Detektivarbeit im Deep Web

Maurizio Tuccillo hat Physik studiert und sucht als Cyberspezialist im World WideWeb nach Spuren. Die «Leiche» im Keller seines Wohnhauses in Olten ist ein Regal voller Pasta. Im Gespräch verrät der Südländer, wieso er nördlich des Gotthards zu Hause ist.

Der italienisch-schweizerische Doppelbürger Maurizio Tuccillo besitzt sowohl einen braunen «Passaporto» wie auch den roten Pass der «Confoederatio Helvetica». (Bild: Sonja Furter)
Der italienisch-schweizerische Doppelbürger Maurizio Tuccillo besitzt sowohl einen braunen «Passaporto» wie auch den roten Pass der «Confoederatio Helvetica». (Bild: Sonja Furter)

Beim Bremsen in einer Kurve hat sich der Gepäckträger mit zwei Zelten vom Autodach gelöst. Während er mit lautem Getöse zu Boden fiel, hat er die Kühlerhaube des Fahrzeugs eingedellt. «Es war vier Uhr morgens als der Unfall passierte und es hat in Strömen geregnet. Nachdem wir als Familie die ganze Nacht durchgefahren waren, stiegen wir aus und begutachteten den entstandenen Schaden», erinnert sich der Oltner mit italienischen Wurzeln an eine Szene aus seiner Kindheit. «Die Autofahrten von Italien in die Schweiz waren die wirklichen Ferienerlebnisse. Für unsere viel zu kleine Klapperkiste war der Gotthardpass ein fast unüberwindbares Hindernis.» Tuccillos Vater stammt ursprünglich aus der süditalienischen Provinz Napoli, die Mutter aus der nördlichen Stadt Trento. «Mein Vater hat als «Carabiniere», also als Polizist gedient. Während seinem Dienst ist er in den Norden Italiens versetzt worden. Dies erinnert mich an die französische Komödie «Bienvenue chez les Ch`tis», erzählt Tuccillo. In der Kaserne in Trento haben sich sein Vater und seine Mutter kennen und lieben gelernt. Auf der Suche nach Arbeit zog es das junge Paar noch nördlicher. Sie emigrierten in die Schweiz. «Meine Eltern waren typische Wirtschafts- flüchtlinge», bilanziert Tuccillo, der als Jüngster von drei Geschwistern in einer Siedlung am Waldrand von Olten aufgewachsen ist. «Diese Sozialwohnungen waren eine Art «Ghetto», die auch durch ihre Lage physisch von der Stadt abgetrennt waren.»

Lac de Olten

Als Primarschüler hat Tuccillo neben dem regulären Unterricht die italienische Schule besucht. «Sprach- und Grammatikkenntnisse standen auf dem Stundenplan. Es sollte uns Kinder vorbereiten, um eines Tages wieder in Italien leben zu können.» Doch diesen Rückkehr-Plan habe er nach und nach aus den Augen verloren. «Italien steht für mich stellvertretend für Ferien- erinnerungen, während Olten mein Zuhause ist.» Zwei Gründe seien ausschlagend gebend dafür gewesen, dass er in der Dreitannenstadt geblieben sei, wo er heute mit seiner Frau und seiner Tochter lebt. «Erstens wollte ich nach dem Tod des Vaters nahe bei meiner Mutter wohnen, um mich im Alter um sie kümmern zu können. Zweitens liegt mir der Umweltschutz seit der Kanti-Zeit am Herzen. Ich habe darum nie gelernt, Auto zu fahren.» Olten als Eisenbahnerstadt sei für ihn als ÖV-Nutzer ideal. Seit über dreissig Jahren fährt Tuccillo mit einem Generalabonnement durch die Schweiz. «An Olten gefällt mir, dass es trotz seiner überschaubaren Grösse bereits eine Stadt ist.» Auch sei der Ort keine Steinwüste wie andere Grosstädte und biete durch die Flüsse Aare und Dünnern Naherholungsgebiete in Fussnähe. «Das Einzige, was Olten fehlt, ist ein See.»

Das Böse

Nach der Matura hat sich Tuccillo für ein Physik-Studium entschieden. «Es ist ein Fach, in das verschiedene Disziplinen wie Mathematik und Sprachen einfliessen.» Doch nicht etwa das CERN, sondern eine Informatik-Abteilung bei Coop war sein erster Arbeitgeber. «Das Bewerbungs- gespräch war grotesk, weil ich dem Teamleiter zu erklären versucht habe, dass ich als Physiker nicht der Richtige für die Stelle in der Informatik bin», erinnert sich Tuccillo lachend. Nach mehreren Jahren in unterschiedlichen Positionen begibt er sich heute als Cyberspezialist und Forensiker auf Spurensuche im WorldWideWeb. «Wenn die Staatsanwaltschaft ein Verfahren eröffnet, suche ich auf Festplatten und im Internet nach Belegen für den Tatbestand.» Seine Tätigkeit beschreibt er als Detektivarbeit in der virtuellen Welt des Internets. Manchmal forscht er auch im Deep Web, auf verschlüsselten Seiten, die über Google nicht direkt zugänglich sind. Dabei bekomme er auch immer wieder Bilder von Waffen, Missbrauch oder Kinderpornographie zu Gesicht. «Es ist nicht das Böse, das mich fasziniert», betont Tuccillo, «vielmehr ist es mir ein Anliegen, dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Wohlwissend, dass dies nicht identisch mit dem Herstellen von Gerechtigkeit ist.» Er selber hat auch eine «Leiche» im Keller, nämlich ein Regal voll mit Pasta. «Ich koche sehr gerne und pflege die italienische Küche. Teigwaren sind für mich wie Brot. Sie sind die Grundlage, die ich mit diversen Saucen wie Bolognese, Pesto oder Carbonara «belegen» kann.

Werk statt Noten

Obwohl er nördlich des Gotthards lebt, ist in Tuccillos Wintergarten ein Stück Tessin zu finden. Nebst einem Oliven-, einem Granatapfel-, einem Lorbeer-, und einem Feigenbaum steht dort eine Palme. «Unsere Nachbarn haben sie uns als kleines Pflänzchen mitgebracht. Inzwischen ist sie uns über den Kopf gewachsen», so der Physiker, der sich in seiner Freizeit unter anderem mit Brutvögeln und Städtebau beschäftigt und Klavier und Geige spielt. «Eine grosse Leidenschaft von mir ist die authentische Aufführungspraktik von klassischer Musik.» Dies bedeute, Musik möglichst nach der Intention des Komponisten erklingen zu lassen. «Diese ganzheitliche Herangehensweise an finde ich spannend.»

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