«Ich bin direkter als Schweizer»

Marcela Schmuziger ist als 14-jährige vor den Unruhen des Prager Frühlings in die Schweiz geflohen, hat ihren Mann in der Badi Olten kennen gelernt und begleitet einen afghanischen Asylsuchenden auf seinem Lebensweg.

Nach fast 50 Jahren in Olten spricht die gebürtige Tschechin Marcela Schmuziger fliessend Dialekt und findet: «Die Schweizer Kultur hat mich stärker geprägt als mein Heimatland.» (Bild: Sonja Furter)
Nach fast 50 Jahren in Olten spricht die gebürtige Tschechin Marcela Schmuziger fliessend Dialekt und findet: «Die Schweizer Kultur hat mich stärker geprägt als mein Heimatland.» (Bild: Sonja Furter)

Auf dem Tisch steht eine Schale mit tschechischen Weihnachtsguetzli. «Ob sie anders schmecken als Schweizer Weihnachtsguetzli, weiss ich nicht», lacht die gebürtige Tschechin Marcela Schmuziger. Die 64-Jährige spricht fliessend Mundart mit leichtem Akzent und streut gelegentlich hochdeutsche Wörter in den Redefluss ein. «Aufgewachsen bin ich in Prag, mitten im Zentrum, neben dem Wenzelsplatz. Der Park war mein Spielplatz, auf dem ich mit den Nachbarsjungen Murmeln geworfen und Fussball gespielt habe.» In der ehemaligen Sowjetunion hätten die Schüler russische Geografie bis zum kleinsten Fluss gelernt, aber kaum etwas über Europa oder die USA erfahren, erzählt Schmuziger. «Meine Eltern waren Gegner des Kommunismus. Bereits als Kind ist mir jedoch eingebläut worden, dass ich diese Kritik nicht nach aussen tragen darf.»

Ferien-Flüchtling

Als russische Truppen 1968 während des Prager Frühlings in die Hauptstadt einmarschierten, weilte die Familie gerade auf der Insel Istria in den Ferien. Schmuzigers Eltern entschieden sich, nicht mehr nach Tschechien zurückzukehren, sondern über Österreich die Flucht in den Westen zu wagen. «Erholt und braun gebrannt stieg ich in den Zug. Ich war sozusagen ein Ferien-Flüchting.» In Wien angekommen musste die Familie zehn Tage in einem Flüchtlings- lager in einer alten Fabrik mit schlechten hygienischen Verhältnissen verbringen, bevor sie in die Schweiz einreisen konnte. Bei der Ankunft in Olten war Marcela Schmuziger vierzehn Jahre alt und konnte kein Wort Deutsch. «Ich wurde eingeschult und konnte mich nicht verständigen.» Das habe sie so geärgert, dass sie die Sprache innert sechs Monaten gelernt habe, erzählt sie. Ihr Charakter habe sich durch die Flucht nicht geändert, findet sie, jedoch habe ihre eigene Erfahrung mit Migration zur Entscheidung beigetragen, einen minderjährigen afghanischen Asylsuchenden bei sich aufzunehmen. «Mich mit ihm über kulturelle Unterschiede auszutauschen ist spannend. Ein Grundsatz von mir ist, nicht zu erziehen, sondern auf dem Weg zu begleiten.»

Alle vier Jahre eines

Nach der Kantonsschule machte Schmuziger eine Ausbildung zur Programmiererin und arbeitete später als Sekretärin für das Architekturbüro ihres Mannes Klaus Schmuziger. Kennen gelernt hatte sich das Paar in der Badi in Olten. «Das ist ein idealer Begegnungsort, an dem sich keiner verstecken kann.» Wer den ersten Schritt gemacht habe, wisse sie nicht mehr. «Aber es war schnell klar, dass er der Richtige ist.» Die Hochzeitsglocken läuteten als Marcela 22 Jahre alt war. Sechs Kinder habe ihr Ehemann sich gewünscht, sie fand, dass das wohl etwas viele seien und fügt lachend an: «Als guten Kompromiss sind es dann vier Kinder geworden. Im Schnitt also alle vier Jahre eines.»

Frau Spale in Basel

«Ich bin eine arbeitende Grossmutter», lacht die Schulleitungssekretärin aus Basel, die jeden Donnerstag Besuch von ihren Enkeln erhält. «Ich steige gerne in den Zug, um zur Arbeit zu fahren. Verglichen mit Prag ist Basel zwar eine kleine Stadt. Wegen den «grüene Drämmli», die durch die Strassen fahren, aber doch städtischer als Olten.» Ihr lediger Name Spale hätte gut zu ihrem Arbeitsort gepasst, lacht Schmuziger und ergänzt: «Wenn ich zum wiederholten Mal erklären muss, dass man Schmuziger ohne «tz» schreibt, wünschte ich manchmal, ich hätte den Namen Spale behalten.» In Olten hat die berufstätige Grossmutter den Mutter-Kind-Treff und die Ludothek mitbegründet und war lange Präsidentin der Spielgruppe. Seit mehreren Jahren betreut sie mit viel Engagement die Skitage des Skiclubs Olten für Kinder und Jugendliche sowie die Schneespass- tage «Snow Days», an denen jeweils über 400 Schulkinder teilnehmen. In ihrer Freizeit pflanzt und jätet die 64-Jährige im Garten, geht schwimmen, backt Guetzli oder fertigt Druckgrafiken an. «Wenn ich am Abend mit einem Buch in den Händen im Bett liege, bleiben mir oft nicht mehr viele Seiten, bevor mir die Augen zufallen.»

Vermisst das Grossstadt-Gefühl

Mehr als zwei Drittel ihres Lebens hat Schmuziger in der Schweiz verbracht. «Nach fast fünfzig Jahren in Olten bin ich stärker geprägt von der Schweizer Kultur als von meinem Heimatland.» Dabei habe sie bei ihrer Ankunft gar nicht lange in Olten bleiben wollen. Die Stadt sei ihr zu klein, zu provinziell und zu wenig urban erschienen. «Mir fehlten die grosse Menge an Menschen, wie ich es von Prag kannte.» Das Grossstadt-Gefühl vermisst sie bis heute in Olten, dafür schätzt Schmuziger, dass sie Kinder, Enkel, Freunde und Bekannte trifft, wenn sie durch die Strassen schlendert. «Mein Freundeskreis ist hier und die Dreitannenstadt hat kulturell viel zu bieten.» Eine typisch tschechische Eigenart hat sie sich trotz all der Jahre in der Fremde bewahrt. «Die Tschechen sind direkter als die Schweizer und das bin ich immer noch.»

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