Bauer ohne heilige Kühe
Im Gespräch Nach zehn Jahren im Solothurner Kantonsrat findet Felix Lang: «Das Politische kennt man ja von mir.» Ein Gespräch über einen Spartaner-Klub, einen Schicksalsschlag und eine Schnapsidee.
Das Foto könne doch im Stall entstehen, meint Felix Lang. Mit zügigen Schritten geht er über den Vorplatz des Buechehof in Lostorf, zwischen dem alten Bauernhaus und der Remise hoch, eben in Richtung Stall. Dort angekommen, nimmt er die Heugabel aus der Ecke und beginnt den Kühen Gras zu schöpfen. Seine Handgriffe sind eingeschliffen. Für einen Moment widmet er sich nur den Tieren, vergisst die Kamera, das Posieren und sein Lächeln. «Ich kenne einen Witz, den mein Vater immer erzählte», sagt er dann verschmitzt, als er sich an das Lächeln erinnert. Lang ist wieder da.
In diesem Stall, bei diesen Kühen auf dem Buechehof ist er fast täglich. Der Hof ist eine sozialtherapeutische Einrichtung für Erwachsene mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Die Betreuten wohnen und arbeiten hier. Lang leitet zusammen mit einem Kollegen den Bauernbetrieb.
Erst am vorletzten Sonntag, einem Abstimmungssonntag, habe er seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert, erzählt Lang. Ein wunderbares Familienfest sei es gewesen, mit über dreissig Leuten aus vier Generationen, draussen im Garten des «Maro’s» in Lostorf. «Die Abstimmungen waren kein Thema, bewusst nicht.» Lang, Biobauer aus einer Bauernfamilie, sass während einer Dekade für die Grünen im Solothurner Kantonsrat. Sauberes Trinkwasser, gesunde Nahrung, Pestizide in der Landwirtschaft und CO2-Ausstoss waren Themen der Abstimmungen. «Es gibt verschiedene Meinungen dazu in der Familie.»
Ein paar Tage nach seinem Geburtstagsfest schrieb Lang einen Leserbrief ans Oltner Tagblatt, «einen heftigen», meint er mürrisch. «Kommt endlich zu selbstkritischer Einsicht, Grüne!», ruft er darin schon im Titel seiner Partei zu. Auch wenn er vor zwei Jahren aus dem Kantonsrat zurücktrat, lässt ihn die Politik nicht kalt. Zu gross sind ihm deren Dimensionen: Gerechtigkeit, Freiheit, Gemeinschaft. Ein simpler Parteisoldat mit heiligen Kühen war Lang noch nie.
«Wir hatten Freiheiten damals»
«Das Politische kennt man ja von mir», findet Lang. Er freue sich darüber, porträtiert zu werden, aber vielleicht könne er ja etwas erzählen, was die Leute noch nicht von ihm wüssten. Dann setzt er an und beginnt mit seiner Kindheit, die er auf einem Bauernhof im aargauischen Aristau verbrachte, als eines der mittleren von acht Geschwistern.
«Wir hatten Freiheiten damals», erinnert er sich. Als etwa Zehnjähriger gründete Lang einen Verein mit, «den Spartaner-Klub. Wir waren acht oder neun Bauernbuben aus Aristau und richteten uns im Nachbarhaus ein eigenes Klublokal ein.» Zusammen unternahmen sie Rundreisen auf die Rigi. «Der Mitgliederbeitrag betrug einen Franken pro Woche», erzählt Lang und schmunzelt. Neben den Reisen hätten sie sich davon auch Fressalien gekauft, um den ersten August unter sich zu feiern.
Schicksalsschlag in der Kindheit
«Der Spartaner-Klub half mir über den Schicksalsschlag hinweg», ist sich Lang sicher. Als er acht Jahre alt war, verlor er seine Mutter. Sie starb an Herzversagen. Sein jüngstes Geschwister war erst wenige Monate alt, der Älteste, Alt-Nationalrat Jo Lang, wohnte schon nicht mehr auf dem elterlichen Hof. «Ich betete jeden Abend, dass sie zurückkommt», erzählt Lang.
An den Schmerz erinnere er sich sehr klar. Deshalb könne er bis heute fast nicht an Beerdigungen teilnehmen. «Dann stehe ich plötzlich wieder vor dem Grab meiner Mutter.»
Vier Jahre später heiratete sein Vater wieder, Lang erhielt vier Stiefgeschwister. Mit seiner Stiefmutter verstand sich Lang prächtig. «Da hatte ich endlich wieder eine Mutter.»
Die Suche nach dem Beruf
Dass er bauern will, wurde Lang trotz abgeschlossener Bauernlehre erst Anfang dreissig klar. Als Jugendlicher hatte er beschlossen, den elterlichen Hof einem älteren Bruder zu überlassen. Jenem, der nach dem Tod der Mutter bei der Familie blieb und dem Vater half.
Von der Arbeit als Pfleger war ihm nach einem Skiunfall abgeraten worden, «weil ich mit dem Rückenschaden die Patienten nicht mehr herumhieven sollte.» Dabei habe ihm die Arbeit im Spital gut gefallen.
«So bin ich auf Umwegen ins Siebdruck-Gewerbe gekommen», erzählt Lang. In einer Lehrwerkstatt für jugendliche Männer im offenen Strafvollzug gab er sein Wissen darüber weiter. Dann wurde ihm Anfang der Neunzigerjahre eine Stelle auf dem Hof Dorenbach bei Luzern angeboten.
Lang hatte inzwischen geheiratet, war Vater dreier Kinder geworden. «Der Chef dort hatte keinen Geschäftssinn», erinnert er sich an den Dorenbach. Nach einem halben Jahr stand die Familie Lang ohne Stelle und ohne Wohnung da. «Was der kann, kann ich schon lange», habe er sich da gesagt. In der Zeitschrift «Tierwelt» fand Lang ein Inserat: In Rohr stand ein Betrieb zur Pacht. Am 1. August 1994 übernahmen die Langs.
Am Anfang eine Schnapsidee
«Zuerst fand ich das eine Schnapsidee», erinnert sich Lang an jenen Moment, als ihm ein Freund, der auf dem Buechehof arbeitete, erzählte, dass der Betrieb einen zusätzlichen Bauer sucht. Fünfzehn Jahre hatte Lang inzwischen den Betrieb in Rohr geführt. «Dann begann ich meine Möglichkeiten abzuwägen.» Seine Kinder wollten den Betrieb in Rohr nicht übernehmen. Als angestellter Bauer auf dem Buechehof würde er selbstständig arbeiten können und trotzdem noch Ferien und Wochenenden haben. «Eigentlich kommt mir das entgegen», war Langs Fazit alsbald. So trat er 2009 seine heutige Stelle an.
Seither bleibt ihm etwas mehr Zeit, Zeitung zu lesen oder abends einen Krimi zu schauen. «Oder eine Quizsendung», meint Lang. Da würden seine Ehefrau und er dann gemeinsam miträtseln. An freien Tagen drehe er morgens eine Runde mit dem Hund. Und am Haus mit Umschwung gäbe es auch immer etwas zu tun.
Auf dem Buechehof passe für ihn alles zusammen. Der Bauernberuf, dessen Vielseitigkeit er schätzt. Und die Arbeit mit Menschen. «Menschen zu begleiten, liegt mir», sagt Lang. Daneben bauere er wie zuvor: «Mit wirtschaftlichem Denken, aber im Sinn der Betreuten», betont Lang. Und natürlich gehört dazu auch melken, misten oder Gras mähen, das er dann den Kühen schöpft. «Arbeiten, wie auf jedem Hof.»
...und ausserdem
Diese Person möchte ich gerne mal treffen
Menschenrechtsanwalt Philip Stolkin. Weil er auch in der Schweiz die Menschenrechte verteidigt.
So entspanne ich mich am besten
Einen Kaffee unter meinem hundertjährigen Kirschbaum geniessen.
Dieses Verhalten ärgert mich
Foodwaste und besonders Littering, was übrigens auch für Tiere sehr gefährlich sein kann. Und jede Art von Diskriminierung.