«Ich kann ja nur malen»

Salam Ahmad Er sei kein politischer Mensch, sagt Salam Ahmad von sich. Dennoch wurde der syrische Künstler vom Regime verfolgt. Nicht wegen einer politischen Botschaft, sondern wegen einer menschlichen. Am Wochenende des 13. und 14. Oktobers ist eine Auswahl seiner Werke in der Ausstellung «Parallele Realitäten» zu sehen.

Salam Ahmad in seinem Atelier: «Meine Kunst trägt nicht eine revolutionäre Botschaft, sondern eine menschliche.» (Bild: Franz Beidler)
Salam Ahmad in seinem Atelier: «Meine Kunst trägt nicht eine revolutionäre Botschaft, sondern eine menschliche.» (Bild: Franz Beidler)

Er male einfach drauflos. Pinsle ziellos mit verschiedenen Farben auf der Leinwand herum. So beschreibt Salam Ahmad seine Arbeit, wenn er ein neues Bild zu malen beginnt. Im Gewirr von Farben und Pinselstrichen mache er dann allmählich Schattierungen aus und plötzlich wisse er, was er male. Von diesem Moment an arbeitet er gezielt an den Formen, den Farbkombinationen, den Schattierungen. Erst wenn er das Bild fertig gemalt hat, erkennt er die Bedeutung darin: Erinnerungen aus seinem Leben, Facetten seiner kurdischen Kultur, Gedanken über das Menschsein. Als studierter Philosoph fehlt es Ahmad besonders daran nie. «Meine Arbeit beginnt technisch und wird dann immer mehr zur Denkarbeit», sagt er. Ist die Bedeutung eines Werks gefunden, ändert sie sich nicht mehr. Trotz dieses absichtslosen Arbeitsprozesses dominieren zwei Sujets Ahmads Kunst: Blumen und Gesichter. «Das Gesicht ist das Fenster zur Seele», findet er. Die Ausstellung «Parallele Realitäten» zeigt am kommenden Wochenende eine Auswahl seiner Bilder zusammen mit Werken von Gabriele Kulstrunk. Sie malt ebenfalls vorwiegend Gesichter und Blumen, setzt die Sujets jedoch farbenfroh und bewegt um, während Ahmads Figuren stets aus einem Nebelschleier enthüllt zu werden scheinen. «Unsere Bilder treten zusammen in einen Dialog», sagt Ahmad. Zwei Realitäten treffen aufeinander.

Vom Vater schon früh gefördert

Gleich neben den Ausstellungsräumen von «Parallele Realitäten» an der Industriestrasse 36 in Olten hat Ahmad sein Atelier. Der 47-Jährige wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Wangen bei Olten. Nach dem Studium der Philosophie an den Universitäten Damaskus und Aleppo schloss er zusätzlich in Psychologie ab und arbeitete als Lehrer und als Restaurator im Museum of Modern Art in Aleppo. Neben seiner Tätigkeit als Kunstmaler, hat er bereits zwei Bücher mit Gedichten veröffentlicht. Zur Malerei fand Ahmad schon im Alter von sechs Jahren. «Künstler wurde ich wegen meinem Vater», erinnert er sich. Weil ihm die Bilder seines Sohnes so gut gefielen, versorgte er Ahmad mit Malutensilien. Kein einfaches Unterfangen in einem 500-Seelen-Dorf nördlich von Aleppo im kurdischen Teil Syriens. Mit neunzehn Jahren bewarb sich Ahmad für einen Studienplatz an der Fakultät für Bildende Künste der Universität Damaskus. Er wurde abgelehnt. «Gegenüber tausenden Bewerbungen», erzählt Ahmad «standen nur etwa 60 Studienplätze.» Diese seien für den Nachwuchs von ranghohen Regierungsbeamten und Militärs reserviert gewesen. Ein junger, belesener Kurde war nicht erwünscht. «Also studierte ich Philosophie, meine zweite Wahl.»

Auf der schwarzen Liste

Schon seiner zwei Gedichtbände wegen steht Ahmad auf einer schwarzen Liste des syrischen Regimes. Als dieses 2011 eine Kundgebung in Homs blutig niederschlug und Demonstranten erschoss, griff Ahmad nicht zur Waffe, sondern zum Pinsel. Im Museum in Aleppo, wo er als Restaurator arbeitete, malte er als Reaktion ein Bild. Auf der Rückseite der Leinwand notierte er den Titel: Homs. Ahmad verlor daraufhin sowohl seine Arbeit als Restaurator als auch jene als Lehrer. «Jemand muss mich verraten haben», sagt Ahmad. Er habe das Bild weder veröffentlicht, noch jemandem davon erzählt. «Die Regierung glaubt, ich gehöre der Revolution an», erklärt Ahmad. «Das Bild war aber keine revolutionäre Botschaft, sondern eine menschliche.» Er hätte damit nur gegen die Erschiessung von Unschuldigen protestieren wollen. «Kunst ist nicht gleich Politik, ich bin kein politischer Mensch.» Als Regierungstruppen 2013 sein Haus zerstörten, beschloss er mit seiner Familie zu fliehen.

In affektiver Reaktion

Ahmads Kunst ist eine affektive Reaktion auf die Geschehnisse um ihn herum. So auch das Bild «Wut», das in «Parallele Realitäten» zu sehen ist. Es entstand an jenem Tag, als die türkische Armee in der Provinz Afrin einmarschierte. Dass die Umgebung, die er künstlerisch umsetzt, eben auch der syrische Bürgerkrieg ist, hat sich der Künstler nicht ausgesucht. «Ich habe ja nicht mal meinen Namen selber gewählt», sagt der Philosoph. Das Leben gebe einem wenig Auswahl und jeder könne sich nur in seinem Rahmen bewegen. Diese Haltung ist auch dem Studium von Albert Camus’ Schriften geschuldet. «Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Strassenecke anspringen», soll der französische Schriftsteller gesagt haben. Philosophen wie Camus, Jean-Paul Sartre oder Søren Kierkegaard seien inspirierend für seine Kunst, sagt Salam Ahmad, der über die Jahre zwei Malstile entwickelt hat. Im einen arbeitet er mit Acrylfarben, die er nur mit seinen Fingern aufträgt. Die entsprechend grossen Formen kontrastiert er mit feinen Linien, die er mit einem Stift malt. «Da steckt sehr viel Arbeit drin», kommentiert der Künstler, als er auf die Feinheiten aufmerksam macht. Tatsächlich überzieht ein hauchdünnes Geflecht die mit den Fingern gemalten, grossen Flächen. Sein zweiter Stil ist traditionell: Öl auf Leinwand. «Ich experimentiere aber auch gerne», sagt er. In «Parallele Realitäten» sind Werke zu finden, bei denen er mit Kaffee, als Flüssigkeit oder Pulver, mit einem Sand-Leim-Gemisch oder mit Stempeln arbeitete. «Ich habe auch schon mit Kerzen gemalt», erzählt er begeistert. Der Rauch hätte Formen auf der Leinwand hinterlassen, mit denen er dann weitergearbeitet hätte. Unabhängig von der Technik bringt Ahmad in seinen Bildern immer all das unter, was ihn bewegt. «Wenn ich nicht male, dann schreibe ich, und wenn ich nicht schreibe, dann denke ich», sagt er. Er sei ein Träumer und erkenne auf der Strasse manchmal Freunde nicht, weil er in seinen Gedanken versunken sei, erzählt er lachend. Manchmal reicht das Geld für Malutensilien nicht. Dann kann es vorkommen, dass er eine Leinwand doppelseitig bemalt. Das bedrückt ihn jedoch weniger, als dass er mit seinem F-Ausweis nicht reisen darf. In den USA, Deutschland oder Schweden wurden seine Werke schon ausgestellt, ohne dass er dabei sein konnte. «Das macht mich traurig», sagt er. Um Werke verkaufen zu können, müsse der Künstler präsent sein. «Wie soll ich meine Situation so denn ändern? Ich kann ja nur malen.»

Ausstellung: Parallele Realitäten
Samstag und Sonntag, 13. und 14. Oktober, jeweils 12 bis 18 Uhr
im Werk1, Industriestrasse 36, Olten

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