Ein verstecktes Bijou
Secondhandladen Seit anderthalb Jahren existiert mitten in Olten der Secondhandladen «Hinterhof» mit einem überraschend breiten und nachhaltigen Angebot. Bereits besteht eine Stammkundschaft.
Einfach nur so «stolpert» niemand in den «Hinterhof» hinein. Wer sich dort nach einem Kleidungsstück, einem Paar Schuhe oder einer Handtasche umsehen will, muss den Standort schon kennen. Ist der «Hinterhof» aber erst mal gefunden – offiziell an der Kirchgasse angesiedelt, aber nur via Leberngasse erreichbar –, staunt man im Innern über die nicht für möglich gehaltene Grösse der Räumlichkeiten. Und über das sehr reiche Angebot im Secondhandladen. In insgesamt sechs Räumen, verwinkelt miteinander verbunden, lassen sich Trouvaillen entdecken.
Der Laden, der am 3. Oktober 2021 öffnete, ist eine Familienangelegenheit. Die 51-jährige Regina Graber – in der Oltner Kulturszene wohlbekannt – führt ihn mit ihren beiden Söhnen Yannic, 29, und Léon Aeschbacher, 27. Graber unterrichtet daneben Werken, ist Kunstvermittlerin und auch selbst künstlerisch tätig. Ihr jüngerer Sohn Léon ist gelernter Konstrukteur und schliesst derzeit eine Ausbildung als Umweltberater ab. Yannic wiederum arbeitet an zwei Tagen in einer Kita. Einen Grossteil der übrigen Zeit investieren die drei Oltner in ihr gemeinsames Baby «Hinterhof». Viele der anfallenden Arbeiten erledigen sie gar nicht im Laden. Die Kleider waschen oder mit Preisschildern versehen, grössere Reparaturen vornehmen – all das passiert zum Beispiel zuhause. Transportiert wird die Ware per Fahrrad oder E-Bike mit Anhänger.
Bereits die Vorarbeiten für das Projekt leisteten sie ab Sommer 2020 gemeinsam. «Wir schmiedeten Pläne während der Corona-Zeit», erinnert sich Yannic Aeschbacher. Über erste Erfahrungen mit Secondhand-Verkäufen hatten alle drei schon verfügt – wenn auch auf deutlich bescheidenerem Niveau. «Im richtigen Moment waren wir dann alle parat», sagt Graber. «Ich allein hätte das ja nicht stemmen können.»
Sehr viel Zeit beanspruchte die Suche nach einem passenden Lokal. Schliesslich wurden sie am heutigen Standort fündig. Die Konditionen passten. «Das war für uns enorm wichtig», so Graber. Viele andere Vermieter forderten, sich gleich für fünf Jahre zu verpflichten. Am aktuellen Standort mussten sie bloss für ein Jahr zusagen. Nun könnten sie ihr Mietverhältnis jeweils sechs Monate im Voraus kündigen. Im Sinn haben sie dergleichen aber ganz und gar nicht. Das Trio ist mit den Räumen und dem Vermieter sehr glücklich.
Von sehr günstig bis sehr teuer
Von Anfang an war klar, dass kein Spartenpublikum oder nur ein Geschlecht angesprochen werden sollte. «Wir wollen ein Angebot für alle haben, von A bis Z: egal welches Budget, egal welche Grösse, egal welcher Geschmack», erklärt Léon Aeschbacher. So findet man nun in den adrett kuratierten Kleidergestellen Fast Fashion ebenso wie einstmals sehr teure Stücke von Gucci oder Louis Vuitton. Man kann alle möglichen Kleidungsstücke anprobieren, also zum Beispiel auch Sakkos, Skianzüge oder Bademode. Im obersten der drei Stockwerke gibt es ein umfangreiches Hosenangebot.
Zum Angebot zählen überdies Schuhe, Taschen und weitere Accessoires sowie ein Repairservice, eine Umweltberatung und eine Regalvermietung. Bei letzterer können regionale Künstler oder Kleinproduzenten ihre Ware anpreisen. «Wir wollen ihnen eine Plattform bieten», sagt Léon Aeschbacher. Ein Secondhandshop dieser Grösse und in dieser Angebotskombination dürfte weitherum einmalig sein. Und im Gegensatz etwa zu einer Brockenstube, erläutert Yannic Aeschbacher, brächten sie dem einzelnen Kleidungsstück mehr Wertschätzung entgegen, liessen ihm mehr Pflege zukommen und präsentierten es attraktiver.
Ganz wichtig ist dem Trio das Soziale, der Umweltgedanke, die Nachhaltigkeit. Bekanntlich ist die Modeindustrie eine der grössten Umweltsünderinnen überhaupt. Die Kundschaft soll für ökologische Aspekte sensibilisiert werden. Die «Hinterhof»-Betreiber selber spenden pro Artikel ab 20 Franken einen Franken für ein Wasserschutzprojekt. 2022 hätten sie knapp 2000 Franken überwiesen. Und in Empfang nehmen sie grundsätzlich fast jedes Kleidungsstück. Kann es nicht mehr getragen werden, nutzen sie es zumindest für Upcycling, verschaffen also einem ausgedienten Objekt einen neuen Lebenszyklus. Graber sagt: «Wir versuchen zu vermeiden, etwas wegschmeissen zu müssen.» Inzwischen ist laut Graber ein eigentlicher Kreislauf entstanden. Meist seien diejenigen Kunden, die etwas kauften, auch jene, die selber ausgediente Kleider vorbeibrächten.
In ihrem Laden kämen unterschiedliche Gesellschaftsschichten miteinander ins Gespräch – weil es eben ein enorm breites Angebot gibt. «Das ist das Coole, dass wir so eine Verbindung schaffen können», findet Léon Aeschbacher. Regina Graber erzählt, dass sie mittlerweile Bücher füllen könnten mit interessanten Storys, die sie im Laden erlebt hätten. Gerade erst kürzlich sei beispielsweise eine Kundin mit dem Nachtzug aus Wien angereist und habe in Olten extra einen Stopp im «Hinterhof» eingelegt. Sie bekommen viel Lob zu hören, etwa auch von Leuten, die schon Secondhandshops in Zürich oder gar New York besucht haben.
Manchmal, verrät Graber, überlegten auch sie bereits, in einer anderen Stadt einen zweiten Standort zu eröffnen. Die finanziellen Fesseln lassen derlei Überlegungen aber noch nicht in konkrete Handlungen münden. «Das ist Zukunftsmusik», meint Regina Graber. «Wir haben hier genug zu tun.» Yannic Aeschbacher ergänzt: «Druck haben wir keinen. Lieber fokussieren wir uns vorläufig auf das hier.»