Kopfreisen im Bahnhof Olten

Jürg Orfei eröffnet heute Abend, Donnerstag, 6. Juni um 18.35 Uhr, die diesjährige Ausstellungs-Trilogie im Kleinsten Kunstraum Olten (KKO) im art i.g.-Schaufenster in der Oltner Bahnhofs-Unterführung.

Der Solothurner Künstler Jürg Orfei wird in den nächsten Wochen ab und an in seinem temporären Atelier in der Bahnhofsunterführung anzutreffen sein. (Bild: mim)
Der Solothurner Künstler Jürg Orfei wird in den nächsten Wochen ab und an in seinem temporären Atelier in der Bahnhofsunterführung anzutreffen sein. (Bild: mim)

Das Interview findet im temporären Atelier statt, das der Solothurner Künstler Jürg Orfei eine Woche vor dem Ausstellungsstart im art i.g.-Schaufenster in der Martin Disteli-Bahnhofs- unterführung eingerichtet hat. Ein Tisch, zwei Stühle und ein Koffer voller Reisebücher finden auf den rund 3 m² Platz. Im Schaufenster zu sitzen fühlt sich überraschend gemütlich an. Der eine oder andere Passant wirft einen etwas irritierten Blick in den Raum und mancher lässt es sich nicht nehmen, für ein kurzes Schwätzchen Halt zu machen. «Normalerweise habe ich das Fenster nur einen Spalt weit geöffnet, was mir ein völlig unbehelligtes und konzentriertes Arbeiten ermöglicht», erklärt Orfei lächelnd, der seit 2006 an der Kantonsschule Olten Bildnerisches Gestalten und Architektur unterrichtet.

Atelier im Schaufenster

Bereits das sechste Jahr stellt der Verein art i.g., der mit seinem Engagement bestrebt ist, Kunst und Kultur der Region Olten aktiv zu fördern, sein Schaufenster in der Bahnhofsunterführung beim Aareausgang einer Künstlerin und zwei Künstlern zur Verfügung. Die Idee, sein Atelier an einem fremden Ort einzurichten, ist nicht neu. Orfei stellte bereits im Jahr 2017 anlässlich der Jahres- ausstellung im Oltner Kunstmuseum Tisch und Stuhl auf. «Damals verfolgte das Atelier jedoch einen partizipativen Ansatz», so der Zeichnungslehrer. «Als mich nun ehemalige Schülerinnen, die im Verein mitwirken, anfragten, ob ich den Kleinsten Kunstraum Olten für eine Ausstellung nutzen möchte, gefiel mir die Idee, ein Atelier auf Zeit für mich einzurichten. Beim sogenannten «Reisebüro Erker II» handelt sich deshalb weniger um eine Ausstellung, als umso mehr um einen Arbeitsplatz mit einer sich stetig erweiternden Bilderausstellung.»

Stationen prägten das künstlerische Handwerk

Bereits im Kindergarten hat der gebürtige Solothurner gerne gezeichnet. Seine Leidenschaft für das Reisen entstand im (Erker-)Kinderzimmer, wo er mit gesammelten Reiseprospekten aus der Stadt ein eigenes Reisebüro einrichtete. Nach einem Austauschjahr in Australien studierte Orfei Architektur in Lausanne und absolvierte ein Austauschjahr in Pittsburgh im US-Bundesstaates Pennsylvania. «Ich besuchte das College of Fine Arts, an dem neben Architektur auch Kunst, Design, Theater und Musik gelehrt wurde. Diese verschiedenen Einflüsse haben mich neben der zeichnerischen Ausbildung im Studium sicherlich künstlerisch beeinflusst», sinniert Orfei und fügt an: «Ich bin noch heute eher der Zeichner als der Maler.» Nach seinem Studienabschluss arbeitete er in einem Architekturbüro in Bern, was ihn nicht glücklich machte. Deshalb entschied sich der Solothurner für einen markanten Wechsel, indem er während eines Jahres als Flugbegleiter für die Swiss tätig war. Für viele unbegreiflich erlebte der reisefreudige Architekt ein wunderschönes Jahr mit verschiedensten Europaflügen. «Die kurzen Aufenthalte nutze ich, um mit der Kamera und Skizzenbüchern die verschiedenen Städte zu erkunden.» Aufgrund der schlechten finanziellen Lage der Swiss konnte sich Orfei den Wunsch nach Langstreckenflügen nicht mehr erfüllen, weshalb er wieder als Architekt arbeitete und nebenbei im Feusi Bildungs- zentrum Solothurn das Fach Zeichnen unterrichtete. Peter Jeker, sein ehemaliger Zeichnungs- lehrer, riet Orfei schliesslich zu ebendieser Ausbildung an der HGK/FHNW Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel, die er im Jahr 2006 abschloss. «Noch heute, 13 Jahre später, bin ich nicht müde, meinen Schülern die Perspektiven im Zeichnen zu erklären», so Orfei lächelnd, der auch mit seinen beiden kleinen Söhnen begonnen hat zu Zeichnen und von deren sprühender Energie er fasziniert ist.

Ein Bild entsteht durch das zweite

Bereits in seinem frühen künstlerischen Schaffen hat Orfei begonnen seine beiden Leidenschaften zu vereinen: Aus Erinnerungen und seinen Skizzenbüchern zeichnete er mit Träumereien angereicherte Bilder. Später übermalte er diese teilweise und zeigte damit ein Bild im Bild. Auch mit seinem Schaffen im KKO bleibt Orfei seinen Themen treu. «Ich habe mich jedoch für diese Arbeit nicht für Papier, sondern für MDF-Platten im Tafelbild-Format A5 entschieden. Diese habe ich vorgängig geschnitten und im «Reisebüro Erker II» aufgehängt», erzählt Orfei. Nach und nach wird er die Bilder nun anhand von Fotos aus den Büchern aus seinem Reisekoffer bemalen. «Ich habe mich bewusst gegen eigene Fotos entschieden, da auch für mich das Entdecken ein wichtiger Bestandteil sein soll.» Glasgow, Pittsburgh, Irland und Deutschland hängen bereits an den Wänden. «Die Örtlichkeit ist jedoch nicht entscheidend, sondern die Stimmung. Der braune Hintergrund der MDF-Platten fliesst nun sehr schön in die Landschaftsmotive ein. Nach wie vor seine Gültigkeit hat für mich auch das Bild-in-Bild-Thema», erklärt der 46-Jährige. Nachdem er die Landschaft gemalt hat, fügt er in der Mitte ein weiteres Bild ein. Damit verbindet er zwei Ortschaften miteinander und löst beim Betrachter ein Kopfkino aus. «Ein Bild über das Bild zu malen, braucht noch heute Überwindung. Trotzdem bin ich der Meinung, dass das eigentliche Bild erst durch das zweite entsteht.» Im Schaufenster wird Orfei zu unterschiedlichen Zeiten anzutreffen sein. «Ich werde vielleicht mal am Morgen vor der Arbeit, während der Mittagspause oder am Abend im temporären Atelier arbeiten.»

Verlockende Züge in die Ferne

Auf die Frage, ob Orfei Fernweh verspüre, meint der Künstler: «Ein Stück Fernweh ist sicherlich mit dabei, obwohl ich mit meiner Familie auch immer wieder die Möglichkeit habe zu Reisen. Zeit und Musse zu haben, um Abschweifen zu können bedeutet für mich jedoch bereits ein grosses Stück Freiheit.» Orfeis Reisethema passt denn auch ausgezeichnet zum Ausstellungsort am Bahnhof. «Wenn ich morgens um 7 Uhr am Bahnhof Olten ankomme, führt mich der Eurocity-Zug nach Mailand auf dem gegenüberstehenden Gleis schon ab und zu in Versuchung. Wie leicht wäre es, einfach in den Zug zu steigen», erzählt Orfei schmunzelnd und fügt an: «Dabei ist es weniger der Gedanke, dass ich es tun würde, sondern die Verfügbarkeit, es tun zu können.»

Kleinster Kunstraum Olten: Jürg Orfei
art i.g.-Schaufenster in der Martin Disteli-Bahnhofsunterführung
6. Juni bis 30 Juni
Vernissage: 6. Juni, 18.35 Uhr

Nachfolgende Ausstellungen:
4. Juli bis 18. August: Doris Althaus
22. August bis 22. September: Benjamin Widmer

<link http: www.artig.ch>www.artig.ch

 

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