Die Perfektion liegt in der Imperfektion
Buchwerkstatt Ins alte Lostorfer Postgebäude ist nach langer Suche wieder Leben eingekehrt. Zuhause ist hier nun die Buchwerkstatt von Markus Müller. Sie ist halb Arbeitsstätte, halb Museum.
Es ist, als würde man in eine längst vergangene Welt eintauchen. Wo vor ein paar Jahren noch Briefe und Pakete auf ihre Zustellung warteten und am Schalter Einzahlungen getätigt wurden, wähnt man sich jetzt in einer Druckerei von anno dazumal. Aus der alten Lostorfer Post, unmittelbar neben der Gemeindeverwaltung angesiedelt, wurde Markus Müllers Buchwerkstatt. Der 70-Jährige bietet hier verschiedene Dienstleistungen rund ums Drucken an. Allerdings mittels längst nicht mehr moderner Techniken. Johannes Gutenberg würde sich vermutlich freuen, könnte er an der Lostorfer Hauptstrasse mal einen Augenschein nehmen.
Markus Müller, aufgewachsen im aargauischen Brugg, übernahm das Gebäude im Vorjahr. Inzwischen wohnt er im oberen Stock, ins Parterre hat er unzählige Maschinen und Materialien hinschaffen lassen – «rund 100 Tonnen Ware habe ich hierher gezügelt». Er erklärt: «Blei ist schwer, Papier ist schwer, die Maschinen sind schwer.» Schon diese Dimensionen zeigen: Trotz des fortgeschrittenen Alters ist es Müller ernst. Er hat mit seiner Buchwerkstatt noch einiges vor. Lachend sagt er: «Ich habe jahrelang 16 Stunden täglich gearbeitet. Deshalb kommt mir das, was ich jetzt hier mache, fast wie Ferien vor.» Im Gegensatz zu früher arbeite er jetzt nach Lust und Laune. «Aber ich bin eigentlich täglich dran.»
Vor mehr als 50 Jahren machte Müller eine Lehre als Buchbinder, liess sich später in kunsthandwerklicher Buchbinderei ausbilden, lernte auch noch Setzer und Drucker, ehe er während 30 Jahren in Basel das Papiermuseum leitete. Im Anschluss machte er sich zum zweiten Mal selbstständig und führte im baselländischen Bubendorf eine Buchwerkstatt. Diese führt er nun in Lostorf weiter.
Ob er nun Papier schöpft, Bücher oder Plakate druckt, Bücher speziell bindet: Ökonomisch ist das alles nicht. Mit den heute zur Verfügung stehenden Methoden lässt sich alles viel kostengünstiger produzieren – und erst noch perfekter. Das weiss Müller natürlich. Überzeugt von seinem Tun ist er dennoch. Oder erst recht. Seine Produkte sind nicht seriell gleichförmig, sondern haben eine individuelle Note. «Alles, was ich hier mache, hat einfach eine ganz andere Ausstrahlung, hat mehr Leben. Es geht ums Gefühl. Das kommt heutzutage ja überall zu kurz – bei den Kleidern, bei den Möbeln, beim Geschirr.»
Drucken wie vor 100 Jahren
Nirgendwo, findet er, sei man heute noch von Produkten umgeben, die Ausstrahlung und Kraft besässen. «Wenn dann auch noch der Roboter die Maschine steuert, ist es ganz fertig mit den Gefühlen.» Ein Gegenstand strahle aber eben aus, was in ihn investiert worden sei. «Meine Bücher sind dann halt vier-, fünfmal teurer als andere.»
In der Schweiz, weiss Müller, ist das Drucken mit Blei in den grossen Druckereien zwischen 1964 und 1986 verschwunden und durch den Digitaldruck abgelöst worden. Nicht wenige dieser Druckmaschinen fanden schliesslich eine Verlängerung ihres Lebens bei Markus Müller. In seiner Buchwerkstatt druckt Müller nicht nur wie vor 100 Jahren, sondern giesst auch die Schriftzeichen selber, macht den Bleisatz, schöpft das Papier, macht den Einband. «Ich stelle das Buch von A bis Z selber her.»
Neben letzten Einrichtungsarbeiten oder Reparaturen führt der 70-Jährige derzeit hauptsächlich Auftragsarbeiten aus. Jüngst hat er zudem ein spezielles Papier mit einem Lostorfer Wasserzeichen geschöpft. Daneben bietet er auch Führungen und Kurse in seinen Räumlichkeiten an. Er weiss selber: «Es ist museal. Nur ist in den meisten Museen keiner mehr da, der die Geräte bedienen kann.» Bei ihm ist das anders. Sein Wissen würde er gerne weitergeben. Ihm schwebt etwa vor, von Kunstschulen «ein paar junge Leute» motivieren zu können, bei ihm mitzumachen. «Meine Grundidee wäre, von jedem dieser Berufsbilder jemanden hier zu haben, der das zu seinem erweiterten Hobby macht.»
Für Liebhaber alter Druckverfahren kann das durchaus ein reizvolles Angebot sein. Die älteste Druckmaschine in der Buchwerkstatt stammt von 1842, eine Kniehebelpresse. Daneben umfasst Müllers Buchwerkstatt zum Beispiel auch eine Steindruckpresse oder eine Kupferdruckpresse, verschiedene Abzugspressen, eine Fadenheftmaschine, eine Schriftgussmaschine, eine Graviermaschine, eine Papierschneidmaschine. Das jüngste Gerät in seinem umfangreichen Portfolio schätzt er auf Jahrgang 1960.
Ihn fasziniere auch die heutige Drucktechnologie, gibt Müller zu. «Aber es ist fragwürdig, ob man das überhaupt noch Drucken nennen kann.» Schliesslich arbeite ja die Maschine, der Computer, nicht der Mensch. Entsprechend besitze das Produkt dann eben weniger Seele.
Markus Müller mag es gerne, wenn sich andere für sein Tun in der Alten Post interessieren. Gerne nimmt er einen auf eine kurze Führung mit. Und Anfang September plant er gar einen Tag der offenen Tür. Denn wie gesagt: Trotz seiner 70 Jahre denkt er nicht an ein richtiges Kürzertreten. «Die Idee ist, dann arbeiten zu können, wenn ich will, aber nicht mehr, weil ich muss. Das ist das Ziel, mehr brauche ich nicht.»