«Ich komme mir vor wie ein Pfarrer»

90 Jahre Alters- und Pflegeheim Weingarten Der Weingarten feiert am kommenden Samstag, 15. September sein 90 Jahr-Jubiläum mit Musik, einem Flohmarkt und dem Alphorntrio. Der einstige Coiffeur und Kunstmaler Rolf Munzinger wohnt seit vier Jahren im Alters- und Pflegeheim.

Langeweile ist für Rolf Munzinger ein Fremdwort. Gerne steht der 86-Jährige an der Staffelei oder sitzt auf der Terrasse, um die Segelflugzeuge zu beobachten. (Bild: mim)

Langeweile ist für Rolf Munzinger ein Fremdwort. Gerne steht der 86-Jährige an der Staffelei oder sitzt auf der Terrasse, um die Segelflugzeuge zu beobachten. (Bild: mim)

Das Bürgerheim Weingarten kurz nach dessen Eröffnung 1928. (Bild: ZVG/Archiv)

Das Bürgerheim Weingarten kurz nach dessen Eröffnung 1928. (Bild: ZVG/Archiv)

Angenehm warm scheint die Sonne auf die Terrasse des Alters- und Pflegeheims Weingarten. Rolf Munzinger schätzt die Möglichkeit, die ihm sein Zimmer im ersten Stock bietet. Liebevoll hat er seinen kleinen Terrassenabschnitt wohnlich mit einem Tisch, Stühlen und Pflanzen eingerichtet. Die Terrasse war beim Bau des Bürgerheims Weingarten im Jahr 1928 noch nicht vorhanden. Erst 1975 erfolgte der Anbau des Speisesaals und seit einigen Jahren kann die grosse Terrasse auch von den Bewohnern genutzt werden. Das einstige Gebäude bestand aus zahlreichen Rundbögen und einem zurückversetzten Eingangsbereich.

«Sie war die Mutige von uns beiden»

«Ich fühle mich sehr wohl. Das Personal ist durchwegs sehr nett», erzählt Rolf Munzinger lächelnd und fügt an: «Sie schauen gut zu mir und die Küche ist hervorragend. So gibt es beim Menü von allem Nachschlag bis man genug hat.» Das war früher mit dem Zwei-Klassen-Modell anders. Menschen, die auf finanzielle Unterstützung von öffentlicher Hand angewiesen waren, erhielten beispielsweise nur jeweils am Sonntag ein Dessert. Eigentlich hätten seine Ehefrau Madeleine und er davon geredet, ins Alters- und Pflegeheim Ruttigen umzuziehen - der Tiere wegen, wie Munzinger anfügt. Doch als sein «Madeleineli» vor vier Jahren starb, er in der Garage des Stadthauses stürzte und in der Folge auf Hilfe angewiesen war, hatte der Ruttiger keinen Platz frei. So stand für Rolf Munzinger schnell fest, dass es somit der Weingarten sein müsse. Schliesslich wohnte er mit seiner Familie in einem Haus an der Weingartenstrasse, bis es mit drei Kindern zu klein wurde und sie im Fustligquartier ein Haus bauen konnten. «Bereits bei der Ankunft war alles stimmig», betont der 86-Jährige, der sich jedoch ein Leben ohne seine Ehefrau kaum habe vorstellen können. «Das Meiste hat mein «Madeleineli» organisiert. Sie war die Mutige von uns beiden», lächelt Munzinger. In seinem Zimmer sind zahlreiche Fotos von ihr, den drei Kindern und Enkeln aufgehängt. Daneben steht ein Bild auf der Staffelei, das die alte Holzbrücke und einen Teil der Oltner Altstadt zeigt. Zudem hängen zahlreiche Landschaftsgemälde von Olten und der Region an der Wand und in den Regalen steht filigran bemaltes Porzellangeschirr. «Meine Ehefrau hat das Porzellangeschirr bemalt», erzählt der 86-Jährige stolz. Einige seiner Gemälde hat Rolf Munzinger vor rund einem Jahr auf Drängen der befreundeten Kulturjournalistin Madeleine Schüpfer in der Suteria in Olten ausgestellt.

Eine Oltner Coiffeurdynastie

Madeleine Munzinger führte viele Jahre ein Porzellan-Laden bei der alten Holzbrücke. Rolf Munzinger hat das Handwerk im Coiffeurgeschäft seines Vaters im Winkel gelernt - ein Bijou mit geschnitzten Möbeln eines Möbelmachers aus Aarburg, wie Munzinger betont. Er selber führte während 30 Jahren an der Baslerstrasse und zum Schluss am Zielemp ein Coiffeurgeschäft. Zwei seiner Kinder, Sohn Pit und Tochter Katrin, traten ihrerseits in die Fussstapfen des Vaters und betreiben noch heute Coiffeurgeschäfte in Olten. Munzinger hat seine Arbeit geliebt, so scheint es jedenfalls. Seine langen Haare sind noch heute ordentlich nach hinten gekämmt und seine charmante und zuvorkommende Art hat der einstige Coiffeur keinesfalls abgelegt.

Langeweile - ein Fremdwort

Selbstverständlich sei der Umzug ins Altersheim nicht nur leicht gewesen, denn vieles musste er zurücklassen, räumt Munzinger ein und fügt an: «Trotzdem bin ich zufrieden.» Andere Bewohner hätten da manchmal mehr Mühe und wollten wieder nach Hause. «Ich komme mir jeweils vor wie ein Pfarrer, wenn ich sie ermutige vernünftig zu sein und einzusehen, dass es nicht mehr möglich ist, «nach Hause» zurückzukehren», erzählt der 86-Jährige und lächelt liebenswürdig. Langeweile ist für Rolf Munzinger ein Fremdwort. Der Kunstmaler steht an der Staffelei, absolviert im am Altersheim angrenzenden Wald den Vita Parcours - natürlich nicht laufend - wie er lachend betont, aber regelmässig und ohne Abkürzungen. Daneben pflege er mit vielen Bewohnern des Altersheims einen guten Kontakt. «Wir sind immer mal wieder für einen Spass zu haben», erzählt der Oltner und lächelt spitzbübisch. Auch mit 86 Jahren scheint es der charmante Herr noch faustdick hinter den Ohren zu haben. Viel Besuch erhalte er zudem von seiner Familie und drei Mal pro Woche führt ihn sein Weg in die Stadt, wo er seine Tochter Katrin in deren Coiffeursalon an der Dornacherstrasse besucht. Seit Kurzem kann Munzinger wegen dem steilen Anstieg zum Altersheim auf ein vierrädriges Elektromobil zurückgreifen. Angesprochen auf seinen Lieblingsplatz antwortet der einstige Coiffeur wie aus der Pistole geschossen: «Natürlich der Munzingerplatz!» Mit der Politiker-Familie Munzinger sei seine Familie jedoch nur über sieben Ecken verwandt, erklärt der 86-Jährige. Oftmals sitze er eine Pfeife rauchend vor dem Kunstmuseum Olten auf der Bank und werde immer mal wieder erkannt und gegrüsst, erzählt der Kunstmaler erfreut. Auf die Frage, was er unbedingt noch erleben möchte, lehnt sich Munzinger schelmisch schmunzelnd im Stuhl zurück und meint: «Ich möchte eine grosse Runde mit dem Segelflugzeug drehen.» Regelmässig beobachte er sie auf der Terrasse des Alters- und Pflegeheims Weingarten sitzend und hört das Summen und Klicken, noch bevor er die Segelflugzeuge tatsächlich sehen kann.

1928-2018 - 90 Jahre Weingarten
Samstag, 15. September, 10.15 bis 18 Uhr
10.15 Uhr: Eröffnung mit Festansprache und Olten Brass.
Danach: Ballonwettbewerb, Flohmarkt, Tombola, Führungen, Gesundheitscheck, Clown Susi (Nachmittag), abschliessend Musik des Alphorntrios.
Für das leibliche Wohl: Bratwürste, Getränke und Glacen

<link http: www.weingarten-olten.ch>www.weingarten-olten.ch

 

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