Aktivismus auf Rädern
Critical Mass Olten Sie schwärmen mit ihren Fahrrädern auf die Oltner Strassen aus: Die Teilnehmenden des monatlichen Velo-Flashmobs setzen sich so für mehr Fahrradwege ein. Die nächste Velodemo findet diesen Freitag statt.
Die kühleren Temperaturen machen das Velofahren viel angenehmer», sagt Lukas Lütolf mit einem Lächeln im Gesicht. Er ist gerade von seinem Rad gestiegen und hängt seinen Helm um den Fahrradlenker. Der Drahtesel ist seine Leidenschaft durch und durch, bei jeder Gelegenheit saust er zweirädrig durch die Oltner Strassen. «Heute ist ein nahezu perfekter Tag, um aufs Rad zu steigen – wenn es nur nicht so nach Regen aussehen würde», fügt der 20-Jährige an, während er sich auf eine Bank neben der Vogelvoliere setzt. Hier im Vögeligärtli trifft er sich jeden letzten Freitag im Monat zusammen mit anderen Velo-Verrückten zu einem Velo-Flashmob – besser bekannt als «Critical Mass» oder im Volksmund auch unter dem Namen «Veloschwarm». Das Ziel der Aktion: die Stadt und andere Verkehrsteilnehmende mehr auf das Fahrrad aufmerksam machen.
Ins Leben gerufen – oder besser gesagt von anderen Städten in der ganzen Welt abgeguckt – wurde der Veloschwarm 2019 vom Verein Olten im Wandel. Lütolf wurde zum ersten Mal in Zürich darauf aufmerksam. Denn diese Velodemos gibt es in allen grösseren Städten der Schweiz und über den Globus verteilt. «Die grössten in der Schweiz, die mir bekannt sind, finden in Lausanne und Zürich statt. Da treffen sich monatlich über 1000 Menschen zum Veloschwarm», ergänzt er. In Olten sind es an warmen, sonnigen Tagen 50 bis 60 Leute.
Hinter diesem Flashmob, diesem zufälligen, plötzlichen Treffen von vielen Menschen auf einem Platz, steckt kein zentrales Organisationskomitee, das die Treffen organisiert. «Sonst wäre es ja kein Flashmob mehr», sagt der Co-Präsident der Jungen Grünen Olten mit einem Augenzwinkern. Und trotzdem ist Lütolf in einer Begleitgruppe dabei, die der Velodemo etwas unter die Arme greift. Das sei vor allem bei schlechten Wetterprognosen und im Winter nötig. «Wenn wir merken, dass der Veloschwarm aufgrund der niedrigen Temperaturen im Sand zu verlaufen droht, kurbeln wir in der Begleitgruppe die Werbung wieder etwas an, verteilen Flyer, machen Posts auf unseren Social-Media-Kanälen und betreiben Mund-zu-Mund Propaganda», erklärt der Politikwissenschafts- und Geografiestudent.
«Zusammen sind wir ein grosses Velo»
Es gibt auch Teilnehmende, die sich von nassen Tagen und kalten Temperaturen nicht beirren lassen. «Unter den Mitmachenden hat es sehr eingefleischte Velofahrerinnen und Velofahrer. Die sieht man dann an jeder Durchführung, selbst bei Minustemperaturen, Schnee- und Regenfällen», sagt Lütolf dazu. Die Mindestgrenze an Teilnehmenden liegt bei zehn Personen. Denn nach Schweizer Gesetz darf man ab zehn Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrern nebeneinander fahren und eine ganze Strassenspur gebrauchen. Lütolf erklärt vertiefter: «Von da an gilt man mit einer Gruppe als Fahrzeug.» Diese zehn Personen kämen nicht immer zustande, besonders im Winter. «Dann blasen wir den Veloschwarm für diesen Monat ab und freuen uns auf den nächsten», ergänzt der Cellist.
Je grösser die Gruppe an Teilnehmenden, desto mehr ist Rücksicht und Vorsicht gefragt. Es ist das Ziel, möglichst kompakt hinter- und nebeneinander zu fahren, um Lücken zu vermeiden und den Strassenverkehr nicht zu behindern. Bei einer grossen Gruppe sind heikle Situationen manchmal nicht zu verhindern. Und auch solche gab es bisher, wenn auch nur äusserst selten. «Um einen Kreisel zu fahren ist in einer Gruppe von 50 Personen tricky. Entsteht eine Lücke, können andere Fahrzeuge dazwischenfahren – beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Das kann schnell einmal gefährlich werden», führt Lütolf aus. Auch Pannen, wie beispielsweise einen Platten, habe es schon gegeben. Deshalb sei das Wichtigste, aufeinander Acht zu geben. Der leidenschaftliche Biker kommentiert: «Zusammen sind wir ein grosses Velo.»
Gehört und gesehen werden
Die Reaktionen auf die Velodemo seien unterschiedlich. Viele Leute fänden die Aktion amüsant und würden den Teilnehmenden beim Vorbeifahren zuwinken. Sehr selten käme es zu Ausrufen von anderen Verkehrsteilnehmen. «Wir verstehen es absolut, dass Leute, die gerade einen harten Arbeitstag hinter sich haben, nicht so Freude an einem Veloschwarm vor ihrer Nase haben», sagt Lütolf dazu. Wichtig sei in solchen Momenten Verständnis zu zeigen und den gegenseitigen Respekt zu wahren.
Es ist nicht nur das Ziel der Aktion, mit den Fahrrädern Präsenz zu zeigen. «Wir wollen, dass sich punkto Velos endlich etwas tut», sagt Lütolf dazu. Gehört wird die Aktion und das Bedürfnis nach mehr Velowegen in der Politik allemal. Denn die Stadt Olten hat ein neues Velokonzept angekündigt. Auch an Gemeinderatssitzungen oder im Austausch mit anderen Politikerinnen und Politikern merkt der 20-Jährige, dass der Velo-schwarm gehört und gesehen wird. «Das Thema ist in der Politik wieder etwas aktueller und beansprucht mehr Platz in der Agenda als vorher», beobachtet er.
Lütolf hofft, dass sich das in Zukunft noch etwas intensivieren wird. Denn wie er in Olten und anderen Städten beobachtet, sind velofreundlichere Strassen von links bis rechts, von jung bis alt, ein Bedürfnis. «Die Zielgruppe ist enorm breit. Auch hier in Olten nehmen jeden Monat die unterschiedlichsten Menschen an der Velodemo teil.» Das nächste Mal schwärmt die Gruppe diesen Freitag zur Velodemo aus.