Die dolmetschende Wirtin aus Tibet

Pema Sonam Unter der Moderation von Pema Sonam findet heute Abend, 23. August von 17 bis 18.30 Uhr der «Femmes Tisch» zum Thema «Gesund sein - gesund bleiben» im Begegnungszentrum Cultibo statt. Wir haben mit der Tibeterin über Integration und ihr vielfältiges Engagement gesprochen.

Mit viel Power hilft die Tibeterin Pema Sonam, die verschiedensten Projekte in der Region voranzutreiben. (Bild: mim)
Mit viel Power hilft die Tibeterin Pema Sonam, die verschiedensten Projekte in der Region voranzutreiben. (Bild: mim)

Den Kulturschock hat Pema Sonam selbst erlebt, als sie vor 16 Jahren in die Schweiz kam. Sich zurechtzufinden war nicht einfach und sich mitzuteilen aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse schwer. Hinzu kamen die Isolation und das Ringen mit der neuen Kultur. «Gerade deshalb sind die «Femmes Tische» - eine Gesprächsrunde für Frauen angeboten vom Schweizerischen Roten Kreuz Kanton Solothurn - so wichtig», betont Sonam, die bereits seit zehn Jahren als Moderatorin tätig ist. Neu bietet sie die Gesprächsrunden nicht in ihrer Muttersprache Tibetisch, sondern in einem einfachen Deutsch im Begegnungszentrum Cultibo an. Dies, um die Frauen an die deutsche Sprache heranzuführen und weil nicht alle Fremdsprachen von den insgesamt zehn Moderatorinnen abgedeckt werden können.

Vom Exil via Afrika in die Schweiz

Pema Sonam wuchs in Südindien im Exil auf. Ihr Vater arbeitete bis zur Flucht der Familie als Bauer und die Mutter stammte aus einer traditionell tibetischen Mediziner-Familie von Nomaden. Obwohl die Familie kaum Geld hatte, konnte Sonam durch finanzielle Unterstützung der tibetischen Exilregierung die Schule besuchen. Gerne hätten es ihre Eltern gesehen, dass die Tochter als Lehrerin tätig gewesen wäre. Diese zog jedoch ein Studium in Business Management an der Universität vor. «Ich bin nicht so geduldig», erklärt sie lächelnd. An der Uni lernte Sonam ihren späteren Ehemann kennen. Nicht etwa einen Tibeter, sondern einen Afrikaner. Als dieser zurück in die Heimat musste, begleitete sie ihn nach Afrika. «Wir waren jung und mutig», erzählt sie lachend. Er war als Übersetzer tätig, doch als es wegen des Bürgerkrieges zu unsicher wurde, reiste die Familie mit den beiden Söhnen via Italien in die Schweiz. Noch sehr gut erinnert sich Sonam an ihren ersten Tag, den 11.11.2002 in Matzendorf zurück: «Ich habe mich sehr erschrocken wegen dem Lärm.» Bei Rissotto und Glühwein versuchten die Matzendorfer schliesslich der jungen Tibeterin, die bis dahin nur Englisch sprach, die «Chesslete» näherzubringen.

Erstaunen über das hiesige Schulsystem

Ihre Neugier und Wissbegierde waren es, die der jungen Frau, die nach zwei Jahren Aufenthalt in der Schweiz als Pflegehelferin in einem Altersheim arbeitete, bei der Integration geholfen haben. «Als meine Söhne den Kindergarten besuchten, fragte ich die Kindergärtnerin, ob ich ab und zu einen Besuch machen dürfte. Dies weil mich das hiesige Schulsystem interessierte und mir die Besuche einen Zugang zur Sprache ermöglichten», erzählt Sonam und fügt schmunzelnd an: «Zu Beginn war ich schockiert und fragte mich, was meine Kinder denn hier lernen sollen.» In Indien besuchte die Tibeterin bereits im Alter von fünf Jahren die Schule und erlernte drei Sprachen: Tibetisch, Englisch und Hindi. Zudem standen in der autoritären Schule das Gebet, das Alphabetisieren und Sport an der Tagesordnung. «In bin mit dem Druck aufgewachsen, stets die Beste sein zu müssen, denn in Indien werden leistungsschwache Kinder nicht gefördert», erklärt Sonam und fügt schmunzelnd an: «Erstaunt wies ich die Kindergärtnerin darauf hin, dass die Kinder ja nur spielen würden.» Erst mit der Zeit habe sie wahrgenommen, wie wichtig die Förderung der Sozialkompetenz und Selbstständigkeit für die persönliche Entwicklung sei. Inzwischen finde sie das hiesige Bildungssystem sehr gut, das jedem Kind dieselben Chancen biete.

Eine andere Erziehung

«Viele Migranten erziehen ihre Kinder sehr streng und hegen grosse Erwartungen», weiss Sonam. Diese Haltung führe nicht selten zu familiären Problemen. «Ich möchte deshalb mit den «Femmes Tischen» die Möglichkeit für einen Austausch bieten. Im Oktober greifen wir beispielsweise das Thema Pubertät auf, das ebenfalls nicht selten zu Konflikten führt, denn die Eltern sind sich eine eigene Meinung der Kinder nicht gewohnt», zeigt die Tibeterin auf. «In meiner einstigen Heimat und vielen anderen Kulturkreisen ist eine Ohrfeige beispielsweise nichts Schlimmes, sondern ein Zeichen für eine gute Erziehung. Das stösst hierzulande jedoch auf völliges Unverständnis.» Neben den hiesigen kulturellen Aspekten versuche sie auch die Gesetzgebungen aufzuzeigen oder konkrete Fragen bei Fachpersonen abzuklären.

Ein Ja für die Schweiz

Obwohl Pema Sonam mit ihren Kindern mittlerweile in Olten lebt, hat sie noch viele Freunde in Matzendorf. Diese seien ihr nach der Trennung von ihrem Ehemann eine grosse Hilfe bei der Kinderbetreuung gewesen. «Er wollte zurück nach Afrika und von dort nach Amerika. Wir hatten jedoch inzwischen drei Kinder und ich fühlte mich in der Schweiz zu Hause, weshalb ich entschied, nicht mit ihm zu gehen», erzählt Sonam und fügt an: «Ohne die wertvolle Hilfe der Nachbarn, die ab und zu auf die Kinder schauten, wäre es jedoch nicht möglich gewesen, Beruf- und Privatleben unter einen Hut zu bringen.» Zumal der eine Sohn, der inzwischen die Woche hindurch in einer betreuten Einrichtung wohnt, aufgrund einer Behinderung auf Hilfe angewiesen ist.

Von der Ehrenamtlichkeit zum Beruf

Durch ihre einwandfreien Englisch- und aufgrund der besuchten Kurse immer besseren Deutsch- kenntnisse baten Tibeter Sonam um Übersetzungs-Hilfe. Während zweier Jahren stand die dreifache Mutter schliesslich unterschiedlichsten Personen ehrenamtlich als Übersetzerin zur Seite. «Die Anfragen haben stetig zugenommen, daneben hatte ich aber noch meine drei Kinder zu versorgen und Geld zu verdienen», erzählt die 42-Jährige vom Spagat. Schliesslich sei sie darauf aufmerksam gemacht worden, dass sie doch eine Ausbildung als Dolmetscherin absol- vieren könnte. «Den Pflegeberuf habe ich inzwischen aufgegeben und übernehme, seitdem ich das Dolmetscherdiplom in der Tasche habe, für die Polizei oder Krankenhäuser der Kantone Solothurn, Aargau, Bern und Zürich Übersetzungen aus dem Tibetischen oder dem Englischen ins Deutsche. Selbst zu arbeiten und damit für sich und ihre drei Kinder sorgen zu können war Sonam stets ein grosses Anliegen.

Die Sprache als Tor zur Welt

Neben ihrem Beruf ist die 42-Jährige seit mehr als zehn Jahren als Leseanimatorin tätig. «Das ist eigentlich mein Hobby», erzählt sie lachend und fügt an: «Bei meiner Tätigkeit als Dolmetscherin handle ich nach dem Berufskodex. Dabei habe ich zu übersetzen, ohne meine Meinung kundzu- tun.» Deshalb schätze sie als Ausgleich die bereichernde Tätigkeit mit den Kindern und die Pflege der Muttersprache. Sonam sprach auch mit ihren eigenen Kindern eine Zeit lang jeweils am Montag Englisch und die restlichen Tage Tibetisch. Und als wäre es nicht genug, hat die dreifache Mutter im Jahr 2006 mit finanzieller Unterstützung des Kiwanis Clubs Olten die Tibeterschule gegründet. Die tibetischen Kinder besuchen dabei neben der obligaten Schule jeweils am Samstagmorgen im Sälischulhaus den Unterricht, um die Muttersprache zu trainieren und die eigene Kultur zu pflegen. Sonam unterstützt die Schule nach wie vor, ist aber aus zeitlichen Gründen nicht mehr als Leiterin tätig.

Die Heimat Lhasa in Tibet besuchen

Als ihre Kollegen ein Lokal mit tibetischen Spezialitäten eröffnen wollten, war Sonam begeistert. Dafür war jedoch ein Wirtepatent nötig, doch die Deutschkenntnisse von ihrem Kollegen Jampas reichten dafür nicht aus. Schliesslich liess sich Sonam dazu überreden, an dessen Stelle die Wirteprüfung abzulegen. «Ich hatte überhaupt keine Ahnung von dem Bereich», lacht sie rückblickend. «Tagsüber habe ich gearbeitet, die Kinder betreut und am Abend für die Wirte- prüfung gelernt, die ich schliesslich auch bestanden habe», so die Tibeterin nicht ohne Stolz. Kürzlich ist nun das «Little Tibet» von der rechten Aareseite beim Bahnhof in den neuen «ässpunkt Food Court» an der Kirchgasse umgezogen. Ihren Mitmenschen zu helfen sei für sie selbstver- ständlich und bereichernd, erzählt Sonam und fügt an: «Ich bin gesegnet und dankbar für diese manchmal herausfordernde Aufgabe, die ich ohne Leidenschaft nicht erfüllen könnte.» Und was für einen Wunsch hegt sie selbst? «Ich möchte meine Heimat Lhasa in Tibet besuchen.»

Mehr zu den «Femmes Tischen» unter: <link http: www.srk-solothurn.ch>www.srk-solothurn.ch

 

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