«Ich erhole mich nicht auf dem Sofa»

Patrick Oetterli An der Berufswahl zweifelte er nie, denn seine Begeisterung für Musik führte den Sänger von Solothurn bis Wien und letztes Jahr von Luxemburg bis Brügge. Und sie hält sein Energieschwungrad in der richtigen Umdrehungszahl.

Patrick Oetterli in seinem Arbeitszimmer im alten Bauernhaus in Trimbach: «Als Gesangslehrer bin ich so etwas wie ein Austerntaucher.» (Bild: Franz Beidler)
Patrick Oetterli in seinem Arbeitszimmer im alten Bauernhaus in Trimbach: «Als Gesangslehrer bin ich so etwas wie ein Austerntaucher.» (Bild: Franz Beidler)

Einen freien Tag pro Woche: «Braucht man das?» Patrick Oetterli lacht vergnügt ob der rhetorischen Frage und lehnt sich im Sofa zurück. Die hölzernen Wände des Wohnzimmers im alten Trimbacher Bauernhaus sind weiss gestrichen. Die morgendliche Frühlingssonne strahlt durch das eine Fenster. Darunter steht ein Ohrensessel, mit rotem Cord überzogen, und ihm gegenüber ein Büchergestell. In den oberen Tablaren verschmelzen dichtgedrängte Buchrücken zu einem dicken, bunten Balken, unten steht ein Fernseher. In diesem Sessel sitzt der 55-jährige Musiker, wenn er um sieben Uhr morgens den Tag zusammen mit seiner Ehefrau Theresa Lehmann beginnt. «Der Fernseher läuft schon auch», erklärt er, «das Morgenmagazin der ARD.» Eigentlich aber liest Oetterli: den Tagesanzeiger oder das Oltner Tagblatt. «Ich bemühe mich um eine differenzierte Meinung.» Dazu gibt es Kaffee und Konfibrot. Danach muss er sich seinen Aufgaben als stellvertretender Musikschulleiter der Musikschule in Cham widmen. «Mails beantworten, telefonieren, das Tagesgeschäft halt», erklärt Oetterli nüchtern. Immer wieder mal fällt eine Lehrperson der Musikschule kurzfristig aus. Dann muss er eine Stellvertretung organisieren. Danach fährt er nach Cham und beginnt gegen Mittag Sologesang zu unterrichten. «Eigentlich bin ich Austerntaucher», sagt Oetterli schmunzelnd. Seinen Schülerinnen und Schülern wolle er helfen, die eigenen Perlen zum Vorschein zu bringen. «Das ist nicht spektakulär», sagt er. «Wenn jemand niedergeschlagen in die Stunde kommt und tanzend wieder davonzieht, dann war ich erfolgreich.»

Leiden für den Traumberuf

Dass Erfolg im Unterricht nicht nur Fachliches, sondern eben auch Menschliches einschliesst, musste sich Oetterli selber beibringen. Aus seinem Studium als klassischer Sänger am Konservatorium in Bern kannte er das nicht. «Damals herrschte ein Meister-Schüler-Verhältnis», erklärt er und erinnert sich an den Leitsatz: «Wenn du den Beruf des Sängers willst, dann musst du dafür leiden.» Oetterli wollte den Beruf unbedingt. «Daran habe ich nie gezweifelt.» In Solothurn, wo er aufwuchs, bekam er bereits mit acht Jahren Violinunterricht und trat den Singknaben bei. «Eigentlich nur, weil ein Kumpel sagte, bei den Singknaben würde Fussball gespielt», erinnert er sich lachend. Für Sport begeisterte sich Oetterli schon damals, versuchte sich in Fussball, Handball und Badminton. «Bis heute schaue ich jeden Samstagabend die Sportschau der ARD.» Als er jedoch während der Kantonsschule von einem Austauschjahr in Chicago, USA, zurückkehrte, hängte er alles an den Nagel, was ihm unwichtig schien: die Singknaben, den Violinunterricht und das Handballtraining. Stattdessen reiste er nun einmal pro Woche von Solothurn nach Bern in den Vorkurs zum Gesangsstudium, zusätzlich zum wöchentlichen Gesangsunterricht. Im Sommer 1989, Oetterli hatte eben das Studium in Bern abgeschlossen, nahm er an einer Meisterklasse in Salzburg teil. Da beschloss er, sich in Wien gesanglich weiterzubilden. «Im gleichen Sommer war ich an einer Opernproduktion in Olten beteiligt», erinnert er sich. Eine Grabszene hatte Oetterli zusammen mit seiner heutigen Ehefrau zu bestreiten, die er damals kennenlernte. «Ich lag im Grab und sie musste mich mit Grabgesang beweinen», erzählt er schmunzelnd. Ein halbes Jahr später waren die beiden ein Paar. Während den folgenden drei Jahren in Wien reiste er alle paar Wochen per Nachtzug in die Schweiz, um Konzerte zu geben, «und wegen Theresa.»

Zurück in Trimbach

Als Oetterlis drei Jahre in Wien 1994 zu Ende gingen, wurde ihm klar: «In einem halben Jahr brauche ich einen Job in der Schweiz.» Er trat eine Stelle als Gesangslehrer an der Musikschule Hünenberg (ZG) an, die er bis heute innehat und zog zusammen mit Theresa in das alte Bauernhaus ihrer Eltern in Trimbach. 1996 kam der gemeinsame Sohn Caesar zur Welt, der heute in Olten wohnt. «Einmal pro Woche gehen wir am Mittag zusammen essen, meist im Oltner Sälipark», berichtet Oetterli. Zusammen mit seinem Vater und Theresa rief er im Jahr 2000 die Konzertreihe «Fermata Musica» ins Leben. Unter dem Namen veranstaltet Oetterli seither jeden ersten Mittwoch im Monat in der Klosterkirche Namen Jesu in Solothurn klassische Konzerte. Im selben Jahr übernahm er die Solothurner Vokalisten, ein gemischter Kammerchor, den er seither dirigiert. Daneben ist Oetterli immer wieder sowohl auf, wie auch hinter der Konzertbühne anzutreffen. «An den Wochenenden arbeite ich freiberuflich», sagt er, als würde er seine Freizeit beschreiben. «Ich muss nur mein Energieschwungrad in der richtigen Umdrehungszahl halten», erklärt er die Fähigkeit zum Unermüdlichen. Auch seine Ferien verbringt Oetterli mit Musik: «Tütschi-Tour» nennen es Theresa und er. «Ein Tütschi ist eine Kathedrale», erklärt Oetterli schmunzelnd. Ihre Ferienreisen führen sie den alten Bauten nach, in denen sie jeweils Konzerte besuchen. «Im letzten Herbst fuhren wir über Luxemburg und Brüssel nach Brügge.» Oetterli schaltet nur im Sommer ganz ab: Als die heiligen drei Wochen beschreibt er seine Sommerferien. «Die verbringe ich ohne Verpflichtungen an irgendeinem Strand von irgendeinem Meer.»

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