Der nimmersatte Weltenbummler
Raphael Fischer Der 35-jährige Sportlehrer aus Starrkirch-Wil hat sämtliche Länder der Erde bereist. Und seine Entdeckerlust ist noch längst nicht gestillt.
Genau 195 anerkannte Staaten gibt es auf der Welt, neun weitere mit umstrittenem Status sowie zwei selbstverwaltete Territorien in Assoziierung mit Neuseeland. Raphael Fischer hat sie allesamt besucht. Alle. Lückenlos. Und dabei ist er erst 35 Jahre alt.
Im vergangenen Sommer komplettierte der Starrkirch-Wiler seine «Ländersammlung». Im unwegsamen Dschungel im Osten des Kongo suchte er nach Berggorillas. Das Beispiel veranschaulicht, dass es Fischer bei seinen Trips rund um die Welt nie um touristischen Mainstream ging. Er suchte, wann immer es ging, das Besondere, das wahre Leben, das Leben abseits ausgetretener Pfade. «Wenn ich ein Land besuche, will ich es wirklich sehen. Nicht einfach nur sagen können, ich sei da gewesen.»
Seine Reiseleidenschaft wurde 1993 im Alter von sechs Jahren geweckt. Damals unternahm er mit seiner Familie eine fünfmonatige Reise durch Südostasien. Auf eigene Faust erstmals richtig los zog er nach Abschluss der KV-Lehre als gerade mal 18-Jähriger. In Australien startete er mit einem Around-the-World-Ticket in der Tasche eine einjährige Weltreise. Es sollte nicht die letzte bleiben.
Nach Berufsmatura und Armeezeit nahm er ein Geographie- und Sportstudium in Angriff. In den Semesterferien packte ihn stets das Reisefieber. Das blieb auch so, als er ab dem Jahr 2012 als Lehrer an der Kanti Olten für Stellvertretungen einsprang. Fischer bereiste Land für Land. «Es wurden einfach immer mehr, und interessiert haben mich jene, die ich noch nicht gesehen hatte.» Irgendwann trug er in einer App ein, welche Länder er schon besucht hatte. Die weissen Flecken auf der Weltkarte wurden immer weniger. Bis im Sommer 2021 mit dem Kongo auch der letzte verschwand.
Die Wohnzimmerwand in seiner Wohnung zieren eindrückliche Schwarz-Weiss-Porträtaufnahmen von Menschen aus aller Welt. Meist Indigene. Fischer trägt sich mit dem Gedanken, das reichlich gesammelte Bild- und Videomaterial all seiner Reisen mal öffentlich zugänglich zu machen. Eine handliche Fotokamera fehlte auf keinem seiner Trips. Ansonsten begnügte er sich mit einem kleinen Rucksack mit dem Allernötigsten. Vier T-Shirts, eine Hose, eine Badehose, eine Jacke, ein Pulli, insgesamt nur sieben Kilos. Mehr war da nicht. «Ich habe festgestellt, dass ich nicht viel brauche und viel glücklicher bin mit wenig. Und es hat unzählige Vorteile, wenn man leicht reist.»
So manches Abenteuer erlebt
Seine ausgedehnten Reisen unternahm der Globetrotter fast immer alleine. Geld habe er nicht viel gebraucht. Die Schlafstätte zum Beispiel war oft eine private. Und blieb er mal irgendwo länger, war das meist ein Entwicklungsland, in dem er mit wenig Geld auskam. «Das Reisen hat erstaunlich wenig gekostet.» Transportkosten hat er oft gespart, indem er per Autostopp oder auch mal auf Güterzügen reiste. Dass die Autos, Busse, Züge oder Flugzeuge nicht immer westlichen Standards entsprachen, versteht sich von selbst.
Dass Fischer mit 35 Jahren bereits reichlich Flugmeilen angehäuft hat, ist ihm bewusst. Innerhalb des Kontinents vermeide er jedoch Flugreisen nach Möglichkeit. Auf dem Landweg nehme man den Wechsel der Kulturen viel stärker wahr, als wenn man einfach per Flugzeug von A nach B fliege. Und er sei auch schon mit dem Frachtschiff von Europa nach Nordamerika gereist oder mit dem Zug aus China heim in die Schweiz.
Wer sämtliche Länder der Erde gesehen und mehrere Weltreisen unternommen hat, hat viel zu berichten. «Es gibt Tausende Erlebnisse, Tausende Eindrücke, Tausende Geschichten», sagt Fischer. Ins Schwärmen gerät er, wenn er von seinem Besuch in Saudi-Arabien erzählt. Er war damals einer der ersten Touristen nach der Wiederöffnung des Landes für Besucher. «Das war wunderschön. Die Leute waren noch nicht an Touristen gewöhnt, waren offen und neugierig und nicht voreingenommen.» Ebenso ausgezeichnet gefielen ihm weitere Gegenden, die bisher kaum vom Tourismus berührt sind. Er zählt Afghanistan, Papua-Neuguinea, die Antarktis oder entlegene Regionen Russlands auf.
Krisenherde wie zum Beispiel Libyen, Jemen, Syrien, Somalia oder Afghanistan fehlen in seiner «Sammlung» natürlich auch nicht. Zum Wohl der Familie informierte er diese meist erst im Nachhinein über seine Routen. Hin und wieder informierte er vor dem Besuch einer riskanten Destination aber sogar das Schweizer Aussenministerium über seinen geplanten Aufenthaltsort. «Ich habe die Hausaufgaben im Vorfeld jeweils gemacht und das Risiko kalkuliert. Alles ausschliessen kann man aber natürlich nicht.» Er wolle eben nicht nur die schönen Seiten des Lebens sehen, sondern das wahre Leben auf diesem Planeten. «Ich wollte immer jede Lebensrealität der Welt sehen: mal war es an einem Traumstrand, mal in einem Krisengebiet, mal im Dschungel, mal in der Wüste, mal in einer Grossstadt, mal bei Superreichen, mal bei den Ärmsten. Da sieht man schon mal Elend und Tod oder hört Schüsse.»
Todesangst in Mogadischu
In Mogadischu etwa, der somalischen Hauptstadt, habe er während seines sechstägigen Aufenthalts im «sichersten» Hotel des Landes gewohnt, das rund um die Uhr von 50 bewaffneten Soldaten bewacht wurde. Nachts schreckten ihn immer mal wieder Schüsse auf. Als schliesslich auch noch der Strom ausfiel, habe er sich gedacht: «Nun tritt dann gleich jemand meine Türe ein.» Solche Momente habe es auf all den Reisen vielleicht eine Handvoll gegeben.
Sehr mulmig zumute war es ihm auch zu Beginn des Afghanistan-Trips. «In Kabul kam ich abends um 23 Uhr am Flughafen an. Ein Couch Surfer sollte mich dort abholen. Es erschienen aber vier grimmige Männer in einem Pick Up ohne Nummernschild. Ich hatte keine Wahl und stieg ein. Sie fuhren mich in ein Restaurant. In der Folge verbrachten wir zusammen einen tollen Abend, sie luden mich auf die feinsten Spezialitäten Afghanistans ein. Es wurden Kollegen, mit denen ich heute noch Kontakt habe.»
Das flatternde Huhn im Operationssaal
Gesundheitlich blieb Raphael Fischer ebenfalls nicht unversehrt. 2011 arbeitete er im Rahmen eines Praktikums im westafrikanischen Ghana monatelang in einem Waisenhaus. Plötzlich bekam er akute Atemnot, hatte Nierenschmerzen, konnte nicht mehr gehen, alle Fingernägel fielen ihm ab, Eiter trat aus. Er suchte das lokale Krankenhaus auf. In der Schlange der Anstehenden sah er viele Sterbende. Als er schliesslich an der Reihe war, wurde ihm von den anwesenden Ärzten gesagt, sie würden ihm den gesamten Brustkorb bis zur Bauchhöhle aufschneiden und so das Problem rasch lokalisieren können. Fischer blickte sich um: Der Operationssaal verfügte nicht über Fenster, ein Huhn flatterte umher. Er lehnte das Angebot dankend ab.
Als er sogar Halluzinationen bekam, reiste er in die Hauptstadt Accra und liess sich dort untersuchen. Auf dem nächsten verfügbaren Linienflug reiste er in die Schweiz zurück, wo die verabreichten Antibiotika sofort für Besserung sorgten. Der behandelte Arzt sagte ihm, wäre er noch einen Tag länger unbehandelt in Ghana geblieben, wäre er gestorben. Er hatte sich mit einem tödlichen Virus infiziert, der Bornholm-Krankheit.
Dem Bonmot, wonach Reisen demütig mache, könne er viel abgewinnen, meint der Lehrer der Kanti Olten. «Man wird dankbarer, genügsamer, ruhiger. Aber irgendwo auch abgestumpfter, weil man schon sehr vieles gesehen hat und es entsprechend viel braucht, um mal sprachlos zu sein.» Trotz all der gesammelten Eindrücke ist Raphael Fischers Reiselust längst nicht gestillt. Er wälzt bereits wieder konkrete Pläne. «Reisen ist meine Leidenschaft, dieses Thema wird nie abgeschlossen sein. Ich habe mehr Pläne denn je», sagt er und lacht, «aber die ganz wilden Abenteuer habe ich wahrscheinlich hinter mir.»
Wirklich? Zweifel sind angebracht. Ganz oben auf seiner Wunschliste steht nämlich ein Besuch in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Dort war er noch nie. Oder ein U-Boot-Friedhof im russischen Nordpolarmeer. «Und Tschernobyl möchte ich unbedingt noch sehen. Aber das mache ich dann wohl erst, wenn ich bereits Kinder habe…»