Der Bierbrauer von Olten

Johan Gass hat Rotwein erstmals als Dreijähriger aus seinem Schoppen getrunken, betreibt ein Brauzimmer im Büro und ist ein grosser EHC Olten-Fan.

Johan Gass betrachtet Olten heute aus anderen Augen: «Ich brauche keine Staatszugehörigkeit für mein Selbstbild. Ich bin vor allem Oltner. Und man muss nicht Schweizer sein, um Oltner zu sein.» (Bild: S. Furter)
Johan Gass betrachtet Olten heute aus anderen Augen: «Ich brauche keine Staatszugehörigkeit für mein Selbstbild. Ich bin vor allem Oltner. Und man muss nicht Schweizer sein, um Oltner zu sein.» (Bild: S. Furter)

Wasser, Hopfen, Hefe und Malz. Das sind die Grundzutaten, aus denen Bier gebraut wird. «Im Gegensatz zu Hopfen und Malz gibt es von Wasser nicht so viele Ausführungen», sagt Johan Gass mit einem Schmunzeln. Der 27-Jährige ist Deutscher, Oltner und Bierbrauer. Nur zehn Absolventen gibt es von diesem Beruf pro Jahr. Was genau macht Gass bei der Arbeit? «Ich braue Bier», gibt der Oltner zur Antwort und ergänzt: «Aktuell arbeite ich in einer handwerklichen Brauerei in Biel. Hier erledige ich alle Prozesse. Das bedeutet ich kaufe die Rohmaterialien ein, siede Bier im Sudhaus, organisiere die Gärung und Lagerung, fülle das Bier in Fässer sowie Flaschen und liefere es auch aus.» Anders als zu Beginn seiner Berufskarriere bedeutet für ihn der Geruch des Bier-Siedens heute ein Gefühl von Heimat. «Als ich als Lehrling zum ersten Mal beim Kochen von Hopfen dabei war, ist mir speiübel geworden.» An seinem Beruf findet Gass vor allem das Kreieren von neuen Sorten und Geschmäckern spannend. «Allerdings neige ich dazu, mit Geschmack und Aromen zu übertreiben», sagt Gass lachend. Aber auch das Handwerk liegt ihm. Dabei kommt es vor, dass Gass sich die Hände mit Hefe schmutzig macht. «Wenn der Tank ein Leck hat, krieche ich darunter, um ihn zu reparieren.»

Büro wird zum Brauzimmer

«Ich bin eher ein gemütlicher Kocher. Vielleicht ein Campingkocher», begründet Gass, warum er sich gegen eine Lehre als Koch und für das Bier entschieden hat. Heute ist das Büro in seiner Wohnung auch ein Brauzimmer. Auf einer 40-Liter-Anlage produziert er dort sein eigenes Bier und hat einen Zapfhahn «zur Vermeidung von zu viel Abfall.» Für einen Kollegen hat er ein eigens kreiertes Hochzeitsbier gebraut und seine Freundin hat zum letzten Geburtstag ein Honig-Bier von ihm geschenkt bekommen. «Bier ist Geschmackssache», findet Gass, der auch an der Entwicklung des Oltner Dreitannenbiers beteiligt war. «Oft habe ich die Rückmeldung bekommen, dass das Amber gar nicht so dunkel schmeckt, wie es aussieht.» Wie er als Fachmann ein gutes Bier definiert? «Wenn es mir nicht langweilig wird und ich es den ganzen Abend lang trinken kann, dann ist es gut.»

Gass, der Genussmensch

Sich selbst beschreibt der 27-Jährige als einfühlsam, verständnisvoll, gesellig, aufrichtig und auch mal selbstironisch. Gerne spielt er «The Legend of Zelda» oder veranstaltet einen Netflix-Marathon mit seiner Freundin. Zu seinen Hobbies zählen Wandern, Zelten, sich mit Freunden treffen, Lesen und Kochen. «Ich mag asiatische Geschmäcker von Thai Curry bis Ramen, eine eigene Art japanischer Nudeln, aber auch traditionelle Schweizer Gerichte wie Rösti mit Zwiebelsauce.» Eine einzige Ausnahme gibt es: «Anis riecht mir zu medizinisch.» Mit der Dreitannenstadt verbindet Gass vor allem den EHC Olten. Er ist ein grosser Fan, besucht alle Spiele. «Das braucht viel Zeit während der Saison. Diese ist vorbei. Leider und Gott sei Dank.» Nachdem er nach seiner Ausbildung die ersten vier Gesellenjahre im Kanton Graubünden verbracht und dort die Berufsmatura absolviert hat, entdeckte er mit 24 Jahren Olten wieder neu. «Als junger Erwachsener bekam ich einen anderen Blick, habe mich in die Stadt verliebt und fühle mich hier wohl. Es ist schon so: Einmal Olten, immer Olten.» Abgesehen vom Eishockey-Stadion hält Gass sich gerne in Gärten von Freunden auf oder unternimmt einen Aareschwumm zur Felsformation «Franzose». Auch die eigenen vier Wände mit Balkon bedeuten ihm viel. Darin wohnt auch Kater «Sir Henry». Der Bengale miaut. «Er ist sehr kommunikativ», lacht Gass. Seine Freundin bezeichnet den Kater liebevoll als «Chäs-Tiger», weil er in der Küche die Abschnitte vom Käse frisst.

«Man muss nicht Schweizer sein, um Oltner zu sein»

Geboren und aufgewachsen ist Gass als Kind deutscher Eltern in Olten. Als Dreijähriger, so erzählt er, habe er einmal Rotwein aus der Karaffe auf dem Tisch in seinen Schoppen umgeleert und getrunken. «Das Thema Alkohol war also schon in früher Kindheit aktuell», schmunzelt er. Als deutscher Schweizer gibt es in seinem Kopf zwei Schalter. «Es ist eine Sprache, aber zwei Dialekte. Ich unterhalte mich auf Schweizerdeutsch und denke auf Hessisch.» In der Schule habe er lange absichtlich mit Schweizer Akzent auf Hochdeutsch vorgelesen, um blöde Sprüche von Mitschülern zu vermeiden. «Für die Schweizer bin ich ein Deutscher, für die Deutschen ein Schweizer», fasst er seine Situation in Worte. Gass ist in der schweizerischen Kultur gross geworden, hat aber keinen roten Pass. Auch er sage Danke und Bitte an der Bar. «Ich hätte gerne ein Dreitannenbier, bitte. Kann ich bitte zahlen? Danke villmol.» Sein Grossvater väterlicherseits mit Jahrgang 1915 war den ganzen zweiten Weltkrieg als Soldat im Krieg an der Front. Seine Eltern sind beide Nachkriegskinder, der Vater war als promovierter Chemiker tätig, die Mutter als Pädagogin für Musik und Mathematik, die Schwester lebt und arbeitet heute als Pastorin in Hamburg. «Mehr als meine deutsche Herkunft hat mich das Aufwachsen in einem sozialdemokratischen Akademiker-Haushalt geprägt», resümiert Gass. Er sagt darum: «Ich brauche keine Staatszugehörigkeit für mein Selbstbild. Ich bin vor allem Oltner. Und man muss nicht Schweizer sein, um Oltner zu sein.»

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