Geburt, dann Depression
Postpartale Depression Wohl etwa jede fünfte Frau erlebt eine postpartale Depression. Am Freitag, 28. Oktober, findet in Olten ein Infoabend zum Thema statt.
Vier, vielleicht fünf Monate früher diagnostiziert, schätzt Annika Redlich, «dann hätte ich vielleicht nicht in stationäre Behandlung gehen müssen». 2018 gebar sie ihr zweites Kind. Vier Monate später brach ihre postpartale Depression aus. «Ich wusste nicht einmal, dass es das gibt», erzählt die Vierzigjährige. Acht Wochen verbrachte sie mit ihrer Tochter auf einer Mutter-Kind-Station, musste getrennt von ihrem damals fünfjährigen Sohn und ihrem Ehemann leben. Danach konnte sie die Therapie ambulant fortsetzen. Heute leitet Redlich die Geschäftsstelle von Postpartale Depression Schweiz.
Was Redlich widerfahren ist, passiert nach jeder zehnten Geburt – mindestens: «Die Dunkelziffer ist sehr hoch», vermutet Delia Weber. Die 33-jährige ist Hebamme und Co-Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbands Sektion Aargau/Solothurn. Weber vermutet eine Erkrankung auf fünf Geburten, Redlich sogar eine auf vier. «Viele leiden still», sagt sie.
Um dem Thema postpartale Depression mehr Raum zu verschaffen, findet am Freitag, 28. Oktober, im Bloomell Coffeehouse in Olten ein Infoabend mit Kurzreferaten statt. Im Rahmen der Solothurner Aktionstage Psychische Gesundheit lädt die Kontaktstelle Selbsthilfe Kanton Solothurn den Verein Postpartale Depression Schweiz, den Schweizerischen Hebammenverband Sektion Aargau/Solothurn und drei Betroffene ein. Auch Redlich und Weber werden anwesend sein.
«Die Erkrankung ist gemein»
«Die Erkrankung ist gemein, denn sie betrifft das ganze Umfeld und wird oft erst spät erkannt», sagt Weber. Symptome sind die klassischen Anzeichen einer Depression:Niedergeschlagenheit, Ängste, Gedankenkreisen, Schlaf- und Appetitlosigkeit bis hin zu Suizidgedanken. Dazu stösst manchmal ein Gefühl der Kälte gegenüber dem Kind. «Erkrankte können die Bedürfnisse ihres Kindes oft schlecht lesen», erklärt Weber. Eine postpartale Depression kann noch sechs bis neun Monate nach der Geburt ausbrechen, eine Diagnose ist entsprechend schwierig. Weber empfiehlt den Edinburgh-Postnatal-Depressions-Skala-Fragebogen, ein schneller Selbsttest. «Jede Hebamme soll den Test ihren Klientinnen zeigen», fordert sie. Damit werde Handlungsbedarf erkannt. Ausserdem: «Eine postpartale Depression muss abgegrenzt werden vom Babyblues.» Dessen ähnliche Symptome verflüchtigen sich nach etwa zwei Wochen. Der EPDS-Fragebogen ist auf der Webseite von Postpartale Depression Schweiz zu finden.
Häufig, aber schwierig zu erkennen also: «Das ruft nach Massnahmen», schlussfolgert Weber. Die wohl dringendsten Forderungen: mehr Betreuungsplätze in der stationären Behandlung und kürzere Wartezeiten in der Psychiatrie. In der Schweiz bestünden jährlich über 15000 Verdachtsfälle, aber nur 60 stationäre Plätze. «Hier muss die Politik tätig werden und Forschung, Implementierung, Evaluation und Aufklärung fördern», verlangt Weber. Aber im Moment würden in der Schweiz noch nicht einmal Daten zur Erkrankung erhoben. Weber argumentiert auch finanziell: Unbehandelt könne die Erkrankung Bindungs- und Entwicklungsstörungen beim Kind nach sich ziehen, die zu behandeln die Gesellschaft dann viel mehr koste.
Ansprechen ist allemal entlastend
Sowohl Weber wie auch Redlich gehen einig darin, dass die Erkrankung mehr Aufmerksamkeit braucht, auch bei Fachpersonen. «Nicht alle sind ideal vorbereitet», sagt Redlich. Postpartale Depression Schweiz bietet spezifische Weiterbildungen an. Daran nehmen mehrheitlich Hebammen, aber auch Gynäkologen und Elternberater teil. Redlich findet: «Fachpersonen sollen das Thema ansprechen, auch wenn sie keine Psychologen sind.» Entlastend sei das für Betroffene allemal.
Die Organisation betreibt ausserdem ein Beratungstelefon, sowohl für Betroffene, Angehörige und als Anlaufstelle auch für Fachleute. «Da sind Frauen am Apparat, die selber betroffen waren», erklärt Redlich. «Sie kennen die Situation.» Je nach Bedürfnis vermitteln sie dann weiter: an erfahrene Fachpersonen, die auch auf einer Liste auf der Webseite aufführt sind, oder an das Patennetzwerk; Menschen, die eine postpartale Depression erlebt haben, und nun anderen zur Seite stehen. Über mehr als 90 ehemalige Betroffene verfügt das Netzwerk, darunter auch wenige Männer. Für Betroffene sind die Angebote von Postpartale Depression Schweiz kostenlos.
Am wichtigsten sei es, über die Erkrankung zu sprechen, sagt Redlich aus Erfahrung. Und auch Vorsorge sei möglich, neben einem informierten Umfeld zum Beispiel auch mit Schlafinseln: sich also so zu organisieren, dass regelmässig durchgeschlafene Nächte möglich sind. Dazu sei es sinnvoll, eine zusätzliche Kinderbetreuung zu haben, «ohne schlechtes Gewissen», betont Redlich. Wer sich Hilfe holt, tut letztlich auch dem Kind etwas Gutes.
Infoabend Postpartale Depression
Freitag, 28. Oktober, 18 Uhr bis 19.50 Uhr
Bloomell Coffeehouse, Autorenstr. 5, Olten