Eine über Jahrzehnte währende Hassliebe
Im Gespräch Seit mehr als 40 Jahren ist Patrick Lüthy als Fotograf tätig. Er hat bereits mehrere Fotobücher herausgegeben. Sein jüngstes Werk widmet sich der Autobahn im Kanton Solothurn.
Wir nehmen Platz auf einem Holzbänkli am Waldrand. Hier nimmt das bekannte 1000er-Stägeli seinen Anfang. Links von uns liegt ein dunkles Waldstück, rechts eine sattgrüne Wiese. Eigentlich ein idyllisches Fleckchen Erde. Aber da ist eben auch ein permanenter Lärmteppich, der weder dem Gezwitscher der Vögel noch dem Gezirpe der Grillen eine echte Chance lässt. Der vielbefahrene Abschnitt der Autobahn A1 prägt die an sich liebliche Landschaft zwischen Aarburg und Boningen doch sehr.
Genau diese Gegensätze zwischen idyllischer Natur und hektischem Autobahntreiben sind Thema im Fotobuch «Autobahn – Einmal rund um die Autobahn im Kanton Solothurn» von Patrick Lüthy. Der 62-jährige Fotograf hat seinen Bildband, angereichert mit Textbeiträgen des Oltner Historikers Urs Amacher, kürzlich publiziert. Während Monaten war er zu Fuss und per Velo beidseits aller Abschnitte der Solothurner Autobahnen unterwegs gewesen, immer mit der Fotokamera natürlich. Die dabei eingefangenen eindrücklichen Fotos sind konsequent in Schwarz-Weiss gehalten.
Eine Art Hassliebe zur Autobahn begleitet Lüthy, aufgewachsen in Oberbuchsiten und heute in Egerkingen wohnhaft, schon zeit seines Lebens. Er erinnert sich, als kleiner Bub mit seinem Vater auf die Tiefmatt oberhalb Oberbuchsitens gewandert zu sein. «Der Vater hat da zu mir gesagt: ‹Wenn du mal gross bist, ist hier alles überbaut.› An diese Worte denke ich noch heute oft zurück, wenn ich unterwegs bin, zum Beispiel mit meinen beiden Söhnen.» Und als der Belchen-Tunnel 1970 eröffnet wurde, durfte er als kleiner Primarschüler im Kinderchor mitten im Tunnel singen.
Absage an die Kunstgewerbeschule
Fast ebenso lange ein treuer Begleiter ist die Fotografie – dabei hatte er damals ziemlich zufällig zu der gefunden. Nach der obligatorischen Schulzeit wollte Lüthy eigentlich Grafiker werden und bewarb sich um die Aufnahme an der Kunstgewerbeschule in Luzern. Er bestand die Prüfung, sagte aber schliesslich ab. Während des letzten Monats in der Schule war der Gäuer auf ein Inserat aufmerksam geworden, in dem eine Lehrstelle als Fotograf angeboten wurde.
Die Chemie mit dem potenziellen Lehrmeister stimmte. Lüthy eröffnete seinen Eltern, dass er nicht an die Kunstgewerbeschule gehen wolle, sondern stattdessen eine Fotografenlehre in Olten machen werde. «Meine Eltern waren entsetzt und sagten, das komme gar nicht in Frage. Doch ich wollte das unbedingt und sagte in Luzern ab.»
Eine Fotolehre Mitte der 70er-Jahre, das hiess viel Chemie, Labor, analoge Fotografie. «Ich machte eine klassische Fotografenausbildung.» Bald kam er auch mit der Pressefotografie in Berührung, etwa bei Demonstrationen der damaligen Anti-AKW-Bewegung. Zu diesem Thema entstand dann auch sein erstes Buchprojekt, zusammen mit seinem Lehrmeister Thomas Ledergerber. Weitere Bildbände sollten folgen.
Kaum aus der Lehre, lernte er einen Fotografen einer grossen Agentur in Zürich kennen. Lüthy nahm die Herausforderung an und wechselte als junger Fotoreporter in die Limmatstadt. «An meinem ersten Arbeitstag überfielen RAF-Terroristen eine Bank. Die Kollegen riefen: ‹Lüthy, Kamera nehmen, an den Paradeplatz, fotografieren!›» Am nächsten Tag erschienen Lüthy-Bilder in der NZZ. Später dokumentierte er regelmässig die Jugendunruhen im Zürich der 80er-Jahre.
Zwei längere Südamerika-Aufenthalte
Nachdem er seine Frau kennengelernt hatte, bereiste das Paar Südamerika. Den Lebensunterhalt bestritt Lüthy mit Fotoreportagen. Nach einem Jahr folgte die Rückkehr in die Schweiz, wo er mit einem Kollegen eine Fotoagentur gründete und jahrelang betrieb. 1997 wollte Lüthy mit seiner Familie endgültig nach Argentinien auswandern. Doch das Unterfangen missriet. Die Wirtschaftskrise in Argentinien verhinderte, dass das Ehepaar Lüthy mit seinen zwei Söhnen richtig Fuss fassen konnte in Buenos Aires. Patrick Lüthy kehrte in die Schweiz zurück und gründete Ende der 90er-Jahre in Olten seine Einzelfirma IMAGOpress.
Seither arbeitet er als freischaffender Fotoreporter. Grosse Zeitungen gehören und gehörten ebenso zu seinen Kunden wie Fachmagazine oder Broschüren von Institutionen. «Ich mache eigentlich alles. Alles ausser Hochzeiten.»
Corona bedeutete auch für Patrick Lüthy einen markanten Einschnitt. «Als das anfing, war meine Agenda vom einen Tag auf den anderen leer.» Inzwischen verbessert sich seine Auftragslage wieder ein wenig, allerdings sehr zögerlich und noch in zu geringem Umfang. Über mangelnde Zeit für sein Buchprojekt konnte er sich während der vergangenen Monate also nicht beklagen. Die Idee, einen Bildband rund um die Autobahn im Kanton Solothurn zu erstellen, geisterte allerdings schon vor Corona in Lüthys Kopf herum. 2019 lancierte er das Projekt.
Das Buch, das beim Autor oder den Oltner Buchhandlungen erhältlich ist, gliedert sich in vier Wanderetappen. Ein Kapitel dreht sich zudem um die fleissigen Helferlein auf der Autobahn, um die Polizei und den Werkhof. Ob Lüthys Werk andere inspirieren wird, sich der Autobahn im Kanton mal per pedes zu nähern? Lachend sagt er: «Meine Frau hat gemeint, ich sei der Erste und Letzte, der diese Wanderung mache.» Aber die Tour biete viel Spannendes, versteckte Schönheiten, die einem vielleicht erst auf den zweiten Blick auffielen. «Ich war immer wieder verblüfft über den Kontrast.» Er meint den Kontrast zwischen der Hektik der Autobahn und der Naturidylle in unmittelbarer Nachbarschaft. So wie beim Holzbänkli am Fuss des 1000er-Stägelis.
Diese Person möchte ich gerne mal treffen
Peter Bichsel. Ihn habe ich zwar schon einige Male fotografiert. Aber ich würde mich auch gerne mal vertieft mit ihm unterhalten. Ihn mag ich, er kann die Eigenart der Schweiz sehr treffend analysieren.
So entspanne ich mich am besten
In der Natur, beim Wandern vor allem.
Dieses Verhalten ärgert mich
Wenn ich da einen Bezug zu meinem aktuellen Buch herstellen darf: all der Abfall entlang der Autobahn. Bei sämtlichen Ein- und Ausfahrten stösst man auf viel Müll, den die Leute einfach sorglos aus dem Fenster werfen.