Der Hauswart vom Paradies

Was macht eigentlich? Oli Krieg führte während 16 Jahren die Oltner Schützi. Nun lebt er als Hauswart im Paradies ­einer autonomen Republik.

Oli Krieg im Garten der «Autonome Republik Äussere Klus». Seit Anfang Jahr ist er offiziell Hausmeister der Wohngenossenschaft, die er vor vierzig Jahren mitgründete. (Bild: Franz Beidler)
Oli Krieg im Garten der «Autonome Republik Äussere Klus». Seit Anfang Jahr ist er offiziell Hausmeister der Wohngenossenschaft, die er vor vierzig Jahren mitgründete. (Bild: Franz Beidler)

Oli Krieg sitzt an seinem Stubentisch, ein Bein über das andere geschlagen, den Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf in der Hand und einem krummen Rücken. Er schaut in die Leere und sagt: «Ich habe jetzt doch immer Ferien. Oder wann hat ein Rentner Ferien?» Am Bielersee hätten er und Esthi, Kriegs langjährige Lebenspartnerin Esther Straumann, einen festinstallierten Camper. Und eben letzte Woche sei er im Zürcher Unterland gewesen. «Vermutlich sind Ferien einfach dann, wenn man wegfährt, auch als Rentner», sinniert Krieg nach einer Pause.

Oliver Krieg – «offiziell heisse ich Oli, nur nicht im Taufschein» –, 67 Jahre alt, führte während sechzehn Jahren die Geschäfte des Kulturlokals Schützi in Olten. 2019 liess er sich pensionieren.

Dass er sein Leben seither als ferienhaft empfindet, hat nicht damit zu tun, dass er nichts mehr zu tun hätte. «Ich weiss gar nicht, wo ich früher die Zeit zum Arbeiten hernahm.» Krieg stellt eine Augenbraue schief und lacht heiser. Der viele Zigarettenrauch hat sich über die Jahre im Lachen eingekerbt.

Das Feriengefühl rührt von Kriegs Wohnort her. «Autonome Republik Äussere Klus» nennt er die Wohngenossenschaft, die er vor genau vierzig Jahren mitgründete. Sie liegt ausserhalb von Oensingen im Weiler Äussere Klus und umfasst mehrere Gebäude. Garstige Felsen aus hellem Jurakalk ragen an den Seiten vom Gelände in den Himmel. «Es ist schon ein mystischer Ort hier», findet Krieg. Das Jubiläumsfest ist für den Sommer vorgesehen.

Eine Silvesterparty anfangs der 80er

Seine erste Veranstaltung in der Schützi organisierte Krieg anfangs der 80er-Jahre. «Das muss ’80 oder ’81 gewesen sein. Zusammen mit Che veranstaltete ich eine Silvesterparty», erzählt er von Christian Dietiker, heute Barmann im Oltner «Galicia».

Zum Geschäftsführer der Schützi wurde Krieg dann 2003. Er hatte sich damals ein halbes Jahr lang eine Auszeit genommen, nachdem er während zehn Jahren die Wohngenossenschaft «WoGeno Solothurn» geführt hatte. «Ich kam zum Schluss, dass ich eigentlich Schulhausabwart werden möchte», erzählt er. Dann zeigte ihm eine Freundin das Stelleninserat der Schützi. «Aus siebzehn Bewerbungen haben sie mich ausgewählt.» Damals habe er schon gefunden, dass er der Richtige für die Schützi sei. «Heute habe ich manchmal Zweifel, ob ich tatsächlich in allen Situationen der Richtige war.»

«Ich war gerne an der Front», sagt Krieg. «Das war das Schönste am Job.» Eine Reklamation habe es in den sechzehn Jahren nur eine gegeben: «Der katholische Frauenturnverband befand das Geschirr als zu wenig sauber.» Ob der Anekdote muss Krieg lachen.

Nur wenig Freude bereitete es ihm hingegen, im Gemeindeparlament oder beim Stadtrat für die Anliegen der Schützi zu werben. «Die Lobby-Arbeit», seufzt er. «Diese Apéros mag ich nur, wenn ich sie selbst veranstalten und hinter der Bar stehen kann.» Dennoch erledigte Krieg auch das pflichtbewusst und rieb sich schliesslich daran auf. Als im Jahr 2017 die Leistungsvereinbarung mit der Stadt Olten neu ausgehandelt werden musste, trug er ein Burnout davon. Fünf lange Monate dauerte die Genesung.

Das letzte Konzert selber veranstaltet

Das letzte Konzert, das Krieg als Geschäftsführer der Schützi begleitete, veranstaltete er selbst. Im Dezember 2019 holte er den Sänger Marc Sway nach Olten. «Danach war eigentlich ein fliessender Abgang geplant», erklärt Krieg. Er sollte nach und nach Aufgaben an Nachfolger Thomas Knapp abgeben - auch um vermehrt als Veranstalter tätig sein zu können. «Ich wollte eigentlich weiterhin Anlässe organisieren.» Schon ab Januar 2020 stellte Krieg zusammen mit dem Duo Strohmann-Kauz «Kabarett unterwegs» auf die Beine, eine Serie von Kabarettabenden. Dann begann im Frühling die Coronapandemie und der Kulturbetrieb kam zum Stillstand. «Das machte mir einen Strich durch die Rechnung.»

Für Kriegs persönliches Befinden war das aber gar nicht so schlecht. «Ich merkte, dass ich eigentlich zuerst einmal auf Distanz gehen muss», meint er heute. Der Lockdown zwang ihn dazu. «Was soll ich in Olten?», fragt er rhetorisch, wenn er vom ersten Coronafrühling erzählt. «Hier in der Autonomen Republik Äussere Klus lebe ich doch im Paradies.» Auch, weil im Frühling 2020 ausserordentlich schönes Wetter gewesen sei. «Und es gab keine Autos mehr, keine Flugzeuge.»

Auch beim Oltner Kulturadventskalender «23 Sternschnuppen» engagierte sich Krieg ab 2020. «Die ersten Abende durften wir noch dreissig Leute reinlassen», erinnert er sich. «Später nur noch fünfzehn, dann mussten wir komplett auf Streaming umstellen.» Eine heftige Sache sei das gewesen.

«Bei den ‹23 Sternschnuppen› mache ich nach wie vor gerne mit», sagt Krieg. Ansonsten sei er aber nicht mehr so erpicht darauf, Anlässe zu veranstalten. «Nicht mehr so giggerig», nennt es Krieg. Als «nur moralisch involviert» bezeichnet er sein Engagement für das «KultA», ein Lokal des Oltner Vereins «Aktion Platz für Alle». «Wegen dem Chrigel», spricht Krieg Christoph Birrer an, Vereinspräsident von APA und eine der treibenden Kräfte hinter dem Lokal. Krieg hatte Birrer ins Schütziteam geholt, als der sich nach einem Leben auf der Strasse noch als Tagelöhner verdingte.

Er komme immer gerne wieder in die Schützi. «An einem Anlass war ich aber schon ewig nicht mehr, wegen Corona», meint er dann. Den nächsten Poetry Slam im März wolle er aber besuchen. Und dann komme er sicher auch wieder in die Schützi, um Birrer zu helfen, wenn der etwas veranstalte. «Inzwischen arbeiten halt Leute dort, die ich nicht kenne», meint er achselzuckend. Ein komisches Gefühl habe er deswegen aber nicht.

Eine Moto Guzzi und eine Aprilia

Im grossen Haus der Wohngenossenschaft ist in einem Raum eine Werkstatt vorgesehen. Krieg schraubt seit Jahrzehnten an Motorrädern herum. «Eine Moto Guzzi und eine Aprilia» besitzt er momentan. Fahrbar sind sie beide im Moment nicht. Ist die Werkstatt einmal eingerichtet, kann Krieg wieder schrauben.

Im Frühling will er wieder vermehrt Spaziergänge unternehmen. «Letzten September habe ich mit dem Rauchen aufgehört.» Krieg sagt das ohne Stolz. «Ich musste, wegen der COPD.» Er fühle sich aber schon vitaler seither. Die neu gewonnene Fitness will er in den Jurafelsen oberhalb von Oensingen auskosten. «Ich freue mich, in ein paar Wochen wieder etwas Gas zu geben.»

In der Genossenschaft setzt sich Krieg für die Gemeinschaft ein. Er kümmert sich um den Garten. Und manchmal hütet er die Kinder, die in der Autonomen Republik aufwachsen, wenn deren Eltern die Zeit oder die Energie dazu fehlt. Am Einbauschrank in Kriegs Wohnzimmer hängen Karten mit Zeichnungen. «Auf einer haben die Eltern geschrieben: Vielen Dank für das Hüten, für das Singen, für das Schimpfen», sagt Krieg und lacht herzlich.

Ein anderer, früherer Traum erfüllte sich Krieg bereits: Mit Beginn des Jahres übernahm er offiziell den Posten als Hausmeister der Autonomen Republik. Also doch noch Abwart. Mit spitzbübischem Ton und heiserem Lachen korrigiert Krieg: «Facility Manager».

 

kurz und knapp

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Ich lese den ganzen Tag, aber nur selten Bücher. Deshalb bin ich seit einem Jahr daran, «Di schöni Fanny» von Pedro Lenz zu lesen. Er beschreibt meine Welt, das gefällt mir daran so gut.

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