Die Vorkämpferin
Jacqueline Straub Sie kämpft mit Verve für ihre Sache. Seit über einem Jahrzehnt schon. Und Aufgeben ist keine Option. Jacqueline Straub, seit zwei Jahren in Olten wohnhaft, will katholische Priesterin werden.
Jacqueline Straub ist eine vielbeschäftigte Frau. Einen Termin mit ihr zu vereinbaren, entpuppt sich als knifflige Aufgabe. Schliesslich verabreden wir uns an einem Samstagmorgen. Tags zuvor ruft sie an. Ob wir uns bereits am Freitagnachmittag treffen wollten, sie hätte kurzfristig Zeit. Unser Gespräch findet am Oltner Bahnhof statt. An einem Ort also, wo schon manch Grosses seinen Anfang genommen hat.
Grosses, ja richtiggehend Revolutionäres, hat auch sie vor. Jacqueline Straub, in Baden-Württemberg als Tochter eines Deutschen und einer Schweizerin aufgewachsen und nun in Olten wohnhaft, will katholische Priesterin werden. Die Katholische Kirche, bekannt als konservativ und schwer reformierbar, soll das Priestertum für Frauen öffnen.
«Brennen im Herzen» mit 15 Jahren
Als Kind wird die heute 32-Jährige nicht besonders religiös erzogen. «Ich wuchs in einem kleinen katholischen Dörfchen auf. Aber mit der Kirche hatte ich wenig am Hut.» Gepackt habe sie die Kirche nicht. Advent, Weihnachten, Ostern feiern, wie man das halt so macht. Aber mehr nicht. Das ändert sich im Gymnasium, als eine sehr gläubige Mitschülerin der 15-Jährigen die Welt der Bibel erschliesst – und sie schliesslich zur Teilnahme an einem christlichen Jugendcamp motiviert. Da werden mehrmals täglich Gottesdienste gefeiert und in der Bibel gelesen. Anschliessend besuchen die beiden Teenagerinnen den katholischen Gottesdienst. Und da spürt Straub, dass sie dereinst gerne genau das machen würde, was der Pfarrer macht. Sie spürt ein «Brennen im Herzen». Dieses «Brennen», wie sie es selbst nennt, lässt sie bis zum heutigen Tag nicht mehr los.
Nach der Firmung sucht sie das Gespräch mit ihrem Religionslehrer und erzählt ihm vom Wunsch, im katholischen Gottesdienst eine zentrale Rolle einzunehmen. Im vergleichsweise hohen Alter von 17 Jahren wird sie in der Folge Ministrantin. Ein erster Schritt, um ihrem Traum näher zu kommen. «Ich war jede Woche im Gottesdienst und habe gemerkt: Hier will ich sein, das ist mein Platz.» Irgendwann, weiss sie nun erst recht, will sie selbst Pfarrerin sein. «Schon als Jugendliche hatte ich die Sehnsucht, Sakramente zu spenden.» Ihren weiteren Ausbildungsweg beschreitet sie in genau dieser Absicht: Abitur, dann Theologiestudium. Zuerst in Freiburg im Breisgau, dann in Fribourg im Uechtland und in Luzern.
2011 kommt der damalige deutsche Papst Benedikt XVI. nach Freiburg zu Besuch. Straub verfasst im Rahmen dieses Besuches einen Buchbeitrag zuhanden des Papstes. In diesem kleinen Grusswort schreibt sie, dass sie Priesterin werden möchte. Die lokalen Medien greifen das auf – und im Frühjahr 2013 sitzt sie als 22-jährige Studentin in der ARD-Talksendung «Beckmann».
Weitere TV-Auftritte folgen, im deutschen wie im Schweizer TV. Bei «Markus Lanz» etwa war sie schon zweimal zu Gast. «Irgendwann war für mich aufgrund der Rückmeldungen klar, dass das Thema nicht nur mich betrifft, dass es nicht nur mein Wunsch ist, meine Sehnsucht.» Sie beginnt sich selbst mehr und mehr als Stimme des Priesterinnenwunsches zu begreifen.
Briefe an den Papst geschickt
Auf dem Weg, ihren Herzenswunsch dereinst erfüllt zu sehen, schreibt sie immer wieder auch an hohe kirchliche Würdenträger. Die meisten Bischöfe in Deutschland und der Schweiz dürften den Namen Jacqueline Straub kennen. Und sowohl Papst Benedikt als auch Papst Franziskus haben schon Post von ihr erhalten. Persönliche Antworten von den Päpsten hat sie zwar nie bekommen. Straub aber bleibt hartnäckig: «Das ist nicht schlimm. Wichtig ist, dass die Forderung nach weiblichen Priesterinnen auch im Vatikan immer wieder Thema ist.»
Die Bischöfe begegneten ihr heute anders als früher. Hat sie sich zu Beginn als kleines Mädchen belächelt gefühlt, erfahre sie inzwischen deutlich mehr Respekt. «Da tut sich was.» Seit elf Jahren setzt sie sich nun schon öffentlich für ihr Anliegen ein. An manchen Tagen, räumt sie freimütig ein, glaubt sie nicht mehr daran, dass das Ziel Frauenpriestertum zu ihren Lebzeiten erreicht wird. An anderen Tagen wiederum, vielleicht nach einem hoffnungsvollen Gespräch mit einem Bischof, ist sie davon überzeugt. Sie hat sich vorgenommen: «Ich werde kämpfen, bis ich sterbe. Ich werde aber nicht traurig sein, wenn ich es nicht schaffe.»
Straub ist überzeugte Katholikin. Da mag es überraschen, dass sie auch in anderen vermeintlich zentralen Säulen des Glaubens eine andere Haltung vertritt als der Vatikan. Sie findet es beispielsweise «grausam», wenn die Kirche homophobe Aussagen mache. Oder sie plädiert dafür, dass der Zölibat freiwillig sein soll. Dass also Priester – oder eben dereinst vielleicht auch Priesterinnen – heiraten und in Partnerschaften leben dürfen. Und zwar auch offen in gleichgeschlechtlichen.
Konfessionswechsel ist kein Thema
Warum bleibt eine Frau wie sie, trotz dieser offenkundigen Differenzen zur offiziellen Kirche, dieser dennoch treu? «Mein Herz schlägt römisch-katholisch. Ich liebe meine Kirche – auch wenn ganz viel falsch läuft.» Sie wolle das Feld nicht den reaktionären Kräften überlassen, sondern die Kirche von innen heraus reformieren. «Und ich bin ja zum Glück nicht allein. Es gibt viele Leute, die hinter mir stehen.»
Sie vernetzt sich auch mit anderen Frauen mit demselben Ziel. Und ist froh, wenn sich vielleicht auch mal jemand anders in einer Talkshow für das Anliegen starkmacht. Sie weiss: Als Einzelmaske kann sie weniger erreichen, als wenn sich eine kraftvolle Bewegung formiert. Das Gesicht, die Vorreiterin, das Aushängeschild des Kampfes für die Frauenpriesterschaft ist aber Jacqueline Straub. Was ihr zweifellos zugutekommt: Sie ist eine attraktive junge Frau, rhetorisch begabt, kann ausgezeichnet schreiben, besitzt viel Energie. Fünf Bücher hat sie bereits geschrieben und publiziert. Und in der Pipeline stecken bereits zwei neue Buchprojekte. Zudem hält sie landauf, landab Vorträge.
Dazu leistet sie per E-Mail auch «klassische» Seelsorge für Menschen in Nöten. Da wird sie auch mal mit Hassnachrichten konfrontiert. «Den Umgang damit musste ich lernen. Zu Beginn konnte ich nicht verstehen, wieso Menschen anderen Menschen mit Hass begegnen. Und es handelt sich bei den Verfassern dieser Hassnachrichten ja um Leute, die sich als katholisch bezeichnen, die am Sonntag die Kirche besuchen.»
Neben all den persönlichen Projekten wie Bücherschreiben, Vorträge halten und Seelsorge leisten auf Social Media hat die deutsch-schweizerische Doppelbürgerin auch eine zweite Berufung: Journalistin. Sie ist zu 90 Prozent als Chefin vom Dienst beim Katholischen Medienzentrum in Zürich angestellt. Finanziert wird «kath.ch» von der Schweizer Bischofskonferenz und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ). Auch dieser Umstand mag ihr Hoffnung geben: dass ausgerechnet sie als pointiert reformfreudige, progressive Theologin im Dienst der Schweizer Bischöfe stehen darf. Womöglich ist die «Revolution» schon näher, als man – und frau erst recht – gemeinhin denkt.
Seit Herbst 2020 in Olten daheim
Dass Jacqueline Straub seit gut zwei Jahren in Olten wohnt, ist wie bei vielen Neuzuzügern dem Pragmatismus geschuldet. Die 32-Jährige arbeitet in Zürich, ihr Mann in Fribourg. «Aber wir beide haben uns sehr in Olten verliebt, wir mögen es wirklich sehr. Olten hat ja einen schlechten Ruf. Ich finde das total unangebracht.» Zuvor hat das Paar in Luzern gewohnt. Eine Rückkehr nach Deutschland ist für sie kein Thema. «Ich fühle mich so verankert und verwurzelt in der Schweiz, dass ich es mir gar nicht mehr vorstellen könnte, woanders zu leben.» agu