Ein Schutzwall rund um Olten

Fortifikation Hauenstein Der Erste Weltkrieg beeinflusste auch die Region Olten massiv. Bis heute trifft man im Gebiet des Unteren Hauensteins auf Überbleibsel der Fortifikation Hauenstein. Sie gehörte zu den wichtigsten Verteidigungslinien der Schweizer Armee. Der ehemalige Oltner Stadtbibliothekar Christoph Rast führt durch eine Reise in eine Zeit, in der die Angst vor Krieg bittere Realität war.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs bauten Arbeiter und Soldaten die Militärstrasse, um auf den Hauenstein zu gelangen. (Bild: ZVG)

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs bauten Arbeiter und Soldaten die Militärstrasse, um auf den Hauenstein zu gelangen. (Bild: ZVG)

Christoph Rast.

Christoph Rast.

Insgesamt wurden in der Region Olten 66 Schützengräben gebaut. (Bild: Cyrill Pürro)

Insgesamt wurden in der Region Olten 66 Schützengräben gebaut. (Bild: Cyrill Pürro)

Eine Sappeur-Einheit hat sich im Zweiten Weltkrieg verewigt. (Bild: Cyrill Pürro)

Eine Sappeur-Einheit hat sich im Zweiten Weltkrieg verewigt. (Bild: Cyrill Pürro)

Das Wasserreservoir diente im Zweiten Weltkrieg als Kommandoposten. (Bild: Cyrill Pürro)

Das Wasserreservoir diente im Zweiten Weltkrieg als Kommandoposten. (Bild: Cyrill Pürro)

Im August 1914 rumort und brummt es im unscheinbaren, ruhigen Weiler Ifenthal. Arbeiter und Soldaten marschieren die Wege hinauf, mit Pferden und Traktoren werden Geräte, Sprengstoff und Munition den Berg hochtransportiert. Die Soldaten und freiwilligen Helfer, darunter auch Gastarbeiter aus Italien, greifen zu Steinpickel und Schaufel und ebnen im 24-Stunden-Betrieb den Weg nach oben. Da soll eine massive und schwerbewaffnete Verteidigungslinie wie ein Hufeisen rund um Olten entstehen: die Fortifikation Hauenstein.

Denn seit Sommermitte 1914 herrscht Krieg in Europa, die Mittelmächte kämpfen gegen die Entente. Mittendrin, von Kriegsparteien umgeben, liegt die kleine, neutrale Schweiz. Den Kriegsausbruch beantwortet die Schweizer Armee mit der Grenzbesetzung, drei grosse Verteidigungslinien werden erbaut: auf dem Hauenstein, in der Region Murten und im Südtessin.

Wappen aus der ganzen Schweiz

Der ehemalige Oltner Stadtbibliothekar Christoph Rast kennt sich mit der Fortifikation Hauenstein aus. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der einstigen Verteidigungslinie sowie der gesellschaftlichen Lebensweise in der Region Olten während der Kriegsjahre. Zudem ist er Mitglied im Vorstand des Vereins «Fortifikation Hauenstein», der sich um die Erhaltung der Anlagen sowie um die geschichtliche Aufarbeitung der Oltner Geschichte im Ersten Weltkrieg kümmert.

Die Belchen-Südstrasse, auf der Rast steht, habe vor dem Ersten Weltkrieg nicht existiert. «Die Armee baute die Militärstrasse in Windeseile, es musste alles sehr schnell gehen», erklärt der Historiker weiter. Den abgetragenen Stein hat man als Fundament für die Strasse verwendet. Die Pläne für die Fortifikation, auch «Brückenkopf Olten» genannt, wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erstellt, als die Spannungen in Europa zunahmen und die Gefahr einer bewaffneten Eskalation immer wahrscheinlicher wurde. Ziel der Festung war es, den Eisenbahnknotenpunkt Olten sowie alle Brücken bis und mit Aarburg zu schützen und den Einmarsch ins Mittelland beim Angriff einer feindlichen Armee zu verhindern.

Auf dem Weg die Belchen-Südstrasse hinauf erklärt der 71-Jährige, dass zwischen Kriegsbeginn 1914 und Kriegsende 1918 ungefähr zwei Drittel der Armeeangehörigen ihren Dienst im Hauenstein-Gebiet geleistet haben. «Die Soldaten haben sich in der Felswand entlang der neuen Strasse verewigt», erklärt Rast und zeigt auf die vorbeiziehenden Bataillons- und Kantonswappen. Hier mal ein Zürcher Wappen, wenige Meter später eines aus dem Tessin: Die meisten sind ausgebleicht, ein paar hingegen sehen aus, als wären sie frisch aufgemalt worden. «Wir sind gerade daran, die Wappen zu restaurieren», ergänzt Rast seine Schilderungen. Es ist ein laufendes Projekt der Offiziersgesellschaft Olten.

Der Blick zu den Vogesen

Die Tour geht weiter auf die Belchenflue. Da steht noch ein altes Wasserreservoir der Armee. Die Wasserversorgung stellte zur Zeit des Ersten Weltkrieges ein grosses Problem dar. «Das Wasser war hier oben sehr knapp, Soldaten und Arbeiter schleppten eigenes Trinkwasser auf den Hauenstein mit», schildert Rast, während er in das Reservoir führt. Durch Verunreinigungen seien dann auch immer mehr Krankheiten ausgebrochen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Reservoir dann in eine Kommandozentrale umfunktioniert. Davon zeugt noch eine grosse Wandbemalung einer Sappeur-Einheit, die damals auf dem Hauenstein gedient hatte.

Christoph Rast führt weiter auf den Gipfel der Belchenflue. Was heute ein beliebtes Ausflugsziel von Wanderern ist, diente der Armee im Ersten Weltkrieg als Wachposten. Früher habe der Belchen noch eine Spitze gehabt. Dazu erklärt Rast: «Die Spitze des Gipfels wurde abgesprengt, damit ein Beobachtungsposten entsteht.» Vom Posten aus hätten die Soldaten einen «perfekten» Blick bis nach Basel und über die deutsche und französische Grenze gehabt. Er zeigt mit dem Finger in Richtung Norden und deutet mit seinen Bewegungen eine Bergkette an. «Von hier aus sieht man bis zu den Vogesen. Bis in die Region also, wo sich die verfeindeten Truppen einen erbitterten Kampf lieferten», sagt der Bibliothekswissenschaftler. Bei genauerem Hinsehen sind die Umrisse der Vogesen zu erkennen.

Vor allem den Wachen, die nachts auf diesem Beobachtungsposten ihren Wachdienst leisteten, bot der Blick auf den Kriegsschauplatz eine andere Sichtweise auf den Krieg. «Das muss für Soldaten sehr einprägend gewesen sein; die Einschläge der Granaten zu hören und die Auswirkungen der Explosionen zu sehen», kommentiert Rast. Dann wendet er sich wieder Richtung Süden und zeigt auf die grosse Dampfsäule des Kernkraftwerks. Bei Obergösgen habe die Fortifikation angefangen und sich über den Wisenberg, den Hauenstein bis über die Belchenflue zum Ruchen nach Hägendorf gezogen. «Die letzten Schützengräben zogen sich dann von Hägendorf bis hinunter nach Boningen zur Aare», ergänzt Rast. Die Länge der Fortifikation betrug 48 Kilometer, insgesamt gab es 66 Schützengräben und 126 Geschütze.

Bei Kriegsbeginn lief die Propaganda-Maschine auch in der Schweiz auf Hochtouren, Kriegseuphorie herrschte. «Die jungen Männer hatten ein kriegsfremdes Bild im Kopf; sie dachten ans Zelten, ans Feuer unter freiem Himmel und an die kameradschaftlichen Abenteuer. Die Vorstellungen waren damals ähnlich, wie man sie heute von der Rekrutenschule hat», sagt Rast.

Die Gegenwart besser verstehen

Nach einer kurzen Pause auf dem Aussichtspunkt der Belchenflue geleitet der Historiker weiter über die solothurnisch-baselländische Kantonsgrenze zum ehemaligen Stützpunkt beim Spitzenflüeli. Hier sind die Spuren des Ersten Weltkriegs noch sichtbarer. Eine lange Schneise zieht sich durch den Wald – ein gemauerter Schützengraben. Während des Ersten Weltkrieges erstellt, wurde ein Grossteil der Infrastruktur nach dem Ende sogleich wieder rückgebaut oder zugeschüttet. «Die Leute dachten in ihrer Naivität, dass es in Europa keinen Krieg mehr geben würde», erzählt Rast, während er in den Schützengraben steigt und die Schneise entlangführt. Alle paar Meter wird der Schützengraben von Mauern unterbrochen, die ihn in mehrere Sektoren unterteilen. Auch darüber weiss er mehr: «In einem Abteil hatte eine Einheit von zehn Personen Platz. Die Wände dienten dazu, im Verwundungs- oder Todesfall eines Soldaten die anderen Kameraden nicht zu erschrecken.» Doch die Mauern hatten einen schwerwiegenden architektonischen Nachteil: Ihre Durchgänge waren gerundet und verunmöglichten so ein Durchkommen für einen Sanitätsbarren.

Auf dem Weg zurück ins Tal kommt die Frage auf, weshalb sich der Verein «Fortifikation Hauenstein» so sehr für die Erhaltung der Anlage einsetzt. «Die Vergangenheit zu entdecken trägt dazu bei, die Gegenwart besser zu verstehen», erklärt Rast bestimmt. Ausserdem werde durch das Erhalten der Geschichte den Menschen bewusster, dass die Freiheit auch ihre Opfer brachte und immer noch bringt.

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