Moralisieren hilft nicht

Fachstelle Lysistrada Nicht die Arbeit, sondern die Stigmatisierung, die damit einhergeht, sei das eigentliche Übel für Sexarbeitende. An diesen Vorurteilen möchte die Fachstelle Lysistrada etwas ändern. Sozialarbeiterin Melanie Muñoz erzählt von ihrer Arbeit.

Sozialarbeiterin Melanie Muñoz an ihrem Arbeitsplatz, dem Büro des Vereins Lysistrada in Olten. (Bild: Denise Donatsch)
Sozialarbeiterin Melanie Muñoz an ihrem Arbeitsplatz, dem Büro des Vereins Lysistrada in Olten. (Bild: Denise Donatsch)

In Zeiten vor Corona war die Kernaufgabe von Melanie Muñoz jene, Clubs, Bars, Cabarets und einmal in der Woche auch den Strassenstrich in Olten zu besuchen. Dies, um zu schauen, wie es den Sexarbeitenden geht. Unterstützt wird sie dabei von Mediatorinnen. «Ich stehe ganz klar dafür ein, dass Sexarbeit endlich als reguläre Arbeit anerkannt wird», erklärt Muñoz, die seit zwölf Jahren für die Fachstelle Lysistrada und deren Anliegen arbeitet. «Moralisieren», so Muñoz, «erhöht nur das Leiden.»

Unbürokratische Hilfe ist gefragt

Um mit den Sexarbeitenden jeweils ins Gespräch zu kommen und einen ersten Kontakt aufzubauen, gäbe es sogenannte «Türöffner». «Wir verschenken kleine Willkommenstüten an Personen, die wir neu antreffen», erklärt Muñoz. Der Inhalt dieser Tüten besteht vor allem aus Hygiene- und Drogerieartikeln wie Kondome, Gleitmittel und Feuchttücher. Aber auch Informationen werden an die Sexarbeitenden abgegeben. «Diese dienen dazu, die Arbeitenden über ihre Rechte aufzuklären sowie sie in gesundheitlichen Belangen zu informieren und zu beraten.» Präventive Massnahmen seien hier besonders wichtig. Komme es aber doch zu gesundheitlichen Problemen, dann sieht die Situation, insbesondere für Arbeitende mit Migrationshintergrund, oftmals ziemlich schwierig aus. «Einige der Sexarbeitenden sind hier in der Schweiz nicht versichert. Einen Arzt aufzusuchen, kann für sie demzufolge mit äusserst negativen Konsequenzen verbunden sein.» Dies ist einer der Bereiche, in welchen Lysistrada für die Sexarbeitenden einspringt. «Wir schauen für unbürokratische ärztliche Hilfe, sodass die Sexarbeitenden behandelt werden und die Rechnungen bar bezahlt werden können», so Muñoz.

Quasi ein neuer Arbeitsplatz

Seit dem Lockdown im März habe sich die Arbeit von Lysistrada jedoch grundlegend verändert. «Wir sind insbesondere damit beschäftigt, Essen zu verteilen und finanzielle Hilfe zu leisten», erklärt Muñoz. Da die Sexarbeitenden wegen der Coronamassnahmen nicht mehr arbeiten dürfen, fehle ihnen das Geld dafür. Gerade für Personen ohne Aufenthaltsbewilligung im sogenannten Meldeverfahren, die eigentlich nur neunzig Tage bleiben wollten, um Geld zu verdienen und nun coronabedingt nicht mehr nach Hause reisen können, wird es schwierig. Aktuell habe Lysistrada noch flüssige Mittel, jedoch sei der Verein mehr denn je auf Spenden angewiesen, um den aktuellen Missstand abfedern zu können, erläutert Muñoz.

Grosszügig hat sich insbesondere die Glückskette gezeigt, die innerhalb der ganzen Schweiz Vereine unterstützt, die sich für Sexarbeitende einsetzen. Aber auch Stiftungen und die Kirche haben den Vereinen finanziell unter die Arme gegriffen. «In normalen Zeiten unterstützen uns eher private Spender, momentan würde das aber schlicht nicht reichen.»

Verkaufte Illusionen

Das grösste Problem im Zusammenhang mit der Sexarbeit sieht Muñoz jedoch an anderer Stelle. «Man kann subjektiv von diesem Gewerbe halten, was man will, Tatsache ist, es existiert», so Muñoz und ergänzt, dass dies auch so bleiben wird, solange sich die Menschheit nicht ändert. Die Sexarbeitenden würden rege frequentiert werden, es bestehe also eine grosse Nachfrage. «Und darum», so die Sozialarbeiterin, «sollte man aufhören, diese Arbeit zu verurteilen und sie endlich als Teil unserer Gesellschaft akzeptieren.» Damit wäre den Sexarbeitenden am meisten geholfen, denn laut Muñoz’ Erfahrungen würden diese mehr unter der fehlenden Akzeptanz als unter der Arbeit leiden. Dennoch wolle sie das Business auf keinen Fall romantisieren. «Es gibt viele traurige Aspekte innerhalb dieser Branche, das lässt sich nicht bestreiten. Ein Sexarbeiter oder eine Sexarbeiterin kann aus Angst vor dem Entdeckt-Werden vieles nicht, was für uns selbstverständlich ist.»

Auch würden die wenigsten Prostituierten aus Scham mit ihrer Gynäkologin darüber sprechen, was sie beruflich machen. Die Sexarbeitenden treffen jedoch fast immer bewusst die Entscheidung, diesen Weg zu gehen, aus welchen Gründen auch immer, so Muñoz. Und natürlich hätten insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund oftmals kaum Alternativen. Dennoch unterstützt die Sozialarbeiterin das heutige Opfer-Bild, das die Gesellschaft von Sexarbeitenden hat, nicht. «Die Sexarbeitenden sehen ihre Arbeit als Dienstleistung, für die sie bezahlt werden und nichts weiter. Sie verkaufen Illusionen an Menschen, die daran glauben möchten – genau wie im Kino.»

Sexarbeitende sind meist keine Opfer

Gewisse feministische Strömungen würden das jedoch anders sehen. «Für manche Feministinnen beschränkt sich die Prostitution auf die weibliche Prostituierte und den männlichen Kunden.» Innerhalb dieses Konstruktes sei aus deren Sicht die Frau immer ein Opfer und habe sich mit Sicherheit nicht freiwillig für diese Art der Arbeit entschieden. Dem könne die Sozialarbeiterin nach zwölf Jahren Erfahrung mit Sexarbeitenden aber klar widersprechen und wiederholt nochmals mit Nachdruck, dass es viel wichtiger sei, dieses Business als Normalität unserer Gesellschaft zu begreifen. So könne man die Arbeitenden besser schützen und ihnen das Leben enorm erleichtern.

www.lysistrada.ch

 

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