Kissenanzüge und Knopflöcher

Susanne Cerf hat einen Monat nach Kriegsende das Licht der Welt erblickt, ist bei einer Wanderung auf einer Kuh geritten und färbt ihre Haare mit Henna.

Susanne Cerf ist eine spontane, positiv eingestellte Person, die Dinge und Entwicklungen trotzdem kritisch hinterfragt. (Bild: Sonja Furter)
Susanne Cerf ist eine spontane, positiv eingestellte Person, die Dinge und Entwicklungen trotzdem kritisch hinterfragt. (Bild: Sonja Furter)

Zacken einer Gabel winden sich in zwei Spiralen um den Finger von Susanne Cerf. Der Alltags- gegenstand ist zum Ring und damit zum Schmuckstück geworden. Erst auf den zweiten Blick wird er als Essbesteck erkennbar. So unkonventionell wie ihr Schmuck ist auch die Liebesgeschichte von Susanne Lehmann und Bruno Cerf. Die heute 72-Jährige blickt auf fast fünfzig Jahre Ehe zurück und kommentiert die lange Dauer augenzwinkernd: «Mein Mann und ich sind beide hartnäckige Persönlichkeiten, die nicht so schnell aufgeben, auch wenn es mal herausfordernd wird.» Kennen gelernt hatten sich die beiden an einem Abend im Bornhof in Olten, als Susanne mit ihrer gleichnamigen Jugendfreundin Susi unterwegs war. Eine Gruppe Männer vom Flugplatz Gheid sei mit Bruno Cerf als Anführer und Spassmacher im Lokal eingetroffen. Von seiner Schwester wurde er schliesslich an den Tisch von Susanne und Susi gebracht. «Das Spontane und das Alpha-Tier in ihm haben mir sofort imponiert.» Während die meisten Paare sich zuerst kennenlernen und dann vor den Traualtar treten, war bei ihnen die Reihenfolge umgekehrt. «Im Laufe des Abends zeigte Bruno auf mich und rief, dass er mich heiraten wolle.» Auf den Antrag folgte die Unterschrift zweier Trauzeugen mit Kugelschreiber auf Servietten. Zuerst habe sie gedacht, dass seine Aussage ein blöder Spruch gewesen sei. Doch als er Susanne am nächsten Tag zwei Mal zum Fliegen einlud und Freunde zu sticheln anfingen, habe ihr gedämmert: «Das könnte etwas werden.» Die Hochzeitsglocken läuteten an ihrem 23. Geburtstag. Der neue Nachname Cerf habe ihr sogar besser gefallen als Lehmann, verrät die Frau des Oltner Grafikers und ergänzt: «Viele Leute denken bis heute, dass Cerf ein Künstlername ist.» Als ein Jahr später die Tochter geboren wurde, suchte das Paar als Ergänzung zum kurzen Nachnamen nach einem mehrsilbigen und klangvollen Vornamen. «Der russische Name Tatjana hat uns am besten gefallen. Als blond gefärbte Russin mit blauen Augen könnte sie durchgehen.»

Reiten wie Winnetou

Geboren ist die pensionierte Hauswirtschaftslehrerin einen Monat nach Kriegsende. «Ich wurde in eine gute Stimmung hineingeboren. Die Menschen waren dankbar und glücklich, dass der Krieg vorbei war und schauten hoffnungsvoll in die Zukunft.» Bis zur 3. Klasse besuchte sie die Schule in Kölliken (AG), wo sie mit ihrer inzwischen geschiedenen Mutter bei den Grosseltern wohnte. Danach zogen sie mit dem neuen Partner der Mutter und seiner um drei Jahre jüngeren Tochter Silvia als Patchwork-Familie nach Olten. Trotz der für diese Zeit ungewohnten Familien- konstellation sagt sie: «Ich war ein glückliches Scheidungskind.» Mit «Gspänli» aus dem Quartier habe sie Räuber und Poli bis zum Bifangschulhaus gespielt und auf einer Schulreise sei sie gar auf einer Kuh geritten. «Ich hatte Winnetou gelesen und wusste, wie das Reiten funktioniert», erzählt Cerf schmunzelnd. Ein wildes Kind sei sie gewesen, das gerne auf Bäume kletterte, mit Jungen spielte und die Haare ihrer Puppe mit Wasserfarben kolorierte. Heute färbt sie ihre eigenen Haare mit Henna.

Kunstschule blieb Töchtern verwehrt

Ihr Wunsch, die Kunstschule zu besuchen blieb ihr verwehrt. Zu viel Bohème, fanden die Eltern und die Grafikergilde wollte damals keine Mädchen ausbilden, da sich Investitionen in eine Tochter nicht lohnen würden. Ihr nächster Berufswunsch war Automechanikerin. Geworden ist sie schliesslich Hauswirtschaftslehrerin. In der Töchterschule, die zu ihrer Ausbildung gehörte, hatte sie auch Unterricht im sogenannten Weissnähen, das zum Beispiel das Nähen von Kissenanzügen mit pingelig von Hand ausgeführten Knopflöchern beinhaltete. «Das war die Erziehung von Töchtern damals», sinniert Cerf. Obwohl sie während ihrer Ausbildung die Nähmaschine manchmal aus dem Fenster hätte werfen wollen, schaffte sie sich nach ihrer Hochzeit eine an. «In den kommenden zwanzig Jahren habe ich Fasnachtskostüme aus den ungewöhnlichsten Materialen genäht und mich später auch an eigene Kleider gewagt.» So konnte sie ihre kreative Seite ausleben. Und da sie nicht selber Grafikerin geworden sei, habe sie eben einen Grafiker geheiratet. «Für den Beruf meines Mannes hatte ich daher von Anfang an grosses Verständnis.»

Wissen, wie der Hase läuft

1980 zog das Paar nach Wabern bei Bern. Neun Jahre später richteten sie zusätzlich ein Atelier in Frankreich ein, pendelten fortan zwischen der Schweiz und dem Nachbarland und überlegten sich gar, auszuwandern. Doch zu gross war der bürokratische Aufwand. Nach der Pensionierung zog Susanne Cerf mit ihrem Mann wieder in die Dreitannenstadt zurück. «Aufs Alter hin schätze ich es, an einem Ort zu Hause zu sein, an dem vieles vertraut ist und wo ich weiss, wie der Hase läuft.» Auch schätze sie an Olten die Geschäfte, Beizen und verschiedenen kulturellen Angebote wie auch die Fasnacht. «Mit dem Hund bin ich oft im Gheid unterwegs, spaziere der Aare entlang oder auf der anderen Stadtseite, wo ich aufgewachsen bin.» Einen Lieblingsort in Olten habe sie keinen, sagt Cerf, ihr gefalle das Ganze. Sich selbst beschreibt die 72-Jährige als spontan, positiv aber auch als kritisch denkenden Menschen, der Entwicklungen hinterfragt. Fast so lange wie sie verheiratet ist, hält sie auch Hunde. «Nebst meiner Tätigkeit als Finanzministerin garantiere ich für die «Infrastruktur» und fungiere manchmal auch als Lektorin für meinen Ehemann», so Cerf lachend. Daneben seien ihre Tage ausgefüllt mit Besuchen in Frankreich, Spaziergängen mit dem Vierbeiner und Pétanque spielen in Frankreich oder im Stadtpark. «Ich lebe gerne in Olten.»

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