polstermöbeln. – Reparaturen. – Reiseartikel, Schultornister. – Komplete Pferdegeschirre, solid und billig.»

In den goldenen Zwanzigerjahren blühte das Geschäft. 1924 liess Karl Widmer seine Firma ins Handelsregister eintragen. Sie war inzwischen zu einer Möbelhandlung samt Fabrikation von Polstermöbeln und Betten mit Rosshaarmatratzen angewachsen. Gleichzeitig erteilte er seinem fünfundzwanzigjährigen Sohn Karl Widmer junior, ein gelernter Kaufmann, die Prokura. Sieben Jahre später – er war inzwischen sechzig Jahre alt – verkaufte Vater Karl Widmer das Geschäft seinem Sohn Karl.

Nachdem in den Jahren 1923 bis 1925 die SBB parallel zur Aarauerstrasse eine Strassenunterführung unter den Bahngleisen durch erbaut hatte, entstand mit dieser Unterführungsstrasse eine neue Verkehrsachse. Deshalb errichtete Karl Widmer 1933 auf seinem an diese Verkehrsache angrenzenden Grundstück ein stattliches sechsstöckiges Haus. Im Parterre und in der ersten Etage der neuen Unterführungsstrasse 29 richtete er die Ausstellungsräume für sein Möbel- und Dekorationsgeschäft ein. An die Seitenfassade liess er die Werbeschrift «Karl Widmer Vorhänge Teppiche Möbel» anbringen. Später mietete er Räume im inzwischen erbauten Nachbarhaus Nr. 27 hinzu, um mehr Ausstellungs- und Verkaufsfläche für seine Inneneinrichtungen zu erhalten.

Die Enkelin des Firmengründers, Margrit Widmer, führte nur noch das Haus an der Aarauerstrasse 31 bis 1990 in kleinerem Rahmen weiter. Das Geschäft an der Unterführungsstrasse 29 wurde im April 1964 durch den Berner Kaufmann Erich Julius Spitt-Oetterli übernommen, der in seinem «Spitt Teppichhaus» mit Orient- und Maschinenteppichen, aber auch mit Vorhängen und allen Arten Bodenbelägen handelte. Nach wenigen Jahren zügelte Spitt mitsamt seinem riesigen Teppich-Paternoster an den Bifangplatz und erweiterte sein Angebot um Bettwaren.

Die umgebauten Räume des vormaligen Teppichhauses Spitt bezog im Februar 1974 die Migros mit ihrem Do-it-your-self-Center. Nach mehreren Wechseln ist heute an der Unterführungstrasse 29 das Studio Troy Fotografie von Daniela und Tony Troia domiziliert.

 

Quellen: Stadtarchiv Olten; der Autor dankt Margrit Widmer, Orselina, für die freundlichen Auskünfte und die Bilder.

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