«Ich bin Teil der Oltner Familie»

Michelle Wyss verteidigt Olten gegenüber Kritikern und die Sprache Französisch gegenüber Schülern, hat einen berühmten Grossvater, verpasst keine Ab-stimmung und ist ein kritisch denkender Mensch.

Michelle Wyss im Stadtzentrum von Olten. Wenn der Nebel die «Nebelstadt» fest im Griff hat, macht sie einen Ausflug auf den Hauenstein. (Bild: Sonja Furter)
Michelle Wyss im Stadtzentrum von Olten. Wenn der Nebel die «Nebelstadt» fest im Griff hat, macht sie einen Ausflug auf den Hauenstein. (Bild: Sonja Furter)

Als ehrlich, aufgeschlossen und tolerant beschreibt sich die Kauffrau Michelle Wyss. Politik, Medien und Soziale Ungerechtigkeit beschäftigen die 21-Jährige. «Mich macht es betroffen, wenn ich vom Syrien-Krieg lese und mir bewusst wird, dass mein grösstes Problem ist, dass ich keine Salatsauce mehr zu Hause habe». Sie interessiere sich deshalb für das politische Geschehen und nehme an jeder Abstimmung teil: «In einer Demokratie zu leben und sich darüber zu beklagen, dass es nicht gut läuft, aber nicht wählen zu gehen, ist Doppelmoral». Sie sei ein kritisch denkender Mensch, hinterfrage, was in der Zeitung stehe und wolle die Ursachen von Ereignissen begreifen. «Ich lese manchmal auch Mainstream-Medien, suche aber bewusst andere Quellen als Ergänzung, um mir eine eigene Meinung zu bilden. Zum Beispiel höre ich mir Vorträge des Schweizer Historikers und Friedensforschers Daniele Ganser an oder informiere mich auf der Nachrichtenplattform KenFM», erzählt Wyss. Sie wünsche sich, dass die Leute kritischer hinterfragen und nicht einfach alles glauben, was ihnen gesagt werde. Zum Beispiel in Bezug auf Vorurteile gegenüber der Stadt Olten. «Immer wieder höre ich von Personen, dass Olten «gruusig» sei. Wenn ich dann nachfrage, was genau ihnen an der Stadt nicht gefalle, verstummt mein Gegenüber meist».

Facebook-Gruppe

Olten habe überall schöne Ecken wie die Altstadt, die Eiskunsthalle, die Badi und verschiedene Pärke wie den Vögeligarten, schwärmt Wyss. «Die Stadt hat zu Unrecht einen schlechten Ruf». Auch sei Olten familiär, jeder kenne in der Stadt jeden. «Wenn mir ein Gesicht über den Weg läuft, das ich kenne, frage ich mich: Ist es der Kiosk-Besitzer oder der Bademeister? Das gibt mir das Gefühl, Teil der grossen Oltner Familie zu sein.» Auch seien die meisten Oltner stolz darauf, Oltner zu sein. «Wir sind eine kleine Stadt, aber die Facebook-Gruppe «Olten» hat mehrere tausend Mitglieder», freut sich Wyss, die in der Dreitannenstadt geboren und mit ihrer älteren Schwester Carmen im Schöngrund aufgewachsen ist. Als Kind sei sie ein Wirbelwind gewesen, erzählt Wyss. «Ich bin nicht gegangen, sondern gehüpft». Wenn ihre Eltern sie um acht Uhr ins Bett gebracht hätten, sei sie heimlich wieder aufgestanden und habe gebastelt.

Italienisches Blut in den Adern

Die Familie von Michelle Wyss lebt schon lange in Olten. Ihr Urgrossvater Jakob Wyss gründete eine Sattlerei, die ihr Grossvater Albert Wyss und später ihr Vater Stephan Wyss übernahmen. In ihrer Kindheit verbrachte Michelle Wyss darum oft Zeit im Geschäft des Vaters, wo sie spielte und Schaumstoff zusammentackerte. «Mein Grossvater lebt heute noch in einem grünen Eckhaus mitten im Stadtkern und viele in der Dreitannenstadt kennen ihn. Meine Mutter Jolanda Wyss arbeitet als Restaurationsfachfrau, Kauffrau und Hausfrau und ist halb Italienerin», erzählt Wyss und ergänzt lachend: «Mit meinen blonden Haaren glaubt mir jedoch keiner, dass zu einem Viertel italienisches Blut durch meine Adern fliesst». Ihren Freund kennt Wyss seit zehn Jahren, aber erst seit drei Jahren sind die beiden ein Paar. «Er war lange der beste Kollege meiner Schwester. Damals war ich 11 Jahre alt und er 15. Der Altersunterschied erschien uns riesig». In ihrer Freizeit ist Wyss in der Deutschschweiz unterwegs und besucht ihre Freunde in Thun, Niederlenz oder Niedergösgen. Oder sie dreht eine Runde durch die Oltner Altstadt. Und wenn der Nebel die «Nebelstadt» einmal fest im Griff hat, macht sie einen Ausflug auf den Hauenstein. «Dort scheint fast immer die Sonne.»

Wohin das Schicksal führt

Nach der obligatorischen Lehrzeit bewarb sich Wyss als Polygrafin. «Ich hatte den Wunsch, einen kreativen Beruf zu erlernen». Als sie keine Lehrstelle fand, entschied sie sich, ihr Französisch bei einem Aufenthalt in Genf zu vertiefen. In den kommenden neun Monaten habe sie nicht nur ihre Sprachkenntnisse verbessert, sondern sei auch selbstständiger geworden. «Die Mentalität und die Essgewohnheiten der Welschen unterscheiden sich von denen der Deutschschweizer. Das hat meinen Horizont erweitert». In der Schule sei Französisch ein Fach gewesen, das kaum jemand in ihrer Klasse mochte. «Heute bin ich begeistert von der Sprache und verteidige sie gegenüber Schülern, wie ich Olten gegenüber auswertigen Arbeitskollegen verteidige.» Nach dem Sprach- aufenthalt entschied sich Wyss für eine kaufmännische Ausbildung. Eine einzige Bewerbung genügte. Sie bekam die Lehrstelle. «Das KV ist eine solide Grundausbildung. Falls ich einmal einen eigenen Coiffeur Salon eröffnen möchte, weiss ich, was eine GmbH ist», lacht die
21-Jährige. Aktuell arbeitet sie in einem Temporärbüro, das sich darauf spezialisiert hat, Lehrabgängern bis zum Alter von 35 Jahren einen Job zu vermitteln. «Den Kundenkontakt schätze ich sehr». Sie wolle noch einige Jahre auf dem Beruf arbeiten, jedoch gerne nachher noch eine zweite Ausbildung machen. «Vielleicht Geschichte studieren…?», fragt sie im Hinblick auf ihr Interesse für Politik. «Ich schaue, wo das Schicksal mich hinführt».

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