Von vielen Ohren überhört

Pro Audito Region Olten Der Dienstag, 3. März ist der Welttag des Hörens. Der Tag will auf die Bedeutung des Gehörs aufmerksam machen. Regula Brandenburger-Wyss und Albert Schumacher von «pro audito region olten» wissen aus eigener Erfahrung, wie wertvoll gutes Hören ist.

«Mit den Augen hören»: Regula Brandenburger-Wyss, im Sekretariat tätig, und Präsident Albert Schumacher von «pro audito region olten». (Bild: Franz Beidler)
«Mit den Augen hören»: Regula Brandenburger-Wyss, im Sekretariat tätig, und Präsident Albert Schumacher von «pro audito region olten». (Bild: Franz Beidler)

Ihre Behinderung sei versteckt, stellt Regula Brandenburger-Wyss fest. Die 45-jährige Dullikerin arbeitet in einem Teilzeitpensum im Sekretariat von «pro audito region olten». Seit ihrer Schulzeit leidet sie unter Schwerhörigkeit. «Die Bezirksschule habe ich trotz einem Hörtest mit schlechtem Resultat beim Schularzt ohne Hilfsmittel bewältigt», erinnert sie sich. «Inzwischen kann ich mich wehren», sagt sie bestimmt. Das musste sie lernen, denn schon in der Lehre als Kaufmännische Angestellte zog ihr Chef nach einem Monat die Reissleine. «Am Telefon habe ich ständig Namen falsch verstanden, das ging so nicht.» Mancher Anrufer habe sich darob erzürnt. Schliesslich bekam Brandenburger-Wyss ihre ersten Hörgeräte. Da war sie 16 Jahre alt und konnte ihre Lehre fortsetzen. Später arbeitete sie in einem Möbelhaus. Um eine Lagerumstellung erfolgreich über die Bühne zu bringen, stand sie täglich bis zu vierzehn Stunden im Einsatz. Die stressigen Tage machte ihr Gehör nicht mit. Ein Hörsturz war die Folge. Im Spital wurde ihr Gehör mit Kortison behandelt, um ihre Hörfähigkeit möglichst zu erhalten. Seither hört sie noch 45 Prozent und leidet zusätzlich an einem chronischen Tinnitus. «Der stört mich aber nur, wenn ich die Hörgeräte nicht trage», erklärt sie. Wehren musste sich Brandenburger-Wyss wieder bei der Geburt ihrer ersten Tochter. Die zweifache Mutter litt danach unter Kopfschmerzen, die von den Hörgeräten ausgelöst wurden. «Schwangerschaft und Geburt strapazieren den Körper, das schlug mir auf das Gehör», erzählt sie. Beim Ohrenarzt stiess sie auf Unverständnis. «Die unterschwellige Botschaft war: Eine Hausfrau braucht keine Hörgeräte.» Brandenburger-Wyss wandte sich an «pro audito region olten», wo sie Rat erhielt. «Unser Verein berät in persönlichen, juristischen und finanziellen Belangen kostenlos», erklärt Albert Schumacher, Präsident von «pro audito region olten». Das Angebot gilt für Alle: Für Nichtmitglieder genauso, wie für Angehörige. «Meine jetzigen Hörgeräte trage ich seit acht Jahren», sagt Brandenburger-Wyss. Sie sei sehr zufrieden damit.

Unsichtbar und schleichend

Brandenburger-Wyss Leidensweg ist beispielhaft. Weil eine Schwerhörigkeit eben unsichtbar ist und oft auch schleichend beginnt, bleibt sie lange unbemerkt. So erging es auch Schumacher. Er sollte als Zeuge in einer Gerichtsverhandlung aussagen. Als er eine Frage falsch verstand und sich mit seiner Antwort blossstellte, handelte er. «Meine Ehefrau und meine Kinder hatten mir schon lange gesagt, ich würde nicht gut hören», erzählt er. Heute trägt der 76-Jährige beidseitig Hörgeräte und engagiert sich seit zehn Jahren für «pro audito». «Betroffene ziehen sich oft aus dem Alltag zurück», sagt Schumacher. «Im klanglichen Durcheinander von öffentlichen Räumen ist Hören sehr anstrengend, denn Betroffene können Klänge nicht mehr filtern», weiss Brandenburger-Wyss aus Erfahrung. Gerade im Alter kann diese Isolation verheerend sein.

Das Gehirn verlernt zu hören

«Hören und dazugehören», zitiert die Dullikerin einen Leitsatz von «pro audito». Um das zu erfüllen, bietet der Verein ein reichhaltiges Programm. In Vorträgen und Tablet-Kursen wird wertvolles Wissen vermittelt. «Technologie kann sehr hilfreich sein», weiss Schumacher, «aber man muss sie nutzen können.» Gedächtnis- und Hörtrainings mit Lippenlesen sind für Betroffene ebenso wichtig. «Das Gehirn verlernt zu hören», erklärt der Präsident. «Deshalb sollten Hörgeräte auch zu Hause getragen werden», rät er. Nur so habe das Gehirn die Chance, das Hören von Geräuschen zu üben. In einer Selbsthilfegruppe treffen sich zudem Menschen mit Tinnitus zum Gespräch und tauschen Tipps aus. «Der soziale Aspekt ist uns sehr wichtig», erklärt der Präsident. So treffen sich die rund 550 Mitglieder des Vereins auch zum Kegeln und Jassen oder zu Kinobesuchen und Mittagstischen. An den Anlässen sind jeweils auch Angehörige willkommen. «Manche der Mitglieder sind normalhörend und nur wegen dem Geselligen im Verein.» Auch für ein jährliches Waldfest und eine gemeinsame Adventsfeier kommen die Mitglieder zusammen.

Das lange Suchen zahlt sich aus

Seit 2016 bietet «pro audito region olten» auch Kurse im Ferienpass an. Unter dem Titel «Geheimsprache» lernen die Kinder Lippenlesen und das Fingeralphabet. «Wir erklären ihnen auch, wie das Ohr funktioniert und führen Schallmessungen durch», erzählt Schumacher. Am meisten Aufwand betreibt der Verein aber, um Schwerhörigen zu einem passenden Hörgerät zu verhelfen. «Das kann schwierig zu finden sein, ausserdem sind manche Geräte sehr teuer», sagt Schumacher und berichtet von einem Betroffenen, der sich nach langer Suche zum Kauf eines Hörgeräts für 9’000 Franken drängen liess, obwohl er damit nicht zufrieden war. «Akustiker arbeiten oft auf Provision, aber das teuerste ist nicht immer das beste Gerät.» Über mehrere Monate Modelle durchtesten zu müssen, brauche einen langen Atem. Dennoch lohnt die Suche, wie Brandenburger-Wyss bestätigt: «Ohne mein Hörgerät würde das Leben an mir vorbeiziehen.»

pro audito region olten
Ziegelfeldstrasse 8
4600 Olten
T 062 213 88 44

www.proaudito-olten.ch

 

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