Die «To-do-Liste» ist noch lang

Im Gespräch Jamie Mahlstein aus Niedergösgen wohnt und studiert heute in Zürich, arbeitet aber in Olten. Vor kurzem verbrachte sie zwei Monate im westafrikanischen Togo. Weitere Herausforderungen warten bald.

Jamie Mahlstein während ihres Forschungsaufenthalts im westafrikanischen Togo. (Bild: Samuel Kaufmann)
Jamie Mahlstein während ihres Forschungsaufenthalts im westafrikanischen Togo. (Bild: Samuel Kaufmann)

Sie schlendert gemütlich zum vereinbarten Gesprächstermin, wirkt noch etwas verschlafen. Es ist ein kalter, nebliger Herbstmorgen in Olten. Später, als wir es uns längst in einem Café gemütlich gemacht haben, wird sie sagen, dass sie ein Nachtmensch sei, am Morgen eher schwer in die Gänge komme. Das mag stimmen. Ihrem Redefluss aber tut das keinen Abbruch. Jamie Mahlstein, 24 Jahre alt, in Niedergösgen aufgewachsen, auf vielfältige Weise mit Olten verbunden, hat viel zu erzählen. Viel Spannendes.

Mitte September ist Mahlstein von einem zweimonatigen Togo-Aufenthalt zurückgekehrt. Togo? Während der Corona-Pandemie? Jamie Mahlstein studiert seit vier Jahren an der Uni Zürich. Ethnologie im Hauptfach, Religionswissenschaften im Nebenfach. Corona hat ihr den Forschungsaufenthalt in Westafrika nicht erschwert, sondern überhaupt erst ermöglicht. Nur weil wegen der Pandemie viele andere Studierende auf den Platz an einer «Summer School» verzichtet haben, konnte die Bachelor-Studentin die Reise überhaupt antreten. Im zweiten Teil des Aufenthalts betrieb Mahlstein zusammen mit ihrem nach Togo nachgereisten Freund Feldforschung für ihre Bachelorarbeit, die sie im kommenden Sommer einreichen wird.

Der Weg zur Ethnologie beziehungsweise zur audiovisuellen Anthropologie, in der Mahlstein ihre berufliche Zukunft sieht, war kein geradliniger. Einst wollte sie Meeresbiologin, dann Schauspielerin werden. Aber der Reihe nach: Aufgewachsen zuerst in Unterentfelden, zog sie als Drittklässlerin mit ihrer vier Jahre jüngeren Schwester und der Mutter zu deren neuem Lebenspartner nach Niedergösgen. Sie fand sofort Anschluss im Dorf, vor allem, weil sie als Ministrantin diente und so auch mit Älteren in Kontakt trat. Später wurde sie Leiterin der Ministrantenschar, organisierte als solche Reisen nach Barcelona oder Rom mit. Parallel dazu spielte sie rund zehn Jahre Volleyball im Nachwuchs des TV Schönenwerd.

Nach der fünften Klasse wechselte Jamie Mahlstein an die Kanti nach Olten. Ihrem damaligen Berufswunsch Meeresbiologin entsprechend entschied sie sich für das Naturwissenschaftliche Profil. Und sie schloss die Matura auch in diesem ab, obgleich sie ihre Zukunft inzwischen nicht mehr als Meeresbiologin, sondern als Schauspielerin sah. In der Kantizeit spielte sie aktiv Theater, als Maturarbeit verfasste sie ein Theaterstück, dazu verkörperte sie die Rolle der Julia in «Romeo und Julia» in den Schlossspielen in Niedergösgen.

Der Weg in die Schauspielerei schien vorgezeichnet. Nach der Kantizeit bewarb sie sich an mehreren Schauspielschulen im In- und Ausland. «Dann wurde mir jedoch oft gesagt: ‹Du bist sehr talentiert, aber nicht das, was auf dem Markt gesucht wird.›» Irgendwann war sie der Absagen überdrüssig – zumal sie kaum je konstruktive Kritik zu hören bekommen habe und die wenig fundierten Absagen auch psychisch an ihr nagten. «So habe ich das Ganze mal rekapituliert und für mich festgestellt: Das Reisen und Kennenlernen neuer Menschen ist mir genauso wichtig wie die Schauspielerei.»

Abschied von der Schauspielbühne

2019 verabschiedete sie sich vom Wunsch, als Schauspielerin Geld zu verdienen. Künftig werde sie kaum noch selbst auf der Bühne stehen. Sie kann sich aber gut vorstellen, als Theaterpädagogin mal mit Kindern, Flüchtlingen oder geistig Behinderten zu arbeiten. Ihre Passion fand sie in der Ethnologie. Sie schwärmt von ihrem Studienfach: «Ich kann viel lernen über verschiedene Kulturen, kann eintauchen in verschiedene Alltagssituationen.» Sie sieht ihre Zukunft im Bereich wissenschaftliche Dokumentarfilme, die dann etwa in Museen gezeigt würden. Auch eine universitäre Berufskarriere sei denkbar.

Die sehr reiselustige junge Frau verdient sich das Geld für ihren Lebensunterhalt seit ihrem 17. Lebensjahr unter anderem mit Tätigkeiten im Service. Seit Juni bedient sie die Gäste im «Gryffe» in Olten. «Es ist enorm schön, dadurch den Bezug zu Olten wieder vermehrt zu haben, Leute zu sehen, die ich von früher kenne und mit diesen Austausch pflegen zu können.»

Tofu hergestellt und Tiere geschlachtet

Zurück zum Togo-Aufenthalt. Jamie Mahlstein verbrachte den zweiten Teil mit ihrem Freund in einem kleinen Dorf, abseits der Zivilisation. Das junge Paar bewohnte das einzige Haus im Dorf mit Stromversorgung, war aber weitgehend Teil der Dorfgemeinschaft. Gekocht habe man täglich mit Feuer. Auch habe sie gelernt, wie man Tofu herstelle oder Tiere schlachte. «Dinge, die man bei uns nicht mitbekommt, weil man einfach in der Migros einkaufen geht.» Die Wahl-Zürcherin dokumentiert in ihrer Bachelorarbeit mittels Interviews und Kamera die Bedeutung, die eine von einer Schweizer Hilfsorganisation errichtete Schule für das Dorf hat. In den nächsten Wochen und Monaten gilt es das Material zu sichten, auszuwerten und schliesslich zu einer stringenten Arbeit zu verarbeiten.

Die Togo-Erfahrung hat ihr äusserst gut gefallen. «Es war zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich an einem Ort war, an dem ich die einzige Weisse war. So konnte ich erstmals meine Herkunft beziehungsweise Identität nicht verstecken. Jeder sah, dass ich fremd war. Das war eine sehr eindrückliche Erfahrung. Und ich konnte unglaublich viel lernen.» Besonders die Nähe der Menschen zur Natur, die Gastfreundschaft und vor allem auch die Lebensfreude hätten sich fest in ihrem Gedächtnis eingeprägt.

Nach dem Bachelorabschluss im kommenden Sommer will Jamie Mahlstein das Studium für zwei Jahre unterbrechen. «Ich möchte im Ausland arbeiten. Und es stehen noch weitere Dinge auf meiner Liste, die ich gerne abhaken würde, ehe ich dann Zeit in meine Karriere investieren und irgendwann eine Familie haben werde.» Konkret möchte sie gerne in einer Surf- und in einer Tauchschule arbeiten. Und sie will den Pacific Crest Trail wandern, den mehr als 4000 Kilometer langen Fernwanderweg an der US-Westküste. «Ich möchte gerne mal an meine Grenzen stossen. Denn das fiel mir in Togo auf: Ich litt noch nie in meinem Leben Hunger, Durst oder Kälte. Ich möchte das mal erleben, um dann das Leben hier in der Schweiz wieder mehr schätzen zu können.»

 

...und ausserdem

Diese Person möchte ich gerne mal treffen

Bethany Hamilton. Die Surferin wurde mit 13 Jahren von einem Hai angegriffen und hat dadurch ihren linken Arm verloren. Die Art und Weise, wie sie sich wieder zurück ins Leben und aufs Surfbrett gekämpft hat, hat mich wahnsinnig inspiriert. Sie hat mir gezeigt, dass scheinbar ausweglose Situationen mit einem starken Willen gemeistert werden können. Deswegen würde ich sie gerne mal treffen, zum Beispiel zu einer privaten Surfstunde.

So entspanne ich mich am besten

Bei einem Self-Care-Abend. Ich passe ihn meinen Bedürfnissen und meiner Stimmung an. Das kann heissen: Beauty-Abend mit Haarkur, Maske und langer Dusche, ein gutes Buch lesen, Serien schauen oder einfach meine Gedanken fliegen lassen und vor mich hinträumen – aber alles bewusst und auf mich abgestimmt.

Dieses Verhalten ärgert mich

Ich kann es nicht leiden, wenn Menschen nicht kommunizieren. Wenn nicht gesagt wird, was einen gerade stört oder beschäftigt. Manchmal ist es schwierig, seine Gefühlslage in Worte zu fassen, aber auch das könnte kommuniziert werden. Auch an mir stört mich dieses Verhalten, deshalb versuche ich daran zu arbeiten.

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