«Ich schaue lieber hin»

Kathrin Hiltbrunner ist Dreitannenstädterin, Songwriterin und Sozialarbeiterin in der Suchthilfe. Ein Gespräch über Drogen, Musik und Tagebucheinträge.

Seit fünf Jahren wohnt Kathrin Hiltbrunner nahe am Bahnhof Olten: «Bei geöffnetem Fenster höre ich die Durchsagen von den Zügen.» (Bild: S. Furter)
Seit fünf Jahren wohnt Kathrin Hiltbrunner nahe am Bahnhof Olten: «Bei geöffnetem Fenster höre ich die Durchsagen von den Zügen.» (Bild: S. Furter)

Um den Arm von Kathrin Hiltbrunner ringeln sich zwei schwarze, tätowierte Linien, daneben ist ein Schwarm Vögel unter die Haut gestochen. «Der Vogel, welcher auf der Linie sitzt, ist Schweizer», erklärt die Oltnerin lachend und erklärt: «Er steht für Beständigkeit und Etabliertes.» Die frei fliegenden Vögel würden hingegen das Unbekannte, die Freiheit und das Abenteuer verkörpern. «Sie stehen für neue Ideen und die Erfahrung, allein in einer fremden Stadt zu sein.» Die 33-Jährige hat einen bewegten beruflichen Weg hinter sich, arbeitet heute als Sozialarbeiterin in der Suchthilfe und erinnert sich zurück: «Ich hatte zwar eine Matur im Sack, aber habe lange nicht gewusst, was ich beruflich machen will.» Slavistik, Psychologie, Ethik, Philosophie, Jura oder Medizin. Das alles habe sie interessiert. «Aber direkt an die Uni? Das kam wie eine Wand.» Deshalb arbeitete Hiltbrunner als Putzfrau, in der Logistik oder als Kassierin bei einer Autobahnraststätte. «Diese Tätigkeiten waren ein grosser Kontrast zur Schulbank. Es herrschte oft ein rauer Umgangston und ich musste lange stehen.» Als sie später beratend in der Arbeitsintegration tätig war, habe ihr die eigene Erfahrung geholfen, sich einzufühlen. «Ich denke, es tut gut, nicht direkt an die Uni zu stürmen.»

Durchsagen

Sich selbst beschreibt Hiltbrunner als offene und herzliche Person. «Ich bin ein bisschen quirlig und chaotisch und ich mag keine oberflächlichen Gespräche und gehe gerne in die Tiefe.» Hiltbrunner hat drei Geschwister, ihr Vater ist Elektroingenieur, die Mutter gelernte Schneiderin. Geboren ist Hiltbrunner im Spital Olten, aufgewachsen in Gunzgen. «Das Gymnasium habe ich dann in der Dreitannenstadt absolviert. Olten hat Ecken und Kanten und zeigt seinen Charme oft erst auf den zweiten Blick. Aber genau das liebe ich an der Stadt.» In Olten lebt ihre Familie und die meisten ihrer Kollegen. «Auf der Strasse treffe ich ständig Leute an, die ich kenne. Die Menschen sind das, was Olten schön macht.» Seit fünf Jahren wohnt sie in einer Wohnung ganz in der Nähe vom Bahnhof. «Bei geöffnetem Fenster höre ich die Ansagen für die einfahrenden Züge. Dann reise ich in Gedanken an andere Orte der Schweiz.»

Lebensbereiche

Die Antwort auf die Frage, welchen Beruf sie ergreifen will, hat Hiltbrunner schliesslich durch Zufall gefunden. «Eine Kollegin wollte nicht allein an den Infoabend für Soziale Arbeit, also habe ich sie begleitet.» Heute ist Hiltbrunner als Sozialarbeiterin in der Suchthilfe tätig und betreut Menschen, die durch den Konsum von Heroin, Kokain oder Alkohol in eine Lebenskrise geschlittert sind. «Viele wirken von aussen hart, aber wenn ich die Person und ihre Geschichte näher kennenlerne, kann ich ein Verständnis für ihre Biografie entwickeln.» Sucht sei eine Erkrankung, betont Hiltbrunner mehrmals. «Ich finde es enorm wichtig, dass die Gesellschaft von der Zuschreibung wegkommt, dass jemand sich das ausgesucht hat.» An ihrem Beruf liebe sie, dass er so praxisorientiert sei. «Als Sozialarbeiterin ist kein Tag gleich.» Eine Suchterkrankung habe auf jeden Lebensbereich einen Einfluss: Wohnen, Finanzen, Familie, Tagesstruktur und Arbeit seien betroffen. «Suchthilfe ist sehr direkt, sehr ehrlich, sehr ungeschönt. Aber ich schaue lieber hin, als heile Welt zu spielen.» Die Betreuung der Patienten habe viel mit Beziehungsarbeit zu tun. «Es ist ein Tüfteln und es klappt nicht immer alles auf Anhieb.» Nebst einem kleinen Pensum in einer Kontakt- und Anlaufstelle für Süchtige arbeitet Hiltbrunner in der Psychiatrie des Sozialdienstes. «Diese Beratungen sind enorm wichtig. Denn auch die beste Behandlung ist nicht nachhaltig, wenn jemand obdachlos ist.»

Moderne Zeiten

In ihrer Freizeit geht Kathrin Hiltbrunner gerne Schwimmen, spielt Badminton oder macht Pilates. «Ich treffe oft Kollegen und gehe echt viel an Konzerte», sagt sie. Ihr grösstes Hobby ist die Musik, sie spielt Alternative Rock. «Es gibt nichts, was ich lieber mache als Musik. Egal, wie anstrengend der Tag war, ich besuche immer die Bandprobe. Auch dann, wenn es draussen in Strömen regnet und man sprichwörtlich keinen Hund vor die Tür stellt.» Musik bedeute für sie, etwas gestalten und ihre Gefühle und Gedanken ausdrücken zu können. Der Inhalt ihrer Liedtexte sei deshalb oft sehr persönlich. «Manchmal vertone ich auch Tagebucheinträge.» Als eine Kollegin durch eine schwierige Trennung ging, sei das Lied «Modern Times» entstanden: «Für sie ist eine Welt zusammengebrochen. Das Lied vermittelt darum die Botschaft: Wir leben in einer modernen Zeit - du wirst deinen Weg auch als Single-Frau machen.»

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