Gemeinsame Sprache am Buchfestival Olten
Buchfestival Olten Vom Donnerstag, 27. Oktober, bis Sonntag, 30. Oktober, feiert Olten die Literatur: Das Buchfestival Olten wartet mit Grössen wie Sibylle Berg oder Lukas Hartmann auf – und zum Auftakt mit Jürg Halter.
Im Berner Café des Pyrénées sitzt Jürg Halter am Tisch und liest laut von der Wand: «Ordnung kann nur walten, wenn alle Ordnung halten», steht da. «Das Wort ‹Ordnung›, diese Aneinanderreihung von Buchstaben, ist eigentlich ziemlich schön», sagt er dann. Es komme immer wieder vor, dass er etwas lese oder höre und dann denke: Das ist ein schönes Wort. «Eigentlich ein schönes Wort», wiederholt er mit Blick auf den Wandspruch.
Der Berner Jürg Halter, 42 Jahre alt, nennt sich auch Transdisziplinäraist. «Das war eher ironisch gemeint», kommentiert er die Selbstbeschreibung auf seiner Webseite. «Ich bin vielseitig, für mich hängt alles zusammen. Aber alles, was ich mache, hat mit Sprache zu tun.» So rappte Halter bis 2015 unter dem Alias Kutti MC, er schreibt Kolumnen, Essays und Theaterstücke und brachte bisher einen Roman heraus: «Erwachen im 21. Jahrhundert». Letztes Jahr erschien sein fünfter Gedichtband, «Gemeinsame Sprache», und Anfang dieses Jahres veröffentlichte er seinen ersten Film «Haltlos». Ausserdem gestaltete er dieses Jahr auch erstmals eine Ausstellung: «Fuck Slogans» ist noch bis am 22. Oktober in der Galerie Stephan Witschi in Zürich zu sehen.
Nun kommt Halter ans Buchfestival Olten. Er wird zum Auftakt am Müsterliabend vom Donnerstag, 27. Oktober, auftreten. Während den folgenden drei Festivaltagen wartet ein buntes Programm: vom Schreibworkshop zum Schreibwettbewerb, von Autorin Rebekka Salm bis Kabarettistin Uta Köbernick. Am Samstagabend, 29. Oktober, wird Autorin Sybille Berg der Oltner Buchpreis verliehen, bevor das Festival am Sonntag, 30. Oktober, mit Auftritten der Schriftsteller Lukas Hartmann und Franco Supino zu Ende geht.
Erst zum zweiten Mal in Olten
«Ich freue mich sehr auf den Abend in Olten», sagt Halter. Es sei erst das zweite Mal, dass er überhaupt in der Dreitannenstadt aufträte. Ansonsten verbindet er Olten vor allem mit zwei Personen: Halter ist befreundet mit der Oltner Menschenrechtsaktivistin Neda Amani. «Sie ist ein Vorbild, eine Heldin.» Und er war eng befreundet mit dem Musiker Endo Anaconda, mit dem er auch zusammenarbeitete. «Eines der letzten Male trafen wir uns in Olten», erzählt Halter. «Eine sehr intensive Erinnerung.»
Am Müsterliabend werde er vor allem aus dem Gedichtband «Gemeinsame Sprache» lesen. «Meine Lesungen sind unkonventionell», hält Halter fest. Was er damit meint, ist auf Youtube zu sehen: der Livestream der Premierenlesung von «Gemeinsame Sprache». Sie fand im Kursaal in Bern statt, ein Raum mit tausendvierhundert Plätzen, wegen der Pandemie aber ohne Publikum. «Alleine in diesem Riesenraum zu lesen, war eine aussergewöhnliche Erfahrung», blickt Halter zurück. Im Video rollt er «in klassischen Rollschuhen, das ist eine Stilfrage», auf die Bühne. Während er Kreise zieht, stellt er sich als Moderator der Lesung vor und kündet den Autoren Jürg Halter an. Dann setzt er sich hin, nun unmerklich zum Autoren gewandelt, und beginnt zu lesen. In Olten komme er aber ohne Rollschuhe auf die Bühne, «höchstwahrscheinlich.»
«Eine langweilige Lesung muss nicht sein», findet Halter. «Die Ernsthaftigkeit, die Selbstbeweihräucherung, dieses langweilige Pathos im Literaturbetrieb, besonders bei Lesungen, finde ich so ermüdend.» So improvisiert er Übergänge zwischen den Gedichten – als Rapper und Spoken Word Artist verfügt er über die Erfahrung dazu. Denn: «Du kannst nicht dreissig Minuten lang Gedichte vortragen, das können die Leute gar nicht aufnehmen.» Trotz aller Einlagen, schlussendlich lese er dann aber einfach. «Die Gedichte stehen im Zentrum.»
Und die sind in «Gemeinsame Sprache» vielfältig, und interpretieren gleichzeitig alle den Buchtitel. Halter spricht von «unterschiedlichen Tonfällen» der einzelnen Gedichte. «Es gibt sehr direkte, sehr politische, sehr persönliche, auch ironische.» Der Titel sei am Schluss entstanden, als er den Band zusammenstellte und merkte, dass die Suche nach einer gemeinsamen Sprache als Motiv in allen Gedichten vorkommt.
«Gemeinsame Sprache ist ein Wunsch»
So findet in «Gemeinsame Sprache» zum Beispiel ein Gedicht Platz, das eine Szene von Kriegsflüchtenden schildert, über die ein Flugzeug hinwegfliegt, das mit Steuerflüchtenden aus dem Urlaub zurückkehrt. Ein anderes hat Halter seinem Freund Anaconda gewidmet: «Schwarze Tauben fliegen auf» lautet der Titel. Entstanden ist es noch vor dessen Tod, Halter las es an der Trauerfeier. Oder dann bezieht sich «Gemeinsame Sprache» wieder auf den Selbstdialog, verdeutlicht in jenem von Moderator Halter mit Autor Halter. «Schreiben hat immer auch mit Selbstkonfrontation zu tun», hält dieser fest.
«Klar ist ‹Gemeinsame Sprache› auch ein Wunsch, ein Ideal», sagt Halter. Mit dem Titel spricht er die Hoffnung aus, dass die Gesellschaft wieder näher zusammenrückt. Halter übernimmt dafür auch persönlich Verantwortung: «Mein Anspruch ist, auch mit Leuten, mit denen ich nicht einverstanden bin, das Gemeinsame zu betonen. Oft merkt man, dass einen eigentlich mehr verbindet als trennt.» Dann blickt er auf und schaut wieder zur Wand, wo ein anderer Spruch seinen Blick eingefangen hat. «Jedem Menschen Recht getan, ist eine Kunst die niemand kann», liest Halter laut vor und lacht herzhaft.
Buchfestival Olten
Donnerstag, 27. Oktober, bis Sonntag, bis 30. Oktober