«Ich fühle mich als Oltner»
Hamid Faizi Als Hamid Faizi vor fünf Jahren nach Olten kam, verstand er kein Deutsch. Heute absolviert der 20-Jährige eine Lehre als Informatiker mit Berufsmatura.
Hamid Faizi spaziert mit hochgezogenen Schultern dem Gheidweg entlang, die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben. Der Freitagnachmittag Ende Februar ist angenehm warm. Milde Sonnenstrahlen verheissen den nahenden Frühling.
Erst vor wenigen Jahren ging Faizi zum ersten Mal dem Gheidweg entlang. «Ich war ziemlich verwirrt», erinnert er sich, während er den Blick über die Brache hinter Olten Südwest schweifen lässt. Damals war er eben beim Bahnhof Hammer aus dem Zug gestiegen, erhaschte erste Blicke von Olten und suchte nun die Zivilschutzanlage im Gheid. Dort sollte die Reise enden, die mehrere Monate zuvor in Teheran, Iran, begonnen hatte. Das war im November 2015. Da war Faizi fünfzehn Jahre alt.
Heute wohnt Faizi im Hammerquartier, absolviert in Basel eine Lehre als Informatiker und büffelt für die Berufsmatura. «Ich bin zuversichtlich, dass das mit dem Lehrabschluss klappt», sagt er und lächelt. Schlechte Noten in der Schule hatte er noch nie. «In Mathe war ich fit», erinnert er sich an seinen ersten Schultag im Oltner Schulhaus Frohheim. Wenige Wochen vor den Sommerferien 2016 war Faizi zu einer 7. Klasse gestossen. «Ich habe mir schon Sorgen gemacht», hängt er an. Denn Deutsch habe er damals kaum verstanden. «Was bringt es, in die Schule zu gehen, wenn ich dem Unterricht nicht folgen kann?», habe er sich gefragt. Die Sekundarschule sollte er später als einer der Jahrgangsbesten abschliessen.
Deutsch vor der Hammer-Migros
Denn Faizi paukte Deutsch. «Mir war klar, dass ich die Sprache lernen muss», erzählt er. Schon bald nach seiner Ankunft im Gheid wurden ihm die angebotenen Deutschkurse zu wenig. «Zweimal pro Woche, eineinhalb Stunden», sagt er mit ernster Miene und lässt die Worte verklingen.
Immer wieder setzte sich Faizi mit seinem Smartphone auf eine Bank vor die Migros im Hammer. «Da hatte ich Internetzugang.» Faizi lud sich Deutschkurse von You Tube herunter. Um sich dem Stoff ungestört zu widmen, schlief er manchmal tagsüber und lernte in der Nacht, während seine fünfzehn Zimmergenossen schliefen.
Ausser den Deutschkursen durfte Faizi damals aber noch nicht zur Schule. Eines Tages traf er im Oltner Cultibo auf die Familie Schmuziger. «Ich erzählte von meiner Situation», erinnert er sich. Marcala Schmuziger machte sich bei den Behörden für den Jungen stark, schrieb Briefe, telefonierte herum. Schliesslich nahm die Familie Faizi als Pflegekind auf. Die behördlichen Auflagen waren damit erfüllt, und Faizi kam eben ins Frohheim. «Für diese Möglichkeit bin ich unendlich dankbar.»
Im Iran Afghane, in der Schweiz Iraner
«Ich fühle mich als Oltner», sagt Faizi bestimmt. «Im Iran war ich ein Afghane, in der Schweiz bin ich ein Iraner», erklärt er nachdenklich. Faizis Eltern flüchteten aus Afghanistan nach Teheran, als er ein Jahr alt war. Ihre Liebe ist in Afghanistan verboten, weil sie nicht der gleichen Ethnie angehören. Sie leben ohne Papiere in Teheran, zusammen mit Faizis vier jüngeren Geschwistern. «Niemand in der Verwandtschaft durfte in Teheran an die Universität», berichtet Faizi. Afghanen würden im Iran diskriminiert.
«In Olten wurde ich von Beginn weg gut aufgenommen», sagt Faizi. Inzwischen kenne er hier viele Leute, «mehr als früher in Teheran». Er spielt Fussball für den FC Trimbach und pfeift als Schiedsrichter Spiele in der fünften Liga. Und Faizi fährt Ski. «Vor zwei Wochen war ich mit Kollegen ein paar Tage in Engelberg», erzählt er. Seine Skisaison habe aber unter der Coronapandemie gelitten.
«Vielleicht ein Austauschjahr in England», antwortet Faizi auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen. «Um Englisch zu lernen», hängt er an. Und wegen der Premier League, «der besten Fussballliga der Welt.» Er habe keinen Lieblingsklub, eher Lieblingstrainer. «Mourinho macht mir Eindruck.»
Faizi ist nun seit fünf Jahren in der Schweiz. Nach dieser Zeit ist es vorläufig aufgenommenen Ausländern erlaubt, eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen. Faizis Antrag wurde Ende Januar abgelehnt. «Ich verdiene zu wenig Geld, weil ich noch in der Ausbildung bin», nennt er die behördlichen Gründe. «Aber wie soll ich genug Geld verdienen, solange ich in Ausbildung bin?», fragt er rhetorisch. Die Absage sei ein Schlag gewesen. «Ich war fest überzeugt, dass das klappt.» Diese Sorge trage er nun mit sich herum.