«Der perfekte Tag ist immer heute»

Die Theologie führte ihn nach Lima, das Theater zurück nach Olten, weil Christoph Schwager beschloss, «nur noch zu machen, was mir Freude macht.» Und für jeden Lebensabschnitt fand er den passenden Titel.

Christoph Schwager an seinem Lieblingsort, dem Garten seines Hauses in Härkingen. (Bild: Franz Beidler)
Christoph Schwager an seinem Lieblingsort, dem Garten seines Hauses in Härkingen. (Bild: Franz Beidler)

Der dürfe eigentlich nicht dort unten stehen, meint Christoph Schwager, springt auf und verschwin- det hinter der Türe, die in den Keller seines Hauses führt. Nur Sekunden später kehrt er zurück mit einem Koffer aus hellem Holz, übersät mit bunten Schrammen und manch tiefer Furche. Er hievt ihn auf den Tisch, öffnet ihn und sagt mit leuchtenden Augen: «Das war der Schminkkoffer meines Vaters.» Sein Vater habe die Schauspieler sämtlicher Dorftheater in der Umgebung von Eger- kingen geschminkt. Dort führte er zusammen mit Schwagers Mutter einen Coiffeursalon, gleich neben dem Restaurant Hammer, der Dorfbeiz. Die Familie wohnte oberhalb vom Restaurant im ersten Stock neben dem Hammersaal, wo etwa der Jodlerklub oder die Musikgesellschaft auf- traten. Und natürlich das Dorftheater. «Durch unser Küchenfenster sah ich direkt auf die Bühne», erinnert sich Schwager. Die ersten sechs Jahre seines Lebens verbrachte er als Jüngstes von vier Geschwistern dort. «Die Aufführungen im Hammersaal waren meine ersten Berührungen mit Kultur.» Kultur und speziell das Theater sollten ihn ein Leben lang begleiten. «Theatermann», antwortet er heute reflexartig auf die Frage nach seinem Beruf, «und Theologe.» Er habe schon einige Schleifen gedreht, bis er diese Berufe gefunden habe, sagt der 62-Jährige lachend. Der Vater von vier erwachsenen Kindern lebt mit seiner Ehefrau Lisbeth in Härkingen und findet: «Der perfekte Tag ist immer heute». Darum bemühe er sich. Er hat auch keine andere Wahl, denn: «Jeder Tag ist anders.» Die einzige Konstante ist das immer gleiche Morgenritual: Aufwachen um sieben, Radionachrichten hören im Bett, dann Frühstück machen für Lisbeth, ein Müsli und einen Kaffee, dann für sich selber ein Glas Wasser, Kürbiskerne und eine heisse Schokolade und dazu die gemeinsame Lektüre des Oltner Tagblatts. Danach ist er eben Theatermann und Theologe und macht nur noch, «was mir Freude macht.»

Eine zerschnittene Jugend

Nur noch zu machen, was ihm Freude bereitet, das hat sich Schwager geschworen, als er 16 Jahre alt war und in einer Bürolehre festsass. Ein Jahr zuvor war sein Vater an Krebs gestorben, «nur zwei Wochen vor meinem Schulabschluss.» Der Tod des Vaters schnitt sein Leben entzwei und plötzlich wusste er nichts mit sich und seinen Gedanken anzufangen, wollte Katechet werden, um Antworten zu erhalten, oder Physiotherapeut, weil er viel Sport trieb. Schwager war ein Fuss- baller, er hütete das Tor von den Interjunioren B vom FC Grenchen. Doch beide Ausbildungen, jene des Physiotherapeuten wie jene des Katecheten, verlangten nach einer abgeschlossenen Lehre. «Da ich zwei linke Hände habe, ging ich ins Büro», erinnert sich Schwager. Weil es dort aber zu wenig Arbeit für ihn gab und «die Tage einfach nicht vorbeigehen wollten», begann er zu schreiben, denn Gedanken hatte er genug. Die brachte er in Mundart-Gedichten zu Papier und schickte diese zum Wado-Verlag nach Zürich, der daraus ein Buch druckte. «Trotzdäm» lautete der Titel seines Erstlings. Da war Schwager 19 Jahre alt.

«Ich wäre Profifussballer geworden»

Das Schreiben ist ihm seither geblieben. «Jedes Jahr schreibe ich ein langes Theater», erklärt Schwager eine andere Konstante. Sein zweites Buch veröffentlichte er anfangs Zwanzig. Schwa- ger hatte die Ausbildung zum Katecheten an der theologischen Fakultät in Luzern abgeschlossen und Lisbeth, seine Jugendliebe geheiratet. Zusammen lebten sie in Beckenried (NW) und Schwa- ger arbeitete als Jugendseelsorger und Religionslehrer. Fussball spielte er inzwischen beim SC Buochs. Der FC Luzern hatte ihn mit einem Profivertrag ausstatten wollen, aber der FC Grenchen unterschrieb die Freigabe nicht. «Wenn mich Grenchen nicht blockiert hätte, wäre ich Profifuss- baller in Luzern geworden. Das war also einer der Wendepunkte in meinem Leben», sinniert Schwager. Später sollte sich herausstellen, dass die Blockade durch den FC Grenchen nicht rech- tens war. Das zweite Buch trug den Titel: «Eifach e so». «In Nidwalden war mir wirklich wohl», erinnert sich Schwager. Den Traum, die Dimitri-Schule im Tessin zu besuchen, sollte er nicht wagen. «Ich hatte Existenzängste.» Er wollte mit Lisbeth eine Familie gründen und fürchtete deshalb das unstete Einkommen des Künstlerdaseins. So studierte er Theologie in Chur (GR).

Jugendseelsorge in Lima, Peru

Ein drittes Buch folgte, nachdem Schwager mit seiner Familie aus Lima, der Hauptstadt Perus zurückgekehrt war. Dort wütete ein Bürgerkrieg und Lisbeth hatte in den Armenvierteln Frauen- arbeit, Schwager Jugendseelsorge geleistet. «Die südamerikanische Befreiungstheologie gab uns Impulse für unseren Einsatz», erinnert er sich. In «Morgen erst beginnt der neue Tag» berichtet er davon. Da war er 31 Jahre alt und lebte mit seiner Ehefrau und vier Kindern als Gemeindeleiter in Härkingen. Zum vierzigsten Jubiläum der Kirche schrieb er ein Theaterstück: «Zum Kern des Lebens».

«Maximal zehn Jahre»

Die Stelle in Härkingen war er mit dem Versprechen angetreten, «maximal zehn Jahre zu bleiben. Danach wollte ich eine Stadtpfarrei übernehmen.» Stattdessen gründete Schwager nach zehn Jahren Gemeindeleitung im Jahr 1998 das Schwager Theaterinstitut, anfänglich in der Aarauer- strasse in Olten beheimatet, in den gleichen Räumen mit Shiatsukursen und Schwangerschafts- turnen. Inzwischen ist das Institut im Oltner Gerolag Center zu Hause, zusammen mit dem Schwager Theater. Die Kurse der Theaterschule und die Aufführungen des Kleintheaters beleben die hiesige Kultur. «Mit vier schulpflichtigen Kindern wagte ich damals jenen Schritt, den ich An- fang Zwanzig gescheut hatte», kommentiert Schwager amüsiert. Für die Schauspielausbildung in Freiburg i. B. hatte er all seine Freizeit geopfert. Eine Weiterbildung zum Pantomimen in Barcelona brachte ihn auf die Idee der Pantomimen-Predigt. Über die vergangenen 20 Jahre führte er sie über 250 Mal auf. «Theater und Theologie gehen gut zusammen», findet Schwager. Auf die Frage, wie lange er denn die Pantomimen-Predigt noch aufzuführen gedenke, antwortet er gelassen: «Solange es mir Freude macht.»

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