Der Bart muss weichen
Stefan Hürlimann Vor fünf Jahren trug er noch das Trikot des EHC Olten, inzwischen ist er als Schiedsrichter längst neutral. Während sein Ex-Klub den Aufstieg in die National League anstrebt, ist Stefan Hürlimann bereits dort angekommen.
Er fährt in einem Ford mit Waadtländer Kennzeichen vor, beschriftet mit «Swiss Ice Hockey». Das Auto wird ihm von einem seiner beiden Arbeitgeber zur Verfügung gestellt. Stefan Hürlimann zählt zu den besten Schiedsrichtern im Schweizer Eishockey. In dieser Saison kommt er bisher ausschliesslich in der National League zum Einsatz. Hinter ihm liegt ein steiler Aufstieg – und ein atypischer Werdegang.
Hürlimann, gerade eben 37 Jahre alt geworden, gehört nicht zu jenen Schiedsrichtern, die mangels Perspektiven als Spieler früh eine Karriere als Unparteiischer eingeschlagen haben. Der gebürtige Schwyzer aus Einsiedeln, der mit seiner Partnerin und dem 13-jährigen Sohn Maxim seit mehr als zehn Jahren in der Region Olten lebt und in einem 60-Prozent-Pensum als Immobilienverwalter tätig ist, hatte sehr wohl Talent als Eishockeyspieler. Als er 2017 mit 32 Jahren seine Aktivkarriere beendete, durfte er auf rund 600 NLA- und etwa 150 NLB-Spiele zurückblicken. Mit Genf-Servette schrammte er in der Saison 2009/10 nur hauchdünn am Schweizer Meistertitel vorbei. Bei seinem Stammverein Rapperswil-Jona, bei dem er insgesamt zehn Saisons in der ersten Mannschaft spielte, und beim EHC Olten versah er das Captainamt.
Als der EHCO nach zwei Saisons keine Verwendung mehr für ihn hatte, entschloss sich Hürlimann zum Rücktritt – und forcierte sogleich seine Schiedsrichterlaufbahn. Bereits zuvor hatte er einen ersten Schiedsrichterkurs und einen Regeltest absolviert – und gestaunt. «Da merkte ich: Jetzt bin ich schon zwölf Jahre lang Profi und kenne die Regeln dennoch schlecht.»
Der Schiedsrichter Hürlimann wünscht sich heute denn auch, der Spieler Hürlimann hätte früher das Regelbuch mal richtig durchgelesen. Er lacht. «Das hätte sicher nicht geschadet. Ich hätte einerseits mehr Verständnis gezeigt für die Entscheidungen des Schiedsrichters. Andererseits hätte ich bei besserer Beherrschung der Regeln das Regelwerk besser ausnutzen können, eher mal ein Schlupfloch finden können. Und das kann entscheidend sein, weil im Profisport Details den Unterschied machen.»
Im Schnellzug nach ganz oben
Nach seinen ersten beiden Einsätzen als Schiedsrichter in der 4. Liga sei er «nudelfertig» gewesen. Körperlich sei die Anforderung an die Spielleiter zwar viel geringer als jene an die Spieler, punkto Konzentration aber deutlich höher. Hürlimann fand sich in seiner neuen Rolle schnell zurecht. Nur dreieinhalb Jahre nach der Lancierung seiner Schiedsrichterkarriere leitete der Wahl-Hägendörfer im Dezember 2020 erste Spiele in der National League. Seither arbitriert er regelmässig als Headschiedsrichter in der höchsten Schweizer Liga. In der Swiss League, in der sein letztes Team Olten spielt, kam er hauptsächlich in der Saison 2020/21 zum Einsatz.
Als Ex-Spieler auf Topniveau profitierte er von einem beschleunigten Ausbildungsweg des Verbandes. Schlittschuhläuferisch, aber auch in Sachen Spielverständnis oder Umgang mit Druck habe man als langjähriger Eishockey-Profi Vorteile, findet er. Mit Kritik an seinen Leistungen müsse man umgehen können, zumal sie ja kaum je persönlich gemeint sei. «Es sind halt Emotionen im Spiel. Und darum geht es ja auch, so verkaufen wir unseren Sport.» Wichtig sei – auch das hat er bereits als Sportler gelernt – mit den Gedanken nicht lange beim Vergangenen zu verharren. Fehler könnten ohnehin nicht wiedergutgemacht werden, also müssten sie möglichst schnell vergessen und der Blick nach vorne gerichtet werden.
Komplimente vom Schiedsrichter
Als Referee, der bis vor fünf Jahren noch als Spieler auf dem Eis stand, kennt Hürlimann viele Spieler persönlich. Einen Einfluss auf seine Spielleitung hätten die Bekanntschaften nicht, sagt er. «Neben dem Eis oder beim Aufwärmen mal miteinander sprechen oder dumme Sprüche reissen, das gehört dazu. Aber auf dem Eis erledigen einfach alle ihre Arbeit.» Komplimente hingegen mache er immer wieder mal. «Wenn einer einen tollen Move macht, ein schönes Tor erzielt oder der Goalie eine Riesenparade zeigt, sage ich ihm das.» Denn seine Liebe zum Spiel sei ungebrochen. «Ich freue mich nach wie vor sehr auf jeden Match.»
Ganz besonders freut er sich nun auf die entscheidende Saisonphase, die Playoffs. «Man muss auf den Punkt X parat sein und liefern. Das ist die Challenge.» Vielleicht kommt er ja sogar schon heuer zu Einsätzen im Final. Letzte Saison stand er im Final der Swiss League zwischen Ajoie und Kloten auf dem Eis. «Das war eine Riesenehre. Das Stadion voll, die Spieler top, hochgehende Emotionen – einfach geil!»
Anders als noch als Spieler wird Stefan Hürlimann seinen Bart in den Playoffs nicht mehr spriessen lassen. Rasieren ist Pflicht. Schon nur ein Dreitagebart ist ein No-Go. «In der Playoffzeit gilt die Weisung, dass sich alle Schiedsrichter rasieren müssen.» Das Tragen von Bärten soll den Spielern vorbehalten sein. Hürlimann, normalerweise mit Dreitagebart unterwegs, kann es verschmerzen. Die Vorfreude auf die Playoffs lässt er sich jedenfalls bestimmt nicht vermiesen.