Mit Weitblick im Dickicht

Im Gespräch Als Wildtierfotograf bereist der Oltner Raphael Studer die Welt und fotografiert Tiere, vor allem unter Wasser. Wieder zuhause wird er zum engagierten Artenschützer.

Er habe schon so viele grossartige Begegnungen erleben dürfen, sagt Raphael Studer. Zum Beispiel Auge in Auge mit einem Krokodil. (Bild: Raphael Studer)

Er habe schon so viele grossartige Begegnungen erleben dürfen, sagt Raphael Studer. Zum Beispiel Auge in Auge mit einem Krokodil. (Bild: Raphael Studer)

2013 erfüllte sich Raphael Studer einen Traum und fotografierte zum ersten Mal Haie. Die Tiere bedeuten ihm seither besonders viel. (Bild: Raphael Studer)

2013 erfüllte sich Raphael Studer einen Traum und fotografierte zum ersten Mal Haie. Die Tiere bedeuten ihm seither besonders viel. (Bild: Raphael Studer)

Raphael Studer. (Bild: FB)

Raphael Studer. (Bild: FB)

Raphael Studer hält inne, dreht den Kopf zur Seite und blickt in das Dickicht des Oltner Hardwalds. «Dort hinten hat sich etwas bewegt», sagt er. «Ein Vogel, schau.» Aus der Richtung von Studers Blick ist zuerst ein Rascheln, dann ein langgezogenes Kreischen zu hören. «Ach, ein Mäusebussard, der ist neu hier», erklärt Studer dann. Bussarde seien ja in der Regel nicht im dichten Wald unterwegs, «aber sie werden von den Milanen vermehrt tiefer in die Wälder gedrängt». In der Schweiz gebe es sehr viele Rotmilane, eine ehemals bedrohte Art, die glücklicherweise wieder zurück sei.

Raphael Studer ist Wildtierfotograf. Sein Blick in die Tiefe des Waldes ist geübt. «Der Mensch verlernt das Schauen», sagt Studer, während er weiter den Weg hochgeht; in behutsamem Tempo: «Je langsamer du gehst, desto mehr fällt dir auf.»

Wer so mit Studer durch den Wald geht, wird Mühe haben, sich den 39-Jährigen in seinem anderen Beruf vorzustellen: Studer arbeitet als Informatiker bei der Swisscom, «seit 19 Jahren schon», erzählt er. Dort verdient er seinen Lebensunterhalt.

«Je mehr du weisst, desto mehr siehst du», ist sich Studer sicher. Deshalb absolvierte er vor ein paar Jahren einen CAS-Studiengang an der ZHAW: «Säugetiere – Artenkenntnis, Ökologie und Management». Dort lernte er zum Beispiel, anhand vom Gebiss das Alter eines Tiers zu bestimmen. Unter Förstern, Jägern und Tierärzten waren Studer und seine damalige Partnerin jeweils die einzigen Fotografen in den Kursen.

Das Wissen zahlt sich aus: «Es hat viele Tiere hier», sagt er über den Hardwald, in den er seit seiner Kindheit in Starrkirch immer wieder zurückkehrt. Füchse, Rehe, Waldkauze, die hat er hier alle schon fotografiert, sogar mit Nachwuchs. Dazu bricht Studer auf, sobald die Informatikarbeit für den Tag erledigt ist, «in den Säliwald, den Hardwald, auf den Engelberg», an seiner Seite seine Wolfshündin Eywa. «Sie braucht sowieso viel Auslauf.» Auf solchen Ausflügen trägt Studer Tarnkleidung. Auch das lange Objektiv seiner Kamera ist mit einem Tarnmuster bemalt. «Ein richtiger Wildtierfotograf stört die Tiere nicht», findet er.

«Ein Reh zum Beispiel», setzt Studer an. «Sobald es merkt, dass du es gesehen hast, ist es normalerweise weg. In dem Moment ist entscheidend, wie du reagierst. Du musst die Kamera vorsichtig hochheben und sie ganz langsam zum Reh hindrehen, dann klappt’s», erklärt Studer und stellt sogleich klar: «Das Wichtigste ist aber immer die Begegnung mit dem Tier, nicht das Foto.» Er sei schliesslich kein Trophäenjäger.

Schnorcheln mit Orcas

Auch wenn Studer im Wald heimisch ist: «Eigentlich bin ich spezialisiert auf Unterwasserfotografie.» Unzählige Expeditionen hat er dazu schon unternommen: Er schnorchelte mit Orcas vor dem norwegischen Tromsö, starrte im mexikanischen Yucatan einem Krokodil direkt in die Augen, beobachtete Delphine und Schildkröten im Roten Meer, fotografierte Rochen und Korallenriffe auf den Malediven.

Eben diese Woche brach Studer nach Französisch-Polynesien auf, um Buckelwale abzulichten. Etwa einen Monat wird die Reise dauern. Studer unternimmt jedes Jahr drei bis vier solcher Expeditionen, die meisten im Auftrag der Stiftung «Prowin pro nature», die sich für Umwelt- und Artenschutz engagiert. Die anderen bezahlt Studer selbst. «Ich mache das nicht wegen dem Geld.»

Den Kontakt zu «Prowin pro nature» schloss er vor neun Jahren. «Ich wollte unbedingt mal grosse Weisse Haie sehen», erzählt Studer. Also buchte er eine Tauchexpedition mit der «Sharkschool» von Erich Ritter, dem vor zwei Jahren verstorbenen Schweizer Haiforscher. Die Expedition führte zur mexikanischen Isla Guadalupe. Dort studierte Studer Weisse Haie und lernte dabei die Gründer von «Prowin pro nature» kennen. Für die Stiftung fotografiert Studer seither regelmässig. «Heute sind wir wie eine Familie», erzählt er.

Die Weissen Haie bei Isla Guadalupe

Auf Isla Guadalupe erfüllte sich Studers Traum, Weisse Haie zu sehen. Seither liegt ihm das Tier besonders am Herzen. «Sie werden komplett falsch dargestellt», beginnt er. Keinesfalls seien das blutrünstige Monster, wie sie in Filmen wie «Der weisse Hai» erscheinen. «Haie sind extrem easy, da habe ich gar keine Angst.» Inzwischen sei er schon gleichzeitig mit über siebzig Haien im Wasser gewesen, ohne Schutzkäfig, dafür mit blutendem Frischfutter. «Man muss nur ruhig und respektvoll sein.» Umso mehr prangert Studer an: «Über hundert Millionen Tiere werden jedes Jahr geschlachtet, wegen ihrer Flosse», sagt er in eindringlichem Ton und hängt kopfschüttelnd an: «Wegen einem geschmacksneutralen Knorpelgewebe.»

Studers Mission ist der Tierschutz. Mit seinen Fotos versucht er den Tieren eine Stimme zu geben. «Selber können die Tiere ja nicht sprechen», erklärt er und erzählt: «Es gab eine Zeit, da wäre ich fast radikal geworden.» 2009 spielte er mit dem Gedanken, ein «Sea Shepherd» zu werden. Die Gruppe macht es sich zur Aufgabe, «unsere Ozeane zu verteidigen, zu schützen und zu erhalten», wie sie auf ihrer Webseite schreibt. Dazu fährt sie mit eigenen Schiffen auf hohe See, um Fischerboote zu stellen und die angerichteten Schäden zu dokumentieren.

«Wenigstens reden die nicht nur», fand Studer damals und bewunderte die Gruppe. Doch dann entschied er sich anders. «Den Radikalen hört niemand zu», analysierte er und beschloss: «Ich zeige den Menschen die Schönheit der Natur, die auf dem Spiel steht.» Das sei seine Art, nicht an der Umweltverschmutzung zu verzweifeln.

«Wir schützen, was wir lieben»

«Wir schützen, was wir lieben, und wir lieben, was wir kennen», sagt Studer. Also zeigt er seine Bilder in Vorträgen. Darin erklärt er auch die Biologie der Tiere, erzählt Anekdoten von den Expeditionen, berichtet von den Problemen, die wegen uns Menschen in der Tierwelt entstehen, klärt auf. «Ich will etwas geben.»

Dazu gestaltet Studer auch jedes Jahr einen Kalender, immer pünktlich zu Weihnachten. Am Anfang war der nur als Weihnachtsgeschenk für seine Verwandten gedacht. Schliesslich hatte er Anfang Zwanzig dreizehn Monate in Südamerika verbracht und dort viele Fotos geschossen. Auch in Australien war er drei Monate unterwegs. «Ich wollte einfach meine Reisen festhalten.» Anstatt tausendfach Selfies und Touristenattraktionen abzulichten, waren bei ihm oftmals Tiere die Sujets der Wahl. «Ich habe Tiere von Kindesbeinen an geliebt», meint er achselzuckend.

Später begann Studer, die Kalender auch zu verkaufen, mit fünf Franken Gewinn pro Stück. Noch vor ein paar Jahren druckte er jeden Dezember gegen die siebzig Kalender und brachte jeden persönlich bei den Käufern vorbei. «Oft haben die Leute Fragen zu den Bildern», begründet Studer. Er nahm sich die Zeit, um die zu beantworten. Seit er jährlich mehr als hundert Bestellungen hat, reicht die Zeit jedoch nicht mehr.

«Es ist fast frech, wenn ich noch von etwas träume», meint Studer. Er habe schon so viel Grossartiges erlebt. Jede Begegnung mit einem Tier sei einzigartig und immer sehr emotional. «Mehr Leute zu erreichen, das wäre toll», sagt er dann. Und es gibt Tiere, denen Studer noch nicht begegnet ist, sie noch nicht fotografiert hat: Anacondas, «unter Wasser natürlich», Blauflossenthunfische, «sehr selten, sehr bedroht», Schneeleoparde, Tiger, aber vor allem: «Arktische Wölfe.» In die Arktis zu reisen, sei aber sehr teuer, und das Terrain dort sehr schwierig. «Und einen Luchs», hängt er nach einer Pause an. «Einen europäischen Luchs habe ich auch noch nie fotografiert.»

 

...und ausserdem

Diese Person möchte ich gerne mal treffen

Den Wildtierfotografen Paul Nicklen. Er engagiert sich auch sehr für den Artenschutz. Mit ihm würde ich mich gerne austauschen.

So entspanne ich mich am besten

Auf den Spaziergängen durch den Wald mit meiner Wolfshündin Eywa.

Dieses Verhalten ärgert mich

Respektlosigkeit gegenüber Tieren. Die ist leider sehr gross und beginnt oft schon beim eigenen Haustier. Mich nervt, dass sich der Mensch über die Tiere stellt.

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