«Man kann nicht alles beherrschen»
Mein Hobby Der 66-jährige Dulliker Matthias Weidmann pflegt ein seltenes Hobby: Der Laborant im Ruhestand widmet sich der Töpferei und dabei insbesondere der Raku-Technik. Auslöser war ein Geschenk seiner Frau.
«Wenn man Raku brennen will, muss man sich bis zu einem ganzen Tag Zeit nehmen. Das Ganze dauert einfach eine Weile. Und für mich muss auch das Umfeld stimmen. Zuletzt fand ich die Zeit dafür schlicht nicht mehr. Bis im letzten Juli war ich während zehn Jahren Dulliker Bürgergemeindepräsident. Dieses Amt ist mindestens ein 20-Prozent-Job. Und da ich bis vor anderthalb Jahren zu hundert Prozent als Laborant gearbeitet habe, lag das Raku-Brennen zeitlich nicht mehr wirklich drin.
Wobei ich schon ein bisschen was gemacht habe, aber halt nicht in dem Mass, wie ich das eigentlich gerne würde. Es war jeweils mehr ein Müssen. Etwa dann, wenn ich zum Beispiel zwei Monate vor einer Ausstellung etwas produzieren musste, um über etwas Neues zu verfügen. Es entstanden dabei nicht jene neuen Kreationen, die ich eigentlich machen möchte.
Ich spüre, dass jetzt ein gewisser Drang vorhanden ist, mich wieder intensiver dem Hobby widmen zu können. Jetzt, da ich pensioniert bin, möchte ich wieder mehr entwickeln, Glasuren anpassen oder verändern, Dinge ausprobieren. Die Raku-Technik bleibt nicht stehen, sie lebt – und muss leben! Brenne ich Raku, komme ich in eine andere Welt. Vermutlich handelt es sich dabei um ein ähnliches Glücksgefühl wie für einen Bergsteiger, wenn er den Gipfel erklimmt. Hat man einen Tag lang Raku gebrannt, ist man abends müde, geschafft, stinkt nach Rauch – aber man hat ein Ergebnis und ist wirklich zufrieden.
Viele Jahre lang habe ich mich auch an den Ferienpässen von Dulliken und Olten beteiligt und jeweils einen halben Tag Raku-Brennen angeboten. Diese Kurse waren anstrengend – aber es war jedes Mal eine Freude, wenn die Kinder mit ihren Produkten zufrieden und stolz wieder nach Hause gingen. Das war mein Lohn.
Um meine Produkte in grösserem Stil verkaufen zu können, müsste ich an Weihnachtsmärkten teilnehmen. Das mache ich momentan aber nicht. Es kommt aber immer wieder vor, dass mich Leute anfragen oder mal spontan bei mir vorbeikommen. So kann ich hin und wieder etwas verkaufen. Schön finde ich, wenn jemand, der selbst töpfert, zu mir kommt und dann gemeinsam mit mir Raku brennt. Für mich ist der Herstellungsprozess das Spannende und Schöne. Reich werde ich damit nicht, ich gebe mehr aus als ich einnehme. Man müsste sehr viele Produkte verkaufen können oder sehr viele Kurse anbieten, um davon leben zu können.
Märkte werde ich wohl auch künftig keine besuchen. Aber ich möchte wieder an Kunstausstellungen teilnehmen. Möglichst an solchen, wo ich vor Ort Raku brennen könnte. Mein Brennofen ist mobil. In drei Teile zerlegt, bringe ich den problemlos in mein Auto.
Mit der Raku-Technik in Berührung kam ich 2001 – und es hat mich sogleich gepackt. Damals leitete ich ein Umweltlabor und litt unter Stress. Meine Frau zwang mich dann mehr oder weniger, mal an einem Töpferkurs im Tessin teilzunehmen. Ich ging also dorthin, anfänglich mit mässiger Begeisterung. Dort traf ich auf Peter Widmer, ein absoluter Raku-Fan. Diese Begegnung steht am Anfang meiner Leidenschaft. Im gleichen Jahr besuchte ich bei ihm in Winterthur einen Raku-Kurs – und dann packte es mich endgültig.
In den folgenden Jahren nahm ich mit ihm im Tessin, in Winterthur oder sogar in der Toskana sicher an zehn, zwölf Raku-Kursen teil. Über Jahre setzte ich eine Ferienwoche für einen Töpferkurs ein. Ich habe von ihm gelernt, er hat aber auch von mir gelernt. Der Kontakt zu Peter Widmer ist nie abgerissen. Ich glaube schon, dass meine Frau, die ja am Ursprung meiner Leidenschaft steht, Freude hat, dass ich dieses Hobby ausübe. Wir bewegen uns in der Freizeit in verschiedenen Welten. Sie singt. Ich kann das nicht. Deshalb sagen wir jeweils: ‹Sie beschäftigt sech met Tön, ech met Ton.›
Der Begriff ‹Raku› stammt aus der japanischen Sprache und bedeutet übersetzt ‹Freude, Glück, Ungezwungenheit›. Der Ursprung liegt in der Teezeremonie. Der Raku-Meister stellt die schönsten Teetassen her – die dann ein einziges Mal gebraucht werden. Die Japaner sind nicht glücklich über die Verwendung des Begriffs Raku in unserem Kontext, weil er bei ihnen etwas anderes bezeichnet als bei uns im Westen.
Ich stelle jeweils aus dem Ton eine Rohform her, brenne diese bei rund 900, 1000 Grad im Brennofen und glasiere sie später mit einer speziellen Glasur. Anschliessend kommt die Keramik recht schnell wieder in den Holz- oder Gasofen. Nachher nehme ich die rotglühenden Gegenstände hinaus, ehe sie nachreduziert werden. Wie stark die Glasur reisst und so das für die Raku-Technik typische Rissmuster entsteht, hängt von mehreren Faktoren ab: Wie lange lasse ich den Gegenstand im Freien? Blase ich ihn an? Lege ich ihn vielleicht sogar in den Schnee?
Anschliessend lege ich ihn ins Sägemehl. Bei 800, 900 Grad sollte das zu brennen beginnen. Aber ich verwende derart viel Sägemehl, dass es nicht brennen kann. Reagieren tut es aber gleichwohl: Dem Ton und der Glasur wird Sauerstoff entzogen. Und dabei spielt die Sägemehlsorte eine Rolle. Es macht einen Unterschied, ob ich mit Kirschsägemehl oder mit Tannensägemehl reduziere. Nie kann ich zweimal dasselbe herstellen. Die Lufttemperatur, die Luftfeuchtigkeit, die Holzbeschaffenheit – all das hat Einfluss. Nach rund einer Stunde entnehme ich die Keramik dem Sägemehl. Dann ist sie komplett schwarz. Erst nach dem Waschen sieht man, was wirklich passiert ist.
Gewisses muss ich dem Zufall überlassen. Man kann nicht alles beherrschen. Manchmal gelingt einem das Spielen mit den verschiedenen Elementen besser, manchmal schlechter. Es braucht die Bereitschaft, das anzunehmen, was beim Prozess entsteht. Es braucht auch ein wenig Mut, grössere Stücke aus dem Ofen herauszunehmen. Dafür ziehe ich mir feuerfeste Handschuhe an. Doch ich habe mir auch schon Brandwunden zugezogen.
Es gibt nur wenige, die sich mit der Raku-Technik beschäftigen. Aber hat man mal damit begonnen, lässt sie einen kaum mehr los. Doch das Hobby braucht Platz und Zeit – und man riecht streng nach Rauch.»