Mehr als Tassen und Teller

Gabrièle Gisi trägt den Spitznamen «Gable», wurde als Kind «Schredder» genannt, hat viele Oltner «gelöchert» und entwirft als Keramikdesignerin unkonventionelle Konstruktionen.

Manchmal wird ein Fehler zum Konzept. Inspirationen für ihre Kreationen kommen der Künstlerin Gabrièle Gisi beim Anfangen und Ausprobieren, Entwickeln und Zerschlagen. (Bild: S. Furter)
Manchmal wird ein Fehler zum Konzept. Inspirationen für ihre Kreationen kommen der Künstlerin Gabrièle Gisi beim Anfangen und Ausprobieren, Entwickeln und Zerschlagen. (Bild: S. Furter)

Ein schwarzer Strich vom Ellbogen bis zum Handgelenk ziert den Arm der Keramikdesignerin Gabrièle Gisi. «Ich wollte ein Tattoo, das der Körperlinie folgt», erklärt die Künstlerin das Motiv, welches sich jeder ihrer Bewegungen anpasst. Unkonventionell, kreativ und spontan sei nicht nur ihre Hautbemalung, sondern auch ihr Charakter, so die 43-Jährige. «Ich bin neugierig aufs Leben und habe das Kind in mir bewahrt.» Ihr Atelier hat sie nach ihrem Spitznamen «Gable» benannt. An der Wand hängt ein altes Telefon mit Wählscheibe, vor dem Fenster fliesst das Wasser der Aare durch, eine restaurierte Drehbank steht in der Ecke. Genauso wie die Standbohrmaschine und die alte Schleifmaschine ist sie nicht mehr in Betrieb. Ein schiefer Turm aus weisser Keramik schmückt die Arbeitsgeräte und Gisi findet: «Ein Porträt ohne Porzellan über mich zu schreiben wäre langweilig.»

Der böse Marienkäfer

Als Dreikäsehoch habe sie aus einer Kartonschachtel mit Filzstiften und Papier einen «bösen» Marienkäfer mit spitzen Zähnen gebastelt, erzählt die Künstlerin über ihre Kindheit. «Ich bin darin herumgekrabbelt und habe die Kunden im Stahlwarengeschäft meiner Eltern erschreckt. Ich fühlte mich stark und furchteinflössend.» Als sie das Relikt aus ihrer Kindheit vor kurzem auf dem Estrich wiederentdeckte, habe sie schallend lachen müssen. «Der Käfer sah gar nicht gefährlich aus. Doch die Erwachsenen hatten mein Spiel immer mitgespielt», erinnert sich Gisi, die als kleines Kind von ihren Eltern «Schredder» genannt wurde, weil alles kaputtging, was das Mädchen in die Hände bekam. «Dass ich heute ausgerechnet mit Porzellan arbeite, ist amüsant.»

Olten klebt

Seit mehreren Generationen lebt die Familie von Gisi in Olten, ihr Urgrossvater war damals in die Dreitannenstadt gezogen. Doch der Urenkelin gefiel der Ort nicht. «Lange Zeit wollte ich weg, in einer grösseren Stadt leben», erzählt die Keramik- designerin und schmunzelt: «Dann habe ich die Erfahrung gemacht, dass Olten klebt. Ich wollte gehen und bin doch geblieben.» Heute fühlt sich Gisi im Ort zu Hause und lebt gerne hier. Die Dreitannenstadt wird ihrer Meinung nach kulturell oft verkannt, dabei biete Olten viele tolle Angebote wie Konzerte, Theater, Poetry Slam oder gute Beizen. Vor zwei Jahren hat Gisi das Kajakfahren für sich entdeckt und beantwortet die Frage nach ihrem Lieblingsort mit folgendem Satz: «Anzutreffen bin ich nicht an der Aare, sondern auf der Aare.»

Teenies, Omas und coole Typen

Ein schwarzes Band hält die braunen Haare von Gisi zusammen, ihr linkes Ohr ziert ein weisser Stab aus Keramik. In ihrer Freizeit zeichnet die Künstlerin gerne, geht velofahren, liest, besucht Museen oder repariert Gegenstände. Nach einer Lehre zur Damenschneiderin arbeitete sie als Verkäuferin in einem Geschäft für südamerikanisches Kunsthandwerk, wo sie auch Ohrlöcher stach. Alle möglichen Leute hätten zu ihren Kunden gezählt, Kinder, Teenies, Omas bis zu den «coolen» Typen, die mehr als sechs Ohrlöcher auf einmal haben wollten, erzählt Gisi und schmunzelt: «Ich habe halb Olten zerlöchert.» Ihrem damaligen Arbeitgeber verdankt sie es, dass sie später Weiterbildung und Job unter einen Hut brachte. 1999 begann sie den gestalterischen Vorkurs und entdeckte in einer Fachklasse für dreidimensionale Gestaltung ihre Leidenschaft für Keramik. «Für Geschirr habe ich mich nie interessiert. Aber Porzellan ist so viel mehr als Tassen und Teller, Schalen und Schüsseln.» Neben ihrer Tätigkeit als freischaffende Künstlerin ist Gisi als Ausstellungstechnikerin an der Schule für Gestaltung in Bern tätig. Konzept, Raumgestaltung, Herstellung des Ausstellungsmobiliars und die Koordination gehören zu ihren Aufgaben.

Ringe und Ketten aus Porzellan

Anfangen und Ausprobieren, Entwickeln und Zerschlagen. «Ideen für meine Konstruktionen kommen mir beim Tun», erklärt die Künstlerin ihre Arbeitsweise. Oftmals fange sie einfach an und schaue, wie sich eine Konstruktion entwickle. «Wenn mir etwas nicht gefällt, schlage ich den Entwurf wieder zusammen. Der Hammer ist ein wichtiges Werkzeug in meinem Beruf.» Von der Atelier-Decke hängen eine Kette aus Porzellan-Ringen und eine Kette aus Porzellan-Zähnen. «Meine Körper aus Keramik machen keine Trennung zwischen innen und aussen. Es sind offene Formen und Konstruktionen, durch die der Betrachter hindurchsieht.» Voller Löcher sind auch die Schalen, die an der Wand hängen. Geplant sei dies nicht gewesen, doch in der Masse hatten sich Luftbläschen gebildet. Diesen Fehler nutzte sie und modellierte die kleinen Bläschen zu organisch geformten Löchern, durch welche die Luft zirkulieren kann. «Früchteschalen hatte ich nicht geplant, aber nun gefallen sie mir besser als die Form, die ich ursprünglich im Kopf hatte. Manchmal wird ein Fehler zum Konzept», freut sich Gisi und fasst ihr Dasein als Künstlerin in einem Satz zusammen: «Ich habe mich gegen das grosse Geld und für das Leben entschieden.»

Weitere Artikel zu «Im Fokus», die sie interessieren könnten

Im Fokus28.02.2024

Wirz-Burri – Kolonialwaren und Delikatessen am Bifangplatz

Briefgeschichten Am Bifangplatz befand sich vor rund hundert Jahren an prominenter Lage der Laden zum «Bifanghof» von Paul Wirz-Burri. Die…
Im Fokus28.02.2024

«Unsere Lieder sind Medizin für unsere Herzen»

Olten Der Gedenkanlass «Zwei Jahre Krieg in der Ukraine» in der Stadtkirche wurde von weit über 200 Personen besucht.
Im Fokus28.02.2024

Gefrässig und vermehrungsfreudig

Asiatische Hornisse Die Verbreitung der Asiatischen Hornisse bedroht einheimische Bienenvölker. Die Bevölkerung ist dazu aufgerufen, Sichtungen zu…