«Ich mag Verantwortung»

Lara Wittmer Aus Tier-, Pflanzen- und Menschenliebe wählte Lara Wittmer den Beruf der Landwirtin. Als Kindergärtnerin will sie mit einer eigenen Spielgruppe Kindern den Zugang zur Landwirtschaft öffnen.

Mit fünf Jahren zeichnete Lara Wittmer ihren Traum: Ein Haus mit vielen Tieren. Heute lebt sie auf dem Hof Engelberg ob Dulliken. (Bild: Franz Beidler)
Mit fünf Jahren zeichnete Lara Wittmer ihren Traum: Ein Haus mit vielen Tieren. Heute lebt sie auf dem Hof Engelberg ob Dulliken. (Bild: Franz Beidler)

Als Lara Wittmer fünf Jahre alt war, sollte sie ihr Traumhaus zeichnen. Sie malte unzählige Tiere: Katzen, Hunde, Hasen, Hühner, Pferde und Kühe. «Für so viele Tiere brauchst du ja einen halben Zoo», hört Wittmer die Stimme ihrer Grossmutter bis heute. Das Haus selber wurde von den Tieren verdeckt. Zwanzig Jahre später lebt Wittmer auf dem Hof Engelberg ob Dulliken mit ihrem Ehemann Lukas und dem gemeinsamen Sohn Jonas, der im vergangenen November zur Welt kam. Die junge Familie wohnt im oberen Stock vom Haupthaus, darunter Lukas’ Grossmutter. Auch seine Mutter und eine seiner Tanten wohnen gleich nebenan. Auf dem Hof leben ebenfalls Wittmers zwei Maultiere, ihre acht Katzen, Rinder, Kühe und Hunderte Hühner. Und ein Hund. «Ein Hund gehört zum Hof», findet sie. Ihre Versuche, den Vierbeiner zu erziehen, seien aber fehlgeschlagen, sagt sie in gespielter Strenge und lacht. Sie möge gelehrige und intelligente Tiere lieber, zum Beispiel ihre Maultiere, die Mulis, Sanchoz und Jixy. Mit ihnen reitet sie aus, sobald sie Zeit findet und jemand aus der Familie Jonas hütet. «Die Mulis sind mein Hobby», sagt Wittmer. Schliesslich verdiene sie mit den beiden nichts.

Tiere, Pflanzen und Menschen

«Etwas mit Tieren, mit Pflanzen und mit Menschen», waren Wittmers Anforderungen bei ihrer Berufswahl. Als Kind verbrachte sie mehrmals Familienferien auf einer Alp. «Wir molken mit Standeimern und kästen über offenem Feuer», erzählt sie strahlend. Als sie sich später eine Lehrstelle suchte, war es ihr Vater, der sie an ihre damalige Begeisterung erinnerte: «Willst du nicht die Bäuerinnenschule machen?», habe er sie gefragt. So kam sie auf die Idee, Landwirtin zu werden, auch wenn sie selber nicht auf einem Hof aufwuchs. Die Lehrer in der Schule in Hinwil (ZH), wo Wittmer ihre Kindheit verbrachte, hielten dagegen. Eine Matura sei doch wertvoller. Wittmer war eine gute Schülerin, wollte aber arbeiten. Andere meinten, eine Landwirtin benötige keine Lehre, der Beruf habe einen schlechten Ruf und passe doch nicht zu einer Frau. Ausserdem sei der Lohn schlecht. «Schliesslich habe ich beschlossen, die Lehre mit Berufsmatura abzuschliessen», erzählt die 24-Jährige. «Damit waren die Lehrer versöhnt.» Den Schwätzern entgegnete sie: Tiere, Pflanzen und Menschen, das könne nur der Beruf der Landwirtin bieten. «Was denn sonst?» Während der Lehre auf dem Zürcher Strickhof lernte sie an der Berufsschule unter anderem Pflanzenbaukunde. «An einem Nachmittag mussten wir ein Herbarium erstellen.» Da traf sie Lukas. Er hatte die Lehre als Zimmermann abgeschlossen und wollte den elterlichen Hof auf dem Engelberg übernehmen. Ein paar Monate später waren die beiden ein Paar. Das war im Jahr 2013. Von da weg verbrachte sie mehr und mehr Zeit auf dem Engelberg, bis sie 2016 schliesslich ganz einzog. «Ich war mir sehr schnell sicher», erinnert sich Wittmer lachend. Eng mit einer Familie auf einem Hof zusammen zu leben und zusammen zu arbeiten, das habe ihr schon während der Lehre gefallen. «Ich war nie ein Heimwehkind.»

Eine Spielgruppe auf dem Engelberg

Nach der abgeschlossenen Lehre mit Berufsmatura entschied Wittmer, sich an der Pädagogischen Hochschule Zürich zur Kindergärtnerin ausbilden zu lassen. Im kommenden Herbst eröffnet sie ihre eigene Spielgruppe auf dem Hof. So kommen ihre Berufe als Landwirtin und Pädagogin zusammen. Der Raum für die Spielgruppe ist bereits eingerichtet, Wittmer sprüht vor Begeisterung. «Hier auf dem Hof kann ich den Kindern ein Erlebnis weitergeben, das die Schule nicht bieten kann, nämlich grundlegende Erfahrungen von Selbstversorgern», erklärt sie und führt aus: «Landwirte stehen unter Rechtfertigungsdruck. Anstatt uns abzuschotten, müssen wir proaktiv kommunizieren. Anstatt uns zu ärgern, transparent sein.» Wittmers Spielgruppe ist auch Resultat dieser Haltung. Deswegen engagiert sie sich seit Anfang des letzten Jahres ebenfalls bei Agroimage. Der Verein besucht Schulklassen und klärt über Landwirtschaft und verwandte Themen auf. Wittmer schreibt am Lehrmittel mit.

Lebensrhythmus auf dem Hof

Wittmers Alltag ist geprägt vom Leben und Arbeiten auf dem Hof, «und momentan von Jonas.» Lukas Grossmutter kocht jeden Mittag, dann essen alle zusammen. Je nachdem, welche Arbeit ansteht, sitzen manchmal mehr als acht Leute am Tisch. «wenn wir Hühner verladen oder ernten.» Am Abend ist es Wittmer, die kocht, für sich und ihren Ehemann. In ihrem Garten wachsen allerhand Gemüse, Kräuter und Heilpflanzen: Thymian gegen Husten oder Salbei gegen Schluckweh. Poulet kocht sie, wenn die Hühner in den Schlachthof gehen. Jene, die der Schlachthof nicht annimmt, schlachtet sie selbst. «Wer kein Tier töten kann, soll kein Fleisch essen», findet sie. Zudem könne sie so unnötigen Foodwaste verhindern. Das Schlachten hat sie von Lukas Grossmutter gelernt und sich dann selbst weitergebildet. «Ich recherchiere im Internet und schaue mir Lernvideos an», erzählt sie. Auf die gleiche Art hat sie sich auch das Schnitzen von Holzfiguren beigebracht. Im Frühling hätte sie eigentlich die ersten Schnitzkurse für Erwachsene durchführen wollen. Die Coronakrise durchkreuzte diesen Plan. Wie die Spielgruppe, sollen nun auch diese im Herbst beginnen. Das eigene Kurswesen und die eigene Spielgruppe aufzubauen, darauf freut sich Wittmer. «Ich mag Verantwortung.»

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