Kirchenschiff schwankt auf rauer See
Landeskirchen Machen die Schweizer Landeskirchen Schlagzeilen, geht es dabei meist um Mitgliederschwund und Berichte über sexuelle Übergriffe. Mit dem Wegzug der Kapuziner verschwindet in Olten ein Stück christlicher Tradition. Eine Umschau in Olten.
Fast 34600 Personen sind 2022 in der Schweiz aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Die Evangelisch-reformierte Kirche zählte im selben Jahr 30 393 Austritte. Berichte über sexuellen Missbrauch haben in der Katholischen Kirche im vergangenen Jahr zu weiteren Austrittswellen geführt. Und in Olten verlassen die Kapuziner nach 400 Jahren ihr Kloster in der Innenstadt. Fest steht: Die Schweizer Landeskirchen haben schon bessere Zeiten erlebt. Antonia Hasler arbeitet für die Römisch-katholische Kirche als Theologin, Seelsorgerin und seit fünf Jahren als Leiterin des Pastoralraums Olten, welcher die fünf Pfarreien St. Martin und St. Marien in Olten, St. Mauritius in Trimbach, St. Katharina in Ifenthal-Hauenstein und St. Josef in Wisen sowie die dazugehörenden drei Kirchgemeinden umfasst. In den Pfarreien sind mehr als 30 Mitarbeitende beschäftigt. «Wir sind ein kleineres mittleres Unternehmen», sagt die 57-Jährige schmunzelnd.
6600 Personen sind im Pastoralraum Mitglied der Römisch-katholischen Kirche. Mehr als 200 Menschen sind im vergangenen Jahr in Olten ausgetreten. Angesprochen auf die Gründe, sagt Hasler: «Oft sind negative Schlagzeilen oder Ereignisse wie das Bekanntwerden von Missbräuchen die Auslöser.» Die tiefer liegenden Gründe seien aber komplexer. Dabei verweist Hasler auf eine Studie des Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen, welche die Austrittgründe untersucht hat: Zentrale Schlagworte sind dabei Glaubensverlust und Individualisierung, wobei letzteres etwas sei, «dass man etwa auch in Vereinen beobachtet». Man suche sich sehr selektiv aus, wie man Gemeinschaft gestaltet. Als weiteren Grund führt die Pastoralraumleiterin die Kirchensteuer ins Feld: «Die Austritte werden vor allem in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz beobachtet, die Kirchensteuern einziehen.» Weiter spiele der Vertrauensverlust eine Rolle: «In der Katholischen Kirche sind für Frauen die Zugangsbestimmungen für Ämter, etwa zum Priesteramt, nicht dieselben wie für Männer. Das ist zwar historisch so gewachsen, stösst aber auch auf Unverständnis.»
Lebendiger Glaube
Die Katholische Kirche sieht sich im Spagat zwischen den Bedürfnissen von Menschen, die das Beständige, das Traditionelle suchen und jenen, die Veränderung explizit wünschen: «Wir möchten beiden Bedürfnissen Rechnung tragen.» Auf der progressiven Seite versuche man, «Angebote mit Themen von heute» zu etablieren. Hasler erwähnt dabei etwa die Jugendarbeit: «Wir unterrichten an den Schulen um die 400 Schülerinnen und Schüler. Wir verzeichnen auch eine erfreuliche Teilhabe bei Feiern für Kinder im Vorschulalter.» Bei Taufen oder Trauerfeiern habe man Kontakt mit vielen Menschen, die keiner Konfession angehören: «Wir vermitteln ihnen das Gefühl, willkommen zu sein.»
Die eigentliche Botschaft der Kirche sei aber das Evangelium: «Wir sehen das als Geschenk, als etwas Unvergleichliches.» Die Kirchenaustritte schmerzten zwar, aber: «Auch wenn die Gemeinschaft kleiner wird, erleben wir innerhalb der Kirche einen sehr lebendigen Glauben.»
Werte und soziales Engagement
Sabine Roth Düringer ist Kirchgemeinderätin bei der Evangelisch-reformierten Kirche Olten, der rund 7900 Mitglieder angehören: «Im vergangenen Jahr waren es knapp 8000 Personen. Über die Festtage haben aber viele Leute Zeit und nutzen sie, um den Austritt zu geben», sagt die Kirchgemeinderätin. «Viele Menschen können offenbar mit der Kirche nichts mehr anfangen. Sie wünschen auch explizit, nicht mehr kontaktiert zu werden, nachdem sie ausgetreten sind», so Roth Düringer.
Für sie stehe es nicht im Zentrum, neue Mitglieder zu gewinnen: «Viel wichtiger ist es, dass die Kirche wieder einen Wert in der Gesellschaft bekommt. Sie kann ihr Dasein nur durch ihre Werte rechtfertigen.» Dabei verweist sie auf das Projekt «Zukunftskirche Olten», mit dem etwa die Vernetzung unter den Pfarrkreisen intensiviert und vor Ort einzelne Schwerpunkte entwickelt werden sollen: «Dulliken hat eine lebendige Integrationsarbeit, etwa mit Sprachkursen oder multikulturellem Kochen, auf die Beine gestellt», erzählt Roth Düringer. Andere Regionen entwickelten eigene Schwerpunkte gemäss ihren Stärken und bieten diese übergreifend an. Zudem wird Wert auf die Pluralität gelegt: «Menschen, die den christlichen Glauben als einzig wahre Religion sehen, sind genauso willkommen wie solche, die sich mit allen Weltreligionen geschwisterlich verbunden fühlen.» Die Kirche dürfe sich nicht hinter «Dogmen verstecken», sondern müsse sich «dem Menschen zuwenden». Die christliche Botschaft biete «jedem Menschen einen unglaublich hohen Wert». Sie, die beruflich als Hausärztin arbeite, entdecke in den Gesprächen mit Patientinnen und Patienten täglich Parallelen mit christlichen Erzählungen. Dies gelte es, wieder mehr zu vermitteln.
Viele Mitglieder über 80
Die Christkatholische Kirche entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Widerstand gegen Dogmen des Vatikanischen Konzils. Mit ihrem Namen wollte die Kirche unterstreichen, dass ihrer Überzeugung nach allein Jesus Christus und nicht der Papst das Haupt der katholischen Kirche sei. Den Christkatholiken haftet schon allein wegen ihrer Geschichte etwas Progressives an. Dazu passend schreibt Kirchgemeindepräsidentin Monique Rudolf von Rohr auf Anfrage: «Die Christkatholische Kirche akzeptiert gleichgeschlechtliche Paare, Priester dürfen heiraten und sie hat die Frauenordination schon im Jahr 2000 eingeführt.»
Die Christkatholische Kirchgemeinde Region Olten umfasst viele Dörfer in der Region, angefangen bei Dulliken bis weit ins Thal, nämlich bis und mit Mümliswil-Ramiswil. «Nach einer grossen Krise haben sich die Mitgliederzahlen bei rund 390 Mitgliedern eingependelt», schreibt die Kirchgemeindepräsidentin, die zusammen mit dem Kirchgemeinderat ehrenamtlich arbeitet. Verluste erfolgten vor allem durch die altersbedingte Struktur der Kirchgemeinde, etwa ein Drittel der Mitglieder hat das 80. Lebensjahr überschritten. Warum sich die Kirche bei jüngeren Menschen weniger Beliebtheit erfreue? «Das Angebot an Freizeitaktivitäten ist heutzutage um ein Vielfaches grösser als noch vor zwei Generationen. Die Leute sind übersättigt, sie haben viele Möglichkeiten und können immer auswählen, was sie wann und wie lange tun oder unternehmen möchten. Zudem meint der Grossteil der Bevölkerung, dass sie keine Kirche brauche, um zu glauben oder glaubt schon gar nicht mehr an Gott. Das liegt wohl an unserem Wohlstand. Die Leute müssen keinen Hunger leiden und leben im Überfluss.» Die Schwierigkeit bestehe auch darin, für die christliche Botschaft zeitgemässe Formen zu finden. Rudolf von Rohr betont: «Erfreulicherweise gibt es auch Neueintritte, lebenswichtig für die Kirchgemeinde. Die zentrale Lage unserer Kirche lädt noch mehr dazu ein, offen und gastfreundlich zu sein, die Kirche auch anders zu nutzen.»