Asyl für 100 Wachsfiguren

Jürg Meyer Ab Samstag, 10. September stellt der Künstler im «Tattarletti» in Olten aus.

Der Künstler Jürg Meyer widmet sich mit seinen Figuren der Flüchtlingsthematik und hofft, Asyl für sie zu finden. (Bild: mim)
Der Künstler Jürg Meyer widmet sich mit seinen Figuren der Flüchtlingsthematik und hofft, Asyl für sie zu finden. (Bild: mim)

Mit einem Gasbrenner erwärmt Jürg Meyer Wachs und formt mit einem Spachtel die Figur mit geneigtem Kopf und klobigen Schuhen. Seit November 2015 arbeitet der in Mahren wohnhafte Künstler an seiner Installation. «In der Folge der Flüchtlingsströme und den täglichen Meldungen von «Hunderten, die mit den Booten die Inseln erreichen», habe ich mich gefragt, wie man sich die Zahl 100 vorstellen soll», erklärt der 66-Jährige. Aus diesem Grund hat der ehemalige Lehrer beschlossen, in seinem kleinen Atelier in Dulliken 100 Figuren aus Wachs, ohne Arme, als Zeichen, dass sie die Hände nicht zum Arbeiten gebrauchen dürfen, zu formen. Gleichzeitig versuchte er, alle möglichen Zeitungsberichte zu lesen und Sendungen zu hören, die in den letzten Monaten über Flüchtlinge veröffentlicht wurden. «Ich beschäftige mich nun seit geraumer Zeit mit der Thematik, die mich emotional stark fordert, doch trotzdem habe ich den Humor bei der ganzen Tragik nicht verloren», so Meyer.

Eigenständigkeit behalten

Seit 45 Jahren widmet sich Jürg Meyer der Kunst. Er hat seine Werke über die Jahre an unzähligen Einzel- und Gruppenausstellungen präsentiert und 2008 für die Ausstellung mit der Gruppe «Die 7 Zwäge» den Prix Wartenfels erhalten. Gemeinsam mit seinem langjährigen Freund und Künstlerkollegen Oliviero Gorza veranstaltet er regelmässig Ausstellungen in der Shedhalle in Schönenwerd. Durch ihn unternahm Meyer 1991 auch erste Versuche im Bronzegiessen. Bis dahin widmete er sich der Malerei. Sich jedoch einer Gruppe anzuschliessen und eventuell künstlerisch eingrenzen zu lassen war für den 66-Jährigen nie ein Thema. Er wollte unabhängig sein und hätte deshalb seine Tätigkeit als Lehrer nie aufgegeben, obwohl es einst nicht sein Wunschberuf war. «Ich wollte eigentlich Fotograf werden, doch mein Vater war dagegen und wählte für mich den Beruf als Lehrer», erzählt Meyer und fügt an: «Die Kunst entdeckte ich durch meinen damaligen Zeichnungslehrer Silvio Büttiker.»

Kindheit zwischen Mexiko, Waisenhaus und Olten

Als Jürg Meyer sieben Jahre alt war, wanderte seine Familie nach Mexiko aus, da der Vater die technische Leitung eines Fabrikaufbaus inne hatte. Meyer besuchte mit seinen Geschwistern zuerst eine mexikanische Schule und erhielt später Privatunterricht. Um den Anschluss für eine Ausbildung nicht zu verlieren, kehrte der 11-Jährige gemeinsam mit seinem Bruder nach vier Jahren zurück in die Region. Die Woche verbrachte er in einem Waisenhaus und die Wochenenden meist bei den Grosseltern. «Mein Vater wollte die Verwandtschaft nicht belasten», erklärt der Vater von drei erwachsenen Töchtern. Wie ihn diese Zeit in Mexiko und im Waisenhaus geprägt habe? «Selbstverständlich war es in diesem Alter ohne Mutter nicht nur einfach, ich hatte aber nie das Gefühl, dass mich die Zeit negativ beeinflusst hätte. Erst als ich vor einigen Jahren eine Reise nach Kuba unternommen habe, hat mich meine Vergangenheit in Mexiko eingeholt. Mein Vater, damals Direktor, machte Fotos von Land und Leuten, auch von einem mittellosen Mädchen am Strassenrand. Die Augen des Mädchens sind mir Jahre später in Kuba wiederbegegnet und erst da bemerkte ich, dass diese Augen immer wieder in meinen Zeichnungen vorgekommen sind.»

Ein Zuhause finden

Jürg Meyer hofft einerseits, mit seiner Installation im Tattarletti für seine hundert «Flüchtlinge», die zwischen 13 und 26 cm gross sind, ein neues Zuhause zu finden und andererseits, die Diskussion zwischen den beiden Meinungen, wie das Flüchtlingsthema zu handhaben ist, anzuregen. «Ich bin sehr gespannt, was die Ausstellung auslösen wird. Fremdes stösst meist auf Abneigung, aber es müssen nicht nur die Flüchtlinge lernen wie wir hier leben, auch wir müssen die Ankömmlinge kennenlernen», ist der Künstler überzeugt. Das Pro Kultur-Vorstandsmitglied hat sich seinerseits mit Salam Ahmed angefreundet, der in die Schweiz flüchtete und dank Unterstützung einen Atelierplatz im Tattarletti belegen konnte.

Erlös geht an Flüchtlingsprojekt

«Ich hoffe, möglichst viele Figuren verkaufen zu können, denn mit dem Erlös soll ein Flüchtlingsprojekt unterstützt werden. Alle Figuren, die übrig bleiben, werden in heissem Wasser eingeschmolzen», erklärt der Künstler. «Auch wenn einzelne Figuren verkauft werden, bleiben alle Hundert während der Ausstellungsdauer im Tattarletti», betont Meyer und fügt an: «Die Figuren, welche «Asyl» gefunden haben, werde ich nach der Ausstellung mit einem aufwendigen Wachsausschmelzverfahren gemeinsam mit Oliviero Gorza in Bronze giessen.» Neben den Figuren hat Meyer neun Bilder zum Flüchtlingsthema auf Bodenvlies gemalt, einige lebensgross, um Realität zu vermitteln. Jürg Meyer bezeichnet seine Kunst als persönliche Insel. Eine Möglichkeit, um belastende Themen zu verarbeiten. Vielleicht gelingt es ihm mit seiner Installation, zumindest im kleinen Rahmen, für einige wenige Flüchtlinge eine Insel zu schaffen.

«Kühlschrank Schweiz?»

Installation von Jürg Meyer

Vernissage: Samstag, 10. September, 17 Uhr

Tattarletti, Aarauerstrasse 55, Olten

Ausstellungsdauer: bis So, 25. September

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