Keine Stunde falsches Leben
Dimitri Stapfer Der Wangner Schauspieler ist ab heute Donnerstag im Schloss Waldegg zu sehen. Ausserdem feierte er mit «Das Maddock Manifest» kürzlich sein Regiedebut.
Freitagabend vor dem Kino Rex in Bern: «Setzen wir uns doch draussen hin», sagt Dimitri Stapfer und zeigt auf einen der Bistrotische vor dem Kinoeingang. Dann stellt er sein Bier auf den Tisch, setzt sich hin, schlägt das linke Bein über das rechte und rollt sich eine Zigarette. An diesem Abend präsentiert der 33-Jährige sein Regiedebut «Das Maddock Manifest» dem Berner Publikum, nur wenige Tage nachdem der Film an den Solothurner Filmfesttagen Weltpremiere feierte. «Das Interesse am Film haute mich um, dafür bin ich sehr dankbar.»
Es ist einfach, mit Stapfer ins Gespräch zu kommen. Denn er erzählt gerne. Von seiner Kindheit in Wangen bei Olten zum Beispiel: «Ich wuchs in einem schönen umgebauten Bauernhaus auf, dahinter lag gleich eine Kuhwiese, mega dörfliche Idylle.» Kürzlich sei er dort wieder vorbeigefahren, jetzt stünden da Häuserblöcke. «Horror.» Stapfer lacht laut auf.
«Ein anderer wichtiger Ort war die Oltner Badi», fährt Stapfer fort. Ganze Sommer habe er nur dort verbracht, «jedenfalls fühlt es sich heute so an.» Seine Cousine und er seien ein eingeschworenes Baditeam gewesen. Sie trieben allen möglichen Schabernack. «Wir suchten nach Schleichwegen in der Badi, sprangen von der grossen Brücke oder neckten andere Kinder und liefen davon.»
Die Pergola hinter dem Haus
Hinter dem Haus in Wangen stand eine Pergola. Dort versteckte sich Klein-Dimitri, wenn der Bauer ihn wieder mal von der Kuhwiese gejagt hatte, über die er so gerne rannte. Später versammelte Stapfer in der Pergola seine Freunde. Die erste Flasche Rotwein habe er in diesen Jugendjahren hier geköpft. Da war Stapfer bereits mit dem Zirkus Chnopf während zweier Saisons auf Schweizer Tournee gewesen. «Danach musste ich Scheuklappen aufstellen, um wieder im System zu funktionieren», sagt er heute. Die Eigenverantwortung, die ihm das Zirkusleben abverlangte, wurde ihm zurück in der Schule nicht mehr zugetraut.
«Die Zirkuszeit liess mich nie mehr los», sagt Stapfer. Von da weg wollte er auf der Bühne stehen. Das konnte er erstmals 2005 am Theater Neumarkt in Zürich. «Lieber 99 falsche Tote als eine Stunde falsches Leben» hiess das Stück. Es bot Stapfer den ersten Kontakt mit Theaterklassikern von Goethe und Shakespeare. «Ich verstand gar nichts», sagt Stapfer. Sein lautes Lachen bricht wieder aus ihm hervor. «Aber die Intensität der Sprache, das Lyrische, hat mich so fasziniert», sagt er dann in ernsthaftem Ton. Also begann Stapfer die grossen Klassiker der Literatur zu lesen. Er fand sie so gut, dass er sich zum Buchhändler ausbilden liess. «Das war damals am nächsten bei dem, was mich eigentlich interessierte.»
Vom Studium auf die Bühnen der Welt
2009 trat Stapfer ein Schauspielstudium an der Hochschule der Künste in Zürich an und schloss es fünf Jahre später ab. Seither ist er in zahlreichen Theater- und Filmproduktionen aufgetreten und wurde dafür immer wieder ausgezeichnet: Zuletzt 2021 mit dem Schweizer Fernsehfilmpreis für die beste Hauptrolle in der Serie «Frieden». Zuvor erhielt er unter anderen auch schon den Schweizer Filmpreis für die beste Nebenrolle im Film «Left Foot Right Foot» oder wurde von «Swiss Films» zum «European Shootingstar» nominiert.
«In der Schauspielerei muss ich mich in andere Lebenssituationen, in andere Gedankenwege reindenken», erklärt Stapfer. «Da hinterfrage ich mich auch immer selbst als Menschen.» Das mache schon auch bescheiden, denn: «Es gibt keine festen Antworten.» So kann eine Figur schon mal anderer Meinung sein als Stapfer. «Andere Meinungen muss man zulassen können», findet er. «Das braucht eine gewisse Demut vor dem Diskurs.»
Regiedebut mit «Das Maddock Manifest»
Mit «Das Maddock Manifest» befeuert Stapfer nun erstmals als Regisseur einen Diskurs. «Wir waren in Zürich gestrandet», beginnt Stapfer von der Entstehung zu erzählen, die im Lockdown im Frühling 2020 begann. Das ist dem Film anzumerken: Ein Schauspieler ist in einem Theater alleine eingesperrt und sucht nach jener Kombination von Wörtern, mit denen er die Welt verändern kann. «Das Publikum ist eingeladen, den Film selber zu interpretieren», sagt Stapfer. Tatsächlich lässt der Film bei der Deutung einen angenehmen Spielraum. Stapfer inszeniert den Stoff so, dass sich da wahlweise die Coronakrise, die eigene Vergänglichkeit, Systemkritik, oder auch Stapfers Leben und Denken gut reinlesen lassen.
«Jetzt habe ich Blut geleckt», sagt Stapfer zu seinem Regiedebut. Er und Benjamin Burger, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in «Das Maddock Manifest», hätten bereits Ideen für künftige Projekte ausgetauscht. «Wir sind seit Jahren ein Kreativduo», sagt Stapfer und betont: «Der Film ist ein Gemeinschaftswerk einer ganzen Crew.»
Als nächstes tritt Stapfer im Schloss Waldegg auf: Heute Donnerstag, 10. Februar, und dann am 11., 12., 26. und 27. Februar erzählt er dort das Leben und Wirken von Molière. Der französische Dichter wird heuer vierhundert Jahre alt. «Er hielt den Adligen am Hof des Sonnenkönigs den Spiegel vor», schliesst Stapfer, nachdem er Molières Lebenslauf und dessen tragisches Scheitern als Schauspieler geschildert hat. Er freue sich sehr auf die Abende im Schloss Waldegg.