Blicke in die Tabuzone
Ausstellung Das Historische Museum Olten vertieft in zwei Ausstellungsgesprächen die Inhalte der Sonderausstellung «Durch die Linse. Fotografien aus dem Psychiatriealltag.» Das nächste Ausstellungsgespräch findet am 26. Juni statt.
Mit zwei Ausstellungsgesprächen bietet das Historische Museum Olten im Juni vertiefende Einblicke in die Sonderausstellung «Durch die Linse. Fotografien aus dem Psychiatriealltag». Auf einem Rundgang setzte sich Monika Jagfeld, Leiterin des Museums im Lagerhaus St.Gallen, am Mittwoch, 22. Juni, genauer mit dem Werk Roland Schneiders auseinander, der als Patient in der Klinik Rosegg hospitalisiert war.
Am Sonntag, 26. Juni, 15 Uhr, unterhalten sich dann Willi Keller und der ehemalige Leiter des Kunstmuseums Olten, Peter Killer, über Kreativität und Therapie. Keller, ehemals Psychiatriepfleger und Künstler, dokumentierte den Alltag in der Klinik Burghölzli in Zürich in den 70er-Jahren.
Atelier in der Psychiatrie
Roland Schneider wurde 1987 mit dem Klinikalltag in der Kantonalen Psychiatrischen Klinik Solothurn vertraut. Ihm wurde von der Klinikleitung erlaubt, das dortige Leben fotografisch zu dokumentieren. Seine Fotografien bieten aber mehr als rein visuelle Eindrücke: Sie vermitteln weitreichende sensorische Empfindungen des Klinikalltags. «Wände. Mauern. Überall: Widerstand. Risse im Haus (…). Wie Wunden. Narben. Überall Zerstörtes», notiert Schneider im Sommer 1987.
Sein Blick durch die Linse und die künstlerische Arbeit bedeuten für ihn eine Neuentdeckung seiner schöpferischen Kraft auf dem Weg zur Genesung. Aufschlussreich sind die Aufnahmen, die Roland Schneider von seinem eigenen Zimmer macht. Er hat die Wände des Patientenzimmers mit Fotos, Bildern, Zitaten gepflastert und den Raum mit diversen Utensilien gefüllt.
Immer wieder die kargen Innenräume
Auch Willi Keller kannte den Klinikalltag gut. Der ausgebildete Fotograf war knapp 20 Jahre vor Roland Schneider von 1963 bis 1972 Psychiatriepfleger in der Klinik Burghölzli in Zürich. Zusammen mit einigen Ärztinnen, Ergotherapeuten und Pflegefachpersonen gründete Keller in dieser Zeit eine Basisgruppe, die Veränderungen anstrebte. Inspiriert von Franco Basaglias Ansätzen, einem Pionier der antipsychiatrischen Bewegung, lösten allmählich kreative Tätigkeiten den Insulinschock, Schlafkuren oder Neuroleptika ab.
1970 bekam er von der Klinik den Auftrag, den Alltag in der Psychiatrie zu dokumentieren. Es sind Bilder aus einem Hochsicherheitstrakt: von Menschen aus dem Paralleluniversum der Verwahrpsychiatrie, auf Stühlen sitzend, bei der Arbeit oder beim Rauchen. Und immer wieder die kargen Innenräume. Ganz in der Tradition der sozialkritischen Dokumentarfotografie ist Kellers Bildsprache fern von Voyeurismus und von Mitgefühl geprägt. Sein fotografischer Blick legt die Ambivalenz von freiwilligem Eingeschlossensein und Schutzbedürfnis der Patienten offen. pd