Ein Händchen für den Fels

Hägendorf Der Fels an der Allerheiligenstrasse oberhalb Hägendorf wird wegen Steinschlaggefahr gereinigt. Ausnahmsweise übernehmen Spezialisten aus Obwalden die Arbeit.

Felssicherer Bernhard Drexel

Felssicherer Bernhard Drexel

Ein Team von insgesamt sechs Mann reinigt in Handarbeit den Felsen neben der Allerheiligenstrasse oberhalb von Hägendorf. (Bilder: Franz Beidler)

Ein Team von insgesamt sechs Mann reinigt in Handarbeit den Felsen neben der Allerheiligenstrasse oberhalb von Hägendorf. (Bilder: Franz Beidler)

Geologe Klaus Louis

Geologe Klaus Louis

Projektleiter Andrew Walker

Projektleiter Andrew Walker

Letzte Woche begann die Felsreinigung an der Allerheiligenstrasse oberhalb von Hägendorf. Was üblicherweise jeweils das Kreisbauamt erledigt, wird jetzt einer spezialisierten Firma übertragen.

«2015 hatten wir ein grosses Ereignis», rekapituliert Andrew Walker, Bauingenieur und der zuständige Projektleiter beim Amt für Verkehr und Tiefbau vom Kanton Solothurn. Damals setzten sich etwa zweieinhalb Tonnen Gestein in Bewegung, etwa die Hälfe davon landete auf der Strasse. Ausserdem habe das Kreisbauamt über die letzten Jahre vermehrt Steinschlag notiert, fügt Walker an.

Auf den grossen Steinschlag hin beauftragte der Kanton den Geologen Klaus Louis mit einer umfassenden Untersuchung. «Das war ein ziemliches Ding», erinnert sich Louis an den grössten der Brocken, der vor sechs Jahren auf der Strasse landetet. Der 61-Jährige macht seit über dreissig Jahren als selbstständiger Geologe Abklärungen zu Naturgefahren. Dieser Tage reist er zum Beispiel auch ins Linthal im Glarnerland, um per Helikopter die dortige Bergsturzgefahr zu beurteilen. «Da sprechen wir dann aber von einer Million Kubikmeter Gestein», setzt er die Felsreinigung in Hägendorf ins Verhältnis.

«Schöner, dichter Jurakalk»

Louis untersuchte den Fels an der Allerheiligenstrasse akribisch. «Das ist schöner, dichter Jurakalk», erklärt er das Gestein. «Als sich der Jura auffaltete, wurde der Fels zerrissen», blickt er auf die Entstehung des Gebirges zurück. Je nachdem wie die entstandenen Trennflächen liegen, kann Gestein nun eben rausrutschen. «Der ganze Jura ist brüchig», weiss Louis. Erosion durch Wind, Wasser und Wurzelwerk täten dann ihr übriges. Für den Geologen eine normale Entwicklung. «Das Problem ist eigentlich der Mensch, der unbedingt unter einer Felswand eine Strasse bauen muss», meint Louis lachend.

In seiner Untersuchung kam Louis zum Schluss, dass momentan keine Schutzbauten an der Allerheiligenstrasse nötig sind. Daraufhin entschied der Kanton, als Sofortmassnahme Spezialisten mit einer ausführlichen Felsreinigung zu beauftragen. «Die haben das geologische Fachwissen und jahrelange Erfahrung und können so den Fels um einiges gründlicher reinigen», erklärt Walker. In den kommenden Jahren wird dann wieder das Kreisbauamt die regulären Unterhaltsarbeiten übernehmen.

Das Projekt kostet den Kanton 440000 Franken. Für die allfälligen Schutzbauten wurden die Kosten auf 1,5 Millionen Franken geschätzt. «Es ist geplant, dass mögliche Schutzbauten ab dem Jahr 2028 wieder abgeklärt werden», gibt Walker Auskunft.

Es sei schon ein spezielles Vorhaben, sagt Walker zur Felsreinigung. «Bei diesem Abschnitt der Allerheiligenstrasse überlagern sich die Juraschutzzone, eine Grundwasserschutzzone und ein Naturreservat.» Auch wurden in dem Gebiet schon archäologische Funde aus der Jungsteinzeit gemacht. Ausserdem verläuft unterhalb der Strasse ein Wanderweg durch die Teufelsschlucht, «ein beliebtes Ausflugsziel», weiss Walker. Er selber geniesse es natürlich, bei der Arbeit mit so schönen Orten zu tun zu haben.

Team von sechs Felssicherern

Einer dieser Spezialisten, die sich in den nächsten Wochen am Allerheiligen in den Fels hängen, ist Bernhard Drexel von der Firma Gasser Felstechnik aus Obwalden. Die Firma hat sich bei der Ausschreibung des Kantons durchsetzen können. Trexler führt in Hägendorf ein Team von fünf Felssicherern an. «Den Beruf gibt es offiziell eigentlich gar nicht», meint Drexel lachend. Viele von ihnen seien ehemalige Maurer, manche auch Bergführer. Der 50-jährige Drexel lernte Zimmermann, bevor er die Polierschule und später einen Seilkurs absolvierte. Felssicherer wurde er vor 25 Jahren. «Eigentlich ist es ein Traumjob», meint er. Besonders die Abwechslung schätzt Drexel. Zusammen mit seinem Team sicherte er schon Felsen auf dem Jungfraujoch oder in Island. Oft ist der Arbeitsplatz nur per Helikopter erreichbar. In Hägendorf reichen noch Seil, Hammer und Helm.

Kommen Drexel und sein Team morgens zum Fels an der Allerheiligenstrasse, überprüfen sie zuerst, ob sich über Nacht Gestein bewegt hat. Dann legen sie Sprengmatten auf die Strasse, um den Belag zu schützen, ziehen ihre Seile wieder auf und klettern hoch. Die Felsreinigung passiert in Abschnitten und von oben nach unten. «Es ist wichtig, dass wir immer in einer Linie arbeiten», erklärt Drexel. Weggespitztes Gestein könnte sonst jene weiter unten treffen. Die herausgebrochenen Steine haben meist die Grösse von Bahnschotter bis etwa einem grossen Brotlaib und können schon mal fünfzig Kilo und mehr wiegen. «Wir sind ein eingespieltes Team», sagt Drexel. «Aber klar, ein Risiko gibts immer.»

Bei jedem Abschnitt wird zuerst die Felskante von Gehölz und Erde befreit. Dann folgt die Arbeit im Seil. Mit einem Hammer klopfen die Männer den Fels ab und brechen heraus, was locker sitzt. Auffälliges melden sie dem Geologen. Etwa zweihundert Quadratmeter Felswand reinigt jeder Einzelne so pro Tag. «Hier arbeiten wir nur mit Brecheisen und Pickel», sagt Drexel zur Felsreinigung in Hägendorf. Andernorts kommen auch Winden, Abbauhammer oder sogar Sprengladungen zum Einsatz.

Was locker sitzt, klingt anders

Zweimal die Woche seilt sich auch Geologe Louis ab und überprüft den Fels. «Du legst eine Hand an den Fels und schlägst mit dem Hammer auf das Gestein», erklärt er. «Wenn es locker sitzt, gibt es einen anderen Klang und vibriert.» Das komme dann alles weg, erklärt der Geologe. «Aber zu hundert Prozent kriegst du nie alle Steine weg.» Bereits haben die Felssicherer und der Geologe einen acht mal vier Meter grossen Brocken markiert, etwa eineinhalb Meter dick, der sich in ferner Zukunft mal lösen könnte. «Das passiert aber nicht spontan», beruhigt Louis. Angst haben müsse auf der Allerheiligenstrasse nach der Felsreinigung niemand.

Etwa sechs bis acht Wochen sind für die Felsreinigungsarbeiten eingeplant. Gearbeitet wird jeweils von Montags bis Donnerstags, so dass ab Freitag über das Wochenende ein Bus die Strasse befahren kann. Für Verkehr und Wanderer gibt es eine Umleitung. Mitte Dezember soll die Allerheiligenstrassse dann wieder offen sein. Drexel und sein Team hängen dann längst in einem anderen Fels.

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