Gefährliche Mythen
Ringvorlesung FHNW Verschwörungstheorien sind gefährlich und salonfähig. Was also tun? Eine Ringvorlesung der FHNW am kommenden Dienstag, 27. April, beleuchtet das Thema.
Das Coronavirus haben die Chinesen hergestellt, die Mondlandung hat nie stattgefunden, Flugzeuge versprühen Chemikalien, um die Bevölkerung zu kontrollieren, und hinter all dem steckt eine kleine Gruppe mächtiger Leute, angeführt von Bill Gates: Verschwörungstheorien sind so zahlreich wie verworren. «Eigentlich müsste man von Mythen sprechen», sagt Prof. Dr. Dirk Baier. «Denn mit wissenschaftlichen Theorien haben diese Vorstellungen nichts gemein.» Der 44-jährige Soziologe leitet das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Seit über fünf Jahren erforscht er die Zusammenhänge zwischen Verschwörungsmentalitäten und Extremismus. «Wer Verschwörungstheorien anhängt, ist eher bereit, Gewalt zu akzeptieren», nennt er ein Resultat seiner Forschung. Diese wird Baier im Rahmen der Ringvorlesungen der Fachhochschule Nordwestschweiz ausführen. Am Dienstag um 17.15 Uhr wird sein Vortrag «Verschwörungstheorien und Extremismus» online via Webex übertragen.
«Können wir das ignorieren?»
Im Vortrag will er auch die Frage klären, ob Verschwörungstheorien denn konkrete Folgen haben. «Oder können wir das ignorieren?», fragt Baier rhetorisch, bevor er erklärt: «Verschwörungstheoretiker neigen dazu, die Hygienemassnahmen in der Coronapandemie schlechter umzusetzen.» Sprich: Sie waschen sich seltener die Hände und vernachlässigen eher die Maskenpflicht – ein Verhalten also, das die weitere Ausbreitung des Virus begünstigt.
Seis’s drum, wenn sich ein paar Spinner am Rand der Gesellschaft nicht an die Bestimmungen halten, mögen sich manche nun denken. Aber Baier erklärt: «Ein Drittel der Bevölkerung neigt dazu, Verschwörungstheorien zu glauben.» Dieses eine Drittel ist dabei erstaunlich konstant. Baier fand es vor in einer Studie mit 8000 Jugendlichen aus dem Jahr 2017. Und er fand es 2018 vor in einer Studie mit 2000 Teilnehmenden, einem ausgewogenen Abbild der Schweizer Bevölkerung. In Studien aus Deutschland sehe das ganz ähnlich aus.
Von Corona beflügelt
Die Coronapandemie habe die Bereitschaft, an eine Verschwörung zu glauben, wohl beflügelt. «Ein Boost» nennt es Baier. Denn: «Verschwörungstheorien handeln immer von gesellschaftlichen Grossereignissen, die uns emotional berühren und für die wir eine Erklärung suchen.» In der Vorstellung will sich eine kleine Elite zu Lasten der Menschheit bereichern. Hingegen ranken sich um Tsunamis oder Vulkanausbrüche keine Verschwörungstheorien.
Dennoch schütze Wissen alleine nicht vor den Mythen. «Verschwörungstheoretiker kennen ausgesprochen viele Fakten und eben auch Pseudofakten.» Diese verwursten sie zu einer Erzählung, selbst wenn darin Widersprüche zu finden sind: «Für das Coronavirus sollen gleichzeitig die Juden und China verantwortlich sein», macht Baier ein Beispiel. Denn wer schon an eine Verschwörung glaubt, lässt sich eher auch noch von einer weiteren überzeugen. So werden die einzelnen Mythen zu einem alternativen Weltbild verdichtet. «Corona hat solche alternativen Weltbilder wohl noch zementiert», vermutet Baier.
Die Grenze von kritischem Nachfragen und Verschwörung sei allerdings schwierig festzumachen. Baier zieht sie «spätestens bei Sündenbock-Konstruktionen.» Sind Juden, Chinesen oder Ausländer an allem Schuld, wird Gewalt an ihnen legitimiert.
Gesellschaftlich explosive Mischung
Verschwörungstheorien sind also gefährlich und salonfähig – eine gesellschaftlich explosive Mischung. «Dagegenhalten», schlägt Baier als erste Massnahme vor. «Denn wer sich nicht dagegen ausspricht, gilt in den Augen der Verschwörungstheoretiker als Befürworter.» Baier selbst hält sich an den Rat. «Ich machte mal eine sehr lange Fahrt», beginnt er von einer zweistündigen Unterhaltung mit einem Taxifahrer zu erzählen, der partout nicht von seinem alternativen Weltbild ablassen wollte.
Weiter gebe es auch technische Lösungen. «Die Betreiber sozialer Netzwerke können gewisse Begriffe filtern», erklärt Baier. Und: «Medien dürfen der Faktenchecks nicht müde werden.»
An der Wurzel des Problems liegt aber das Vertrauen in herkömmliche Autoritäten wie Politik, Behörden und Medien. «Aber auch Orientierungslosigkeit», fügt Baier an. «Ein grosses Ereignis wie die Coronapandemie löst in uns eine fundamentale Unsicherheit aus.» Was den Einzelnen in solchen Krisen auffängt, ist ein starkes soziales Netzwerk. Fehlt das, suchen sich Menschen etwas anderes, das ihnen Halt gibt. «Das sind dann diese alternativen Weltbilder.»
Gemeinschaft stärkt also die Abwehr gegen Verschwörungstheorien. Daher rät Baier: «Wir sollten sozial zusammenrücken.»
«Verschwörungstheorien und Extremismus»
Ringvorlesung der FHNW von Prof. Dr. Dirk Baier
Dienstag, 27. April, 17.15 bis 18.45 Uhr
online via Webex