«Wir sind keine Paradiesvögel»

Verein Queer-Mittelland In der Region rund um Olten wird’s bunter: Am 30. April wurde ein Verein für queere Menschen ins Leben gerufen. Die Mitglieder wollen sich nicht nur untereinander vernetzen, sondern auch aufklären.

Diese neun Personen gehörten zu den Gründern des Vereins am 30. April. (Bild: ZVG)

Diese neun Personen gehörten zu den Gründern des Vereins am 30. April. (Bild: ZVG)

Daniel Schiessl ist eines der elf Gründungsmitglieder des Vereins Queer-Mittelland. Seine Vision ist klar: Mehr Toleranz für queere Menschen schaffen. (Bild: Cyrill Pürro)

Daniel Schiessl ist eines der elf Gründungsmitglieder des Vereins Queer-Mittelland. Seine Vision ist klar: Mehr Toleranz für queere Menschen schaffen. (Bild: Cyrill Pürro)

Ein Umdenken passiert Schritt für Schritt», sagt Daniel Schiessl. Schiessl ist im Co-Präsidium des neuen Vereins Queer-Mittelland, der am 30. April gegründet wurde. Das Gründungsmitglied sieht und bezeichnet sich selbst als nicht-binär. Nicht-binäre Menschen identifizieren sich weder als Frau noch als Mann. Mit dem schrittweisen Umdenken meint Schiessl den letzten Erfolg, den die queere Community für sich verbuchen konnte: Das klare «Ja» zur Ehe für Alle im September letzten Jahres. Mit diesem Schritt wurde die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet.

Schon da war Schiessl mit dem damals schon vorhandenen OK-Team an vorderster Front dabei und half im Abstimmungskomitee bei Veranstaltungen mit. Der erfolgreiche Abstimmungskampf und der dadurch entstandene Zusammenhalt war unter anderem mit ein Grund für die Vereinsgründung von Queer-Mittelland. Die Stadt Olten spielt für den Verein eine zentrale Rolle. Die Stadt ist nicht nur Treffpunkt für die Mitglieder. Hier leben auch viele von ihnen, auch solche aus dem Vorstand. Und hier in Olten wurde der Verein gegründet.

Vom Komitee zum Verein

Dass die Mitglieder des Vereins im Queer-Aktivismus ihre Berufung gefunden haben, ist spürbar, wenn Schiessl von den Abstimmungsveranstaltungen erzählt. So organisierte das Komitee sogenannte «Human-Libraries», menschliche Bibliotheken. Schiessl erklärt genauer: «Statt sich in Büchern zu informieren, erzählten unsere Mitglieder den Interessierten gleich selbst, was es heisst und wie es ist, homosexuell oder transgender zu sein. Anschliessend beantworteten wir auch Fragen.» Aufklärung war also ein grosser Teil des Abstimmungskomitees. Die Komiteemitglieder führten zudem eine Kreideaktion durch, bei der sie auf Vorplätzen von Bahnhöfen mit Kreide Werbung für die Parole machten. Das kam nicht überall gut an. «In den Städten erlebten wir Zuspruch, in ein, zwei Dörfern fiel die Reaktion eher mild aus», führt Schiessl aus, lacht und fügt an: «Gegenstimmen gibt es nun mal immer.»

Noch vor der Abstimmung entstanden letztes Jahr die «Queer-Hangouts» in Olten, Baden, Solothurn und Aarau. Diese haben bis heute Bestand und sind das Hauptangebot des Vereins. Nach der für die Gruppe erfolgreichen Abstimmung schloss sich das Komitee mit Statuten zu einem Verein zusammen. Erst gerade eine Pressemitteilung an lokale Medienhäuser geschickt – schon gab es medialen Rummel um den frisch gegründeten Verein. So berichtete unter anderem 20 Minuten und das Schweizer Radio und Fernsehen über die Vereinsgründung. «Im Vereinsvorstand waren wir positiv vom Ansturm der Zeitungen und Sender überrascht», so Schiessl. Es gäbe laufend Interviewanfragen, denen die Vorstandsmitglieder nachgehen.

Die Gruppe trifft sich jeden ersten Donnerstag im Solothurn, jeden zweiten Donnerstag in Aarau oder Olten und jeden dritten Donnerstag in Baden. «In Aarau sind wir, wenn die Temperatur warm und die Witterung gut ist», erklärt Schiessl. Denn da könnten die Mitglieder regelmässig in den Aussenbereich eines Lokals. Bei den Hangouts geht es gemäss Schiessl vor allem darum, dass sich queere Menschen untereinander vernetzen können – in einem Rahmen, in dem sich alle wohlfühlen. Diese Treffen sind zwar hauptsächlich für queere Menschen gedacht. Es sind aber auch Menschen willkommen, die «queerfriendly» sind. «So kommt es vor, dass queere Personen von ihren heterosexuellen Freundinnen oder Freunden an die Treffen begleitet werden, sei es als Unterstützung oder rein aus Interesse. So bekommen sie Einblick in unsere Leben und wir in ihre», erläutert Schiessl das Konzept hinter den Hangouts. Es sei wichtig, diesen Austausch auf beiden Seiten zu pflegen. Auch um mit Klischees aufzuräumen.

Weg von den Labels

Dass sich das Konzept der Hangouts bewährt hat, zeigt sich im Wachstum. Denn gemäss Schiessl gab es zu Beginn Treffen, in denen das Komitee allein war. Mittlerweile sind es aber bis über zehn Personen, die regelmässig an den Hangouts teilnehmen. Wie viele Aktivmitglieder mittlerweile dabei sind, kann Schiessl nicht abschliessend sagen. «Wir haben den Verein mit elf Leuten gegründet. Seit dem 30. April bekommen wir laufend Bewerbungen.» Es besteht auch die Möglichkeit, den Verein passiv zu unterstützen. Einzige Bedingung, um Aktivmitglied werden zu können: Man muss queerfriendly sein. «Unsere hauptsächliche Mission ist es, dass sich queere Menschen finden und vernetzen. An den Hangouts sind, wie schon gesagt, auch nicht-queere Menschen herzlich willkommen», sagt Schiessl. Politisch sieht sich die Gruppe als neutral an, konservativ geprägte Menschen seien ebenso willkommen wie Linksorientierte. Es gebe auch konservativ denkende Queer-Personen, wie die non-binäre Person sagt.

Den einzelnen Mitgliedern wird viel Freiraum gelassen. Denn dem Vorstand sei es wichtig, dass der Verein nicht «von oben herab» geführt wird. «Alle sollen sich kreativ ausleben können», so Schiessl. Aus diesem Grund gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, die sich durch die Vereinsstruktur hindurch ziehen. Eine Gruppe ist zuständig für einen Anlass, die andere kümmert sich um die Website, eine andere wiederum um den Social Media-Auftritt. «So können sich alle aktiv am Vereinsleben beteiligen», sagt Schiessl dazu. Ein nächster grosser Event, an dem auch Mitglieder aus dem Verein teilnehmen werden, ist das Pride Festival in Zürich im Juni. Wie eine Teilnahme organisiert wird, stünde aber noch in den Sternen. Eigene Projekte des Vereins sind in Arbeit, aber noch nicht spruchreif, wie Schiessl sagt.

Schiessl hofft, dass der Verein weiterhin wachsen wird. Keineswegs aus Expansionswille. «Es geht uns darum, queere Menschen aus dem ganzen Mittelland zueinander zu bringen und den Leuten zu erklären, wer wir sind und was wir wollen», erläutert Schiessl und sagt gleich darauf: «Wir sind keine Paradiesvögel.» Keine Paradiesvögel, aber Menschen. Und dass Aufklärungsarbeit etwas bewirken kann, hat die Abstimmung letzten September gezeigt.

 

Was bedeutet «queer»?

Begriffserklärung Wie der Verein in der Präambel seiner Statuten beschreibt, ist «queer» ein Sammelbegriff für Personen, die ihre geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht als der erlebten Heteronormativität entsprechend sehen. Der Begriff «queer» wurde früher abwertend verwendet, die damit bezeichnete Person wurde als «eigenartig, suspekt oder sonderbar» beschrieben. Seit Mitte der 90er-Jahre hat sich der Gebrauch des Begriffs zu einer positiven Selbstbezeichnung gewandelt. (ckp)

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