Ganz und gar dem Buch verschrieben

Was macht eigentlich? 40 Jahre prägte Sibylle Scherer die Stadtbibliothek Olten als Mitarbeiterin und Leiterin. Auch im dritten Lebensabschnitt sind Bücher ihre Leidenschaft – als Co-Autorin hat sie jetzt sogar ein eigenes Buch geschrieben.

Steht sie vor einem Bücherregal, ist für Sibylle Scherer die Welt in Ordnung. (Bild: Caspar Reimer)
Steht sie vor einem Bücherregal, ist für Sibylle Scherer die Welt in Ordnung. (Bild: Caspar Reimer)

«Lesen und Schreiben. Das ist mein Leben», sagt Sibylle Scherer beim Interview im Café der Buchhandlung Schreiber an der Kirchgasse in Olten. 40 Jahre hat die aufgeweckte Frau in der Stadtbibliothek Olten gearbeitet, die sechs letzten Jahre bis 2019 als deren Leiterin. Manchmal wurde sie von Kundinnen und Kunden, die sich ihrem breiten literarischen Fundus wegen überrascht zeigten, gefragt, ob sie alle Bücher in der Bibliothek gelesen habe. «Natürlich war das nicht der Fall. Es wäre gar nicht möglich und ich wollte das auch nicht. Aber als Bibliothekarin muss man eine Übersicht haben, wissen, wo was zu finden ist. Dabei ist es sicher von Vorteil, wenn man etwa die verschiedenen Epochen kennt und auch weiss, was gerade angesagt ist.»

Die 67-Jährige ist in Olten aufgewachsen, studierte in Zürich Altphilologie, um dann wieder nach Olten zurückzukehren und eine Ausbildung als Bibliothekarin zu absolvieren. Sie begann in der Stadtbibliothek zu arbeiten, blieb dort 40 Jahre ihres Berufslebens: «So lange am selben Ort zu arbeiten, gilt heute nicht mehr unbedingt als Gütezeichen», sagt sie lachend. «Aber die Arbeit hier in Olten hat mir einfach sehr gut gefallen.» Sie mochte den Wechsel zwischen konzentrierter Arbeit, wenn sie Bücher katalogisierte, und dem Kontakt mit Menschen. Das Katalogisieren sei weit mehr als einfach Bücher am richtigen Ort einzusortieren: «Es ist eine Wissenschaft für sich, mit hunderten von Regeln, die man alle im Kopf haben muss», erzählt sie. In ihrer Anfangszeit arbeitete sie mit Kärtchen und Schreibmaschine, mittlerweile sei alles digitalisiert: «Da hat sich in den letzten Jahren extrem viel verändert.» Als Bibliothekarin musste sie auf die unterschiedlichsten Kundenwünsche eingehen. Sei es, ob jemand einen Ratgeber zur Entkalkung eines Lavabos oder ein Sachbuch über Irland suchte. «Unser Ziel war es immer, dass niemand ohne Antwort, also ohne Buch, aus dem Haus geht. Das war das oberste Gebot.»

Vom Magazin zum Regal

Nicht nur die Arbeitswerkzeuge, auch die Stadtbibliothek selbst hat sich in 40 Jahren stark verändert: «Als ich angefangen hatte, steckten wir noch im 19. Jahrhundert, waren eine Magazinbibliothek.» Kunden kamen also an den Tresen und wünschten ein Buch zu einem bestimmten Thema, worauf die Bibliothekare dieses oder eine Auswahl im Magazin holten. «Dabei war der Kunde stark von meiner Kompetenz abhängig, er musste das Buch nehmen, das ich ihm vorsetzte.» Erst auf 1993 stellte man in Olten auf eine Bibliothek mit für Kundinnen und Kunden zugänglichen Bücherregalen um. Dafür musste zuvor die ganze Bibliothek mit rund 140 000 Büchern in ein Provisorium in der Rötzmatt gezügelt werden, während das Gebäude an der Hauptgasse komplett ausgehöhlt und umfassend saniert wurde. «Zwei Jahre waren wir im Provisorium. Nachher war es eine andere Bibliothek als zuvor, schön und modern.»

In das Lied vom «Untergang des Buches», wie sie es ausdrückt, möchte Sibylle Scherer nicht einstimmen. «Das Buch ist eine geniale Erfindung, es ist etwas Einmaliges. Viele Leute sind froh, wenn sie, nachdem sie einen Tag vor dem Computer gesessen und auf den Bildschirm geschaut haben, am Abend ein Buch in die Hand nehmen können.» Bei ihrer Arbeit hat sie beobachtet, dass Lesen von den Eltern an die Kinder weitergegeben wird: «Kinder, die mit ihren Eltern in die Bibliothek kamen, sind nach einer Pause während der Pubertät wieder gekommen. Etwas schwieriger ist es für jene, die auch in der Kindheit keinen Zugang zu Büchern hatten.»

Mozart, Alter und Neujahrsblätter

Auf die Frage, wie ihr, die immer Vollzeit gearbeitet hat, der Übergang in die Pensionierung gelungen sei, sagt sie: «Viele Leute haben mich in der Zeit davor immer wieder darauf angesprochen, mir Tipps gegeben, wie ich mein Dasein als Rentnerin gestalten müsse, aber ich habe in meinem Innersten gewusst, dass mir das gelingen wird. Mir war es schliesslich noch nie in meinem Leben langweilig.» Sie hat sich zwar vorgenommen, im ersten halben Jahr ihrer Pension keine Aufträge anzunehmen, doch bereits am ersten Montag ihres neuen Lebensabschnitts bekam sie einen Anruf vom «Verein Schweizer Mozartweg», der zweimal im Jahr eine Mozart-Postille herausgeben und sie dafür ins Boot holen wollte. «Ich nahm den Auftrag an. Ich dachte mir, wenn ich jetzt immer Nein sage, kommen mit der Zeit keine Anfragen mehr.»

Weiter schreibt sie an einer zweimal jährlich erscheinenden Publikation der «IG Aktives Alter Olten» mit: «Dabei werden altersrelevante Themen beleuchtet. Grundsätzlich geht es darum zu zeigen, dass der dritte Lebensabschnitt viel mehr ist, als sich nur auf den Tod vorzubereiten.» Ihr Engagement im Redaktionsteam der Oltner Neujahrsblätter, für das sie schon vor ihrer Pensionierung tätig war, setzt sie mit grosser Freude an der Sache fort.

Tierisches Buch

Wer meint, mit den erwähnten Engagements hätte sich die Liste von Scherers Tätigkeiten erschöpft, irrt: Soeben hat sie zusammen mit einem Tierarzt aus Wangen ein Buch fertiggeschrieben. «Es ist eine Mischung aus Bi über den Tierarzt, Fachbuch zum Thema Veterinärmedizin und Tiergeschichten, die der Arzt selbst verfasst hat.» Das Buch wird im kommenden Frühling im Knapp-Verlag erscheinen. «Es war spannend, sich ins Thema Tiermedizin zu vertiefen.» Weiter arbeitet sie zusammen mit Sibylle Wyss, Präsidentin des Vereins «Freundinnen und Freunde des gepflegten Buches», an einer Jubiläums-Festschrift für Fragile Suisse, der Patientenorganisation für Hirnverletzte. Dafür macht sie Interviews mit betroffenen Personen. «Ich kann mich mit ganz verschiedenen Themen beschäftigen. Das ist sehr ähnlich wie damals in der Bibliothek», meint sie schmunzelnd.

Seit 45 Jahren lebt Sibylle Scherer in einer festen Partnerschaft. Kinder und Grosskinder hat sie keine: «Viele Frauen in meinem Alter sind jetzt als Grossmama eingespannt. Mir geht das halt völlig ab, auch wenn ich es schön finde.»

Dafür hat die Büchernärrin viel Zeit um zu lesen, sich in Themen zu vertiefen. «Ich habe drei Tageszeitungen abonniert. Da geht mir des Lesestoff nicht so schnell aus.»

 

kurz und knapp

Dieses Buch kann ich wärmstens empfehlen

(überlegt lange) «Nicht Anfang und nicht Ende» von Plinio Martini.

Auf diesen Gegenstand kann ich nicht verzichten

Auf eine Kaffeetasse und eine Füllfeder.

An diesem Ort gefällt es mir ausgezeichnet

In einer Bibliothek natürlich. Und im Tessin, das ich besonders mag und wo ich auch regelmässig gerne hinfahre.

Weitere Artikel zu «Im Fokus», die sie interessieren könnten

Im Fokus28.02.2024

Wirz-Burri – Kolonialwaren und Delikatessen am Bifangplatz

Briefgeschichten Am Bifangplatz befand sich vor rund hundert Jahren an prominenter Lage der Laden zum «Bifanghof» von Paul Wirz-Burri. Die…
Im Fokus28.02.2024

«Unsere Lieder sind Medizin für unsere Herzen»

Olten Der Gedenkanlass «Zwei Jahre Krieg in der Ukraine» in der Stadtkirche wurde von weit über 200 Personen besucht.
Im Fokus28.02.2024

Gefrässig und vermehrungsfreudig

Asiatische Hornisse Die Verbreitung der Asiatischen Hornisse bedroht einheimische Bienenvölker. Die Bevölkerung ist dazu aufgerufen, Sichtungen zu…