Ist Chanukka das jüdische Weihnachtsfest?

LichtZeiten Nicht nur im Christentum, sondern auch in anderen Religionen besitzt Licht eine besondere Bedeutung. Am 2. Adventssonntag, 10. Dezember erklärt die angehende Rabbinerin Dr. Annette Mirjam Böckler in den Oltner Kirchen St. Martin und St. Marien, was es mit dem jüdischen Lichterfest Chanukka auf sich hat.

Während Chanukka wird jeden Abend eine neue Kerze des Chanukka-Leuchters angezündet und ein kurzes Gebet gesprochen. Ein ähnliches Ritual wie beim christlichen Adventskranz. (Bild: Oliver Minzloff)
Während Chanukka wird jeden Abend eine neue Kerze des Chanukka-Leuchters angezündet und ein kurzes Gebet gesprochen. Ein ähnliches Ritual wie beim christlichen Adventskranz. (Bild: Oliver Minzloff)

Überall beleuchten sie die Gassen und Strassen, schmücken die Häuser oder Gärten und verleihen der Stadt einen warmen, romantischen und zugleich winterlichen Schein: die unzähligen Lichter. Besonders in der Adventszeit nehmen sie eine wichtige Rolle ein und sind praktisch omnipräsent. So ist das Anzünden von Kerzen beim Adventskranz oder dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum von grosser Bedeutung. Damit wird unter anderem das Licht symbolisiert, das die Geburt Christis laut der Bibel in die Welt brachte.

Bedeutung des Lichts in Religionen

Doch nicht nur im Christentum sind Lichter ein wichtiger Bestandteil der Religionsausübung. Die katholische Kirche Olten thematisiert während der Adventszeit mit dem Projekt «LichtZeiten» die Bedeutung von Licht in unterschiedlichsten Glaubensrichtungen. Nach der multireligiösen Feier am vergangenen Sonntag warten an den kommenden zwei Adventssonntagen weitere Veran- staltungen. Bevor am 17. Dezember 3’000 Kerzen für den Frieden auf der Kirchgasse erleuchten, wird Dr. Annette Mirjam Böckler, Fachleiterin Judentum im Zürcher Institut für Interreligiösen Dialog, am kommenden Sonntag, 10. Dezember in den Gottesdiensten der Katholischen Kirchen St. Martin und St. Marien die Wichtigkeit des Lichts im Judentum erläutern.

«Chanukka sind Gedenktage»

Dabei wird Böckler auch die Bedeutung des jüdischen Lichterfestes «Chanukka» sprichwörtlich genauer beleuchten. Obwohl «Fest» für die angehende Rabbinerin eigentlich zu weit gegriffen sei. «Chanukka ist eigentlich nur eine Gedenkzeit, nicht mehr», meint sie. Erinnert wird damit an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem 164 v. Chr., die im Rahmen des Makkabäer-Aufstandes stattgefunden hatte. In den Makkabäer-Büchern wird eine militärische Rebellion beschrieben, die sich gegen das regierende Seleukidenreich und dessen heidnische Religion richtete und in welcher der Tempel zurückerobert werden konnte. Im jüdischen Schriftwerk Talmut sei der Aufstand jedoch nicht erwähnt. Deshalb gibt es auch eine Version der Chanukka- geschichte, die zwar ebenfalls die Wiedereinweihung des verunreinigten Tempels enthält, jedoch ohne militärischen Aufstand. «Dadurch will beziehungsweise wollte man sich auch von einer Politisierung des Judentums entfernen und das Friedensstreben in der Religion verdeutlichen», erklärt Böckler diese zweite Sichtweise. Eines haben aber beide Versionen der Geschichte gemeinsam: Für die Wiedereinweihung des Tempels war nur noch wenig geweihtes Öl vorhanden, um die Menora, den siebenarmigen Leuchter, brennen zu lassen. Neues Öl konnte erst nach einigen Tagen beschafft werden. Nach jüdischem Brauch soll die Menora möglichst nie erlöschen. Laut der Überlieferung brannte die Flamme trotz zu wenig Öl acht Tage lang weiter und Gott erhellte den Tempel quasi weiter. «Als Erinnerung an dieses Ereignis wird während Chanukka jeden Abend eine weiteres Licht am acht- bzw. neunarmigen Chanukka-Leuchter angezündet und ein Gebet gesprochen», so Böckler.

Anpassung an christliches Umfeld

Das Anzünden der Lichter sei das zentrale und ursprüngliche Ritual von Chanukka, welches dieses Jahr auf den 12. bis 20. Dezember fällt. Durch den Einfluss der christlichen, westlichen Welt wurde daraus aber im Laufe der Zeit immer mehr. «Vor allem in Amerika wird Chanukka mittlerweile als Pendant zu Weihnachten gefeiert. Bei multireligiösen Familien ist auch die Synthese beider Feste namens «Weihnukka» verbreitet und zahlreiche Juden stellen sich einen Weihnachtsbaum ins Wohnzimmer», meint die angehende Rabbinerin. In europäischen Ländern wie Deutschland oder der Schweiz ist die jüdische Gemeinde seit der Judenverfolgung während des Zweiten Weltkrieges ein wenig vorsichtiger mit der Assimilierung. «Dennoch wird in vielen Familien Chanukka mittlerweile ebenfalls mit einem grossen, fetthaltigen Essen wie beispielsweise süsse Berliner, Geschenken für die Kinder und im Kreise der Familie zelebriert.» Die Wurzeln von Chanukka und Weihnachten sieht Böckler beide in einem heidnischen Fundament: dem römischen Lichterfest.

Verunsicherte Juden in der Schweiz

In politisch friedlichen und den Semiten wohlgesinnten Zeiten sei es überdies Brauch den angezündeten Chanukka-Leuchter öffentlich sichtbar beispielsweise in den Fenstersims zu stellen und so das Wunder von Chanukka gegen aussen zu tragen. In der Schweiz werden die Leuchter jedoch nur selten gesichtet. Das hängt einerseits sicherlich mit der relativ kleinen Anzahl an Juden in unserem Land zusammen. Laut der eidgenössischen Volkszählung im Jahr 2000 sind es ungefähr 18’000 Religionsangehörige. Des Weiteren bemerkt Dr. Annette Mirjam Böckler auch eine bedachte Vorsicht bei Schweizer Juden. «Abstimmungen und Debatten über das Schächt- verbot oder auch das neuere Minarett-Verbot verunsichern religiöse Minderheiten. Denn sie zielen darauf ab, Menschen in der Ausübung ihres Glaubens einzuschränken.» Verglichen beispiels- weise zu Juden in London oder Paris würden die Schweizer Glaubensvertreter ihre Religion aus dieser Verunsicherung heraus weniger zur Schau stellen. Immer mit Ausnahmen natürlich: Am 18. Dezember zündet die jüdische Organisation Chabad Lubavitsch Schweiz öffentlich auf dem Zürcher Tessinerplatz seinen Leuchter an. «Diese fundamentalistische Gruppierung vertritt einen Missionarsgedanken und tritt daher stark gegen aussen auf», erklärt Böckler die Beweggründe. Genauso wie im Christentum gibt es in der jüdischen Gemeinschaft also liberalere und konservativere Gruppierungen. Wer mehr über jüdische Bräuche und Traditionen erfahren möchte, hat am kommenden Adventssonntag, 10. Dezember um 9.30 Uhr in der Kirche St. Martin sowie anschliessend um 11 Uhr in der Kirche St. Marien die Möglichkeit dazu. «Ich hoffe, dass jeder dabei etwas Inspirierendes mitnehmen kann», meint Referentin Dr. Annette Mirjam Böckler.

Kath. Kirchen Olten
So, 10. Dezember,
9.30 Uhr: St. Martin
11 Uhr: St. Marien

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