Gastspiel in Wolfwil nach Fussmarsch
Briefgeschichten Am letzten Novembersonntag des Jahres 1906 lud der Katholische Jünglingsverein Hägendorf-Rickenbach zu einem Spaziergang ein.
Der Katholische Jünglingsverein (KJV) Hägendorf-Rickenbach lud am Nachmittag des letzten Novembersonntags 1906 zu einem Vereins-Spaziergang nach Wolfwil ein. Die Besammlung bei der Hägendorfer Dorfbrücke war auf halb zwölf Uhr angesetzt. Da sollte die Zeit völlig reichen, um zu Fuss in den stattlichen Aaregäuer Ort zu gelangen. Ziel der eigentlich rund zweistündigen Wanderung war das Gasthaus «zum Goldenen Schlüssel» in Wolfwil.
Im Theatersaal des «Schlüssels» gab der «löbliche Kath. Jünglingsverein Hägendorf-Rickenbach» um drei Uhr nachmittags nämlich ein Gastspiel. Oder, wie es im Inserat des Anzeigers für das Gäu und Thal heisst, ein «Konzert mit theatralischer Aufführung».
Die Palette war entsprechend bunt. Den Auftakt machten die Sänger des Hägendorfer Jünglingsvereins mit dem Männerchorlied «Mein Schweizerland, wie bist du schön», gefolgt von einem Solisten, der auf seinem Kornett den «Trompeter von Säckingen» intonierte. Im Zentrum der Nachmittagsvorstellung standen zwei Theaterstücke. Als erstes führte der KJV Hägendorf-Rickenbach «Der Arbeit Preis›» auf, ein Schauspiel in drei Akten des deutschen Pfarrers und Autors Florian Wengenmayr, danach spielte er den kürzeren Schwank «Poschias und sein Diener». Umrahmt wurden diese dramatischen Aufführungen von Harmoniemusik und Gesang, etwa von den Liedern «Die fidelen Schneiderjungen» oder von «Müller und Schneider», einem komischen Zank-Duett. Mit dem Marsch «Frohe Heimkehr» verabschiedete sich der Berggäuer Jünglingsverein vom Publikum.
Die Inszenierung im Wolfwiler Schlüssel-Säli war eine mit zusätzlichen Elementen angereicherte frühere Version. An den Sonntagen 28. Oktober und 4. November des selben Jahres hatte der KJV Hägendorf-Rickenbach bereits Theaterstücke aufgeführt. Im Saal des Restaurants Julius Rötheli in Hägendorf hatten die Jungmänner die beiden Schauspiele «Meister Faustgerecht» und eben «Der Arbeit Preis» auf die Bühne gebracht. Die Eintrittsbillete kosteten auf dem ersten Platz 80 Rappen, auf dem zweiten Platz 50 Rappen, die Kinder bezahlten die Hälfte.
Der Jünglingsverein Hägendorf-Rickenbach war einer unter vielen. Im Bestreben der Katholiken, die Leute in sämtlichen Lebensabschnitten und sozialen Gruppen zu organisieren, gab es Frauen- und Töchtervereine, die Katholische Arbeiterbewegung, Kath. Abstinenten-Liga, Bruderschaften und so weiter. Und als Teil dieses Milieukatholizismus eben die katholischen Jünglingsvereine (KJV).
In Olten ist ein KJV im Adressbuch 1897 verzeichnet. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden Jünglingsvereine in Kestenholz, Oberbuchsiten, Egerkingen, Laupersdorf, Mümliswil-Ramiswil, Balsthal-Klus. Am 30. Oktober 1904 beging der im Vorjahr von Pfarrer Karl Albert Sulzberger gegründete Trimbacher Jünglingsverein seine erste Stiftungsfeier mit einem grossen Festakt im Rösslisaal.
Gründung mit 41 Mitgliedern
Der katholische Jünglingsverein der Kirchgemeinde Hägendorf-Rickenbach trat mit einer Weihnachts-Unterhaltung am 25. Dezember 1904 im «Rötheli» erstmals an die Öffentlichkeit. Geboten wurde ein «reichhaltiges Programm», mehr ist dem Werbe-Inserat nicht zu entnehmen. Nur eine Zeitungsnotiz gibt einen Eindruck vom Gebotenen: «Die kleine theatralische Aufführung sowohl wie die übrigen Vorträge und komischen Scenen wurden gut gegeben, teilweise sehr gut. Der Verein verspricht etwas zu werden, an tüchtigen Kräften fehlt es ihm nicht. Auch Hr. Lehrer Hagmann darf auf Erfolg rechnen mit den jungen Sängern, das Stimmaterial ist vorhanden und bedarf nur der Uebung. Wir hoffen, den jungen Verein bald wieder zu geniessen.»
Effektiv gegründet wurde die Katholische Jungmannschaft Hägendorf-Rickenbach – wie sie später hiess – mit 41 Mitgliedern am 3. Januar 1904. In der Blütezeit gab es 13 Untersektionen, wo geistiges Wissen in Vorträgen, körperliche Ertüchtigung und religiöse Erziehung der jungen Männer gepflegt wurde. Insbesondere erfreuten sie von Beginn weg die Dorfbevölkerung mit den traditionellen Theater- und Unterhaltungsabenden.
Die Einladungskarte ist adressiert an «Herrn Theodor Glutz, Müller, in Rickenbach b. Hägendorf». Die Familie Glutz war seit 1870 im Besitz der Mühle an der Dünnern bei Rickenbach. Theodor versuchte, das Geschäftsfeld auszuweiten und beabsichtigte, eine chemische Fabrik zu errichten. Deren Leitung sollte sein Bruder Ludwig Glutz übernehmen. Als jedoch Ludwig Glutz vorzeitig verstarb, platzten Theodors Pläne.