Aus Liebe zu ihrem «Grosi»

Team 10439 In Olten ist ein Verein beheimatet, der sich dem Unterhalt von historischem SBB-Rollmaterial widmet – und auch dem Wissenstransfer an nachfolgende Generationen.

Aktuar Martin Liechti (links) und Präsident Hans-Peter Kaiser vor der namensgebenden Lokomotive ihres Vereins, der 10439, ebenfalls bekannt als «Trimbacher Frontlenker» oder vereinsintern schlicht als «Grosi». (Bild: Achim Günter)
Aktuar Martin Liechti (links) und Präsident Hans-Peter Kaiser vor der namensgebenden Lokomotive ihres Vereins, der 10439, ebenfalls bekannt als «Trimbacher Frontlenker» oder vereinsintern schlicht als «Grosi». (Bild: Achim Günter)

Ob Queen Elizabeth II. auf diesem Ledersessel Platz genommen hat? Damals, bei ihrem Staatsbesuch 1980 in der Schweiz? Oder wenigstens die Bundesräte Willy Ritschard, Kurt Furgler oder Rudolf Gnägi bei einem Bundesratsreisli in den 70er-Jahren? Möglich wärs. Wir sitzen im Bundesratswagen As 2801 im Oltner Depot von SBB Historic.

Anlass des Treffens ist aber nicht die Zahlenreihe 2801, sondern die 10439. Oder präziser: das Team 10439. Dahinter verbirgt sich ein Verein, dessen eigentümlicher Name Bezug nimmt auf eine Lokomotive. Eine inzwischen historische, betrieblich längst ausrangierte Lokomotive, die aber über Jahrzehnte beste Dienste für die SBB geleistet hat.

2001 wurde die Stiftung SBB Historic gegründet, um Lokomotiven wie die 10439 vor dem Gang auf den Eisenbahn-Friedhof zu bewahren. Seither wird nicht mehr regelmässig im Einsatz stehendes Rollmaterial der SBB zum Beispiel in einem Depot im Oltner Industriegebiet untergebracht. Mit der Parkierung der Lokomotiven ist es jedoch nicht getan. Die Lokomotiven wollen unterhalten, gepflegt und bewegt werden. Eben darum kümmert sich der Verein Team 10439 seit seiner Gründung im Mai 2004. Er pflegt und hegt vier Lokomotiven als Leihgaben, unterhält zwei weitere im Mandatsverhältnis im Auftrag von SBB Historic und bringt das historische Rollmaterial einer breiten Öffentlichkeit näher.

Präsident des Vereins ist seit ein paar Jahren der Starrkircher Hans-Peter Kaiser. Der 51-Jährige ist Lokomotivführer bei SBB Personenverkehr. Für die SBB arbeitet er seit 35 Jahren, zuerst jahrelang als Zugbegleiter, nach einer Umschulung als Lokführer. Zum Verein stiess er ein Jahr nach dessen Gründung. «Eine Gruppe von Lokführern, die sich bereits zuvor mit diesen Fahrzeugen auseinandergesetzt hatten, rief den Verein ins Leben», erklärt Kaiser. «Die Grundüberlegung war, dass sich jene Leute um die Fahrzeuge kümmern sollten, die sie bereits gut kannten. Dezentral war das besser möglich.» Teams wie jenes in Olten gibt es auch anderswo in der Schweiz, etwa in Erstfeld oder Winterthur.

Schon bei der Gründung des heute 62 Mitglieder zählenden Vereins Team 10439 waren allerdings nicht nur Lokführer beteiligt, sondern auch Pensionierte und Personen ohne direkten Bezug zur Eisenbahn. «Die Freude an alten Fahrzeugen, an alten Maschinen, an der alten Mechanik» verbinde sie im Verein. Und logisch: Bahnaffin sind sie allesamt. Gewartet werden keine Dampfloks aus den Anfängen der Eisenbahn, sondern nur Elektrolokomotiven. «Nichts ist selbstverständlich an diesen alten Fahrzeugen. Man muss die Zusammenhänge kennen», erläutert Kaiser.

«Wer nicht schraubt, der fährt nicht»

Aktuar Martin Liechti, im Jahr 2000 zu den SBB gestossen, kennt die historischen Lokomotiven nicht aus eigener Berufserfahrung. Wie Kaiser ist aber auch er schwer begeistert von den Kolossen auf Schienen. «Ich finde es total faszinierend, was man sich vor 100 Jahren ausgedacht hat, um ein technisches Problem zu lösen – und zwar noch mit Mechanik, nicht mit Elektronik wie heute. Und dass es Leute gibt, die das Wissen von einst an nachfolgende Generationen weitergeben können, finde ich sehr cool. Und genau dafür ist dieser Verein natürlich ebenfalls da.» Für den 48-Jährigen liegt die Faszination auch in Jugenderinnerungen begründet. «In den 80er-Jahren war ich Kind. Damals habe ich die Re6/6, die schöne, grosse sechsachsige Maschine bewundert. Die war für mich immer ein Traum. So habe ich mit 14 den Entscheid gefasst, Lokführer zu werden.»

Das Team 10439, das grösste aller SBB-Historic-Teams, führt pro Jahr normalerweise drei Fitnessfahrten durch, dazu immer wieder Depotführungen, jährlich bis zu 15 Fahrten für private Gesellschaften sowie zahlreiche Arbeitstage. Jedes Jahr muss gemäss Vorgaben des Bundesamtes für Verkehr das sechs- bis achtseitige Unterhaltsprotokoll pro Fahrzeug abgearbeitet werden, um damit weiter unterwegs sein zu dürfen. Aufgefordert zur aktiven Mithilfe sind alle. Im Verein gelte der Grundsatz «Wer nicht schraubt, der fährt nicht».

Zwei Depotführungen am Samstag

Übermorgen Samstag, 29. Mai, hätte eine Fitnessfahrt stattfinden sollen. Daraus wird nun aber nichts. Der Grund ist allerdings für einmal nur indirekt in der Pandemie zu suchen. Weil die Bauabteilung der SBB wegen Corona die Ersetzung der Fahrleitungen mehrmals verschieben musste, findet diese nun an diesem Samstag statt. Dafür veranstaltet der Verein an diesem Tag ausnahmsweise eine zweite Depotführung.

Und dann plant der Verein auch noch eine ganz grosse «Kiste»: ein Depotfest mit 22 teilnehmenden Eisenbahnvereinen aus der gesamten Schweiz. Eigentlich hätte diese Zusammenkunft historischer Elektroloks bereits 2020 steigen sollen, dann 2021. Corona verhinderte das. Da 2022 das Jubiläum 175 Jahre Schweizer Bahnen gefeiert wird, steht nun 2023 als Austragungsjahr im Vordergrund; definitiv entschieden wird im Herbst. Vereinspräsident Hans-Peter Kaiser selbst hatte die Idee des Depotfests vor Jahren lanciert. Dreieinhalb Jahre Vorarbeiten wurden bereits investiert.

Die Lok 10439, unter Bähnlern auch als «Trimbacher Frontlenker» bekannt und vereinsintern liebevoll «Grosi» genannt, würde fürs grosse Depotfest ganz bestimmt besonders herausgeputzt. «Auf dieser Maschine basiert unser Verein. Man hätte wohl alle Fahrzeuge ausmustern können, aber bei der hätten wir uns mit Händen und Füssen dagegen gewehrt, dass sie wegkommt», sagt Kaiser mit einem Schmunzeln. Der Rote Pfeil, ebenfalls in Obhut des Teams 10439, mag in der Öffentlichkeit mehr Aufsehen erregen. Das Heiligste für die Vereinsmitglieder aber, das ist ohne Zweifel ihr «Grosi».

www.lok10439.ch

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