Brutalismus im Sucher
Rachel Bühlmann Als Fotografin inszeniert Rachel Bühlmann Oltens Brutalismus-Ikonen wie das Stadthaus oder die Kanti. Als Künstlerin presst sie die grösste Schallplatte der Welt.
Rachel Bühlmanns Olten besteht aus Geraden in Grau: Oder wenigstens setzt die Fotografin und Künstlerin die Brutalismus-Bauten der Dreitannenstadt in der Bilderserie «Olten 2049» so in Szene. Der Film «Bladerunner 2049» war Inspiration zum Titel. Die Serie zeige die Stadt «getünkt in eine Cyberpunk-Ästhetik», schreibt Bühlmann auf ihrer Webseite. Die Lichtspiele, die sie auf den Bauten inszeniert, verleihen den Bildern eine Art Retro-Futurismus. Beliebte Sujets sind das Gebäude der Mobiliar-Versicherungen an der Baslerstrasse, das Stadthaus oder die Kantonsschule. «Eine Pilgerstätte für Brutalismus-Fans», nennt die 45-Jährige Letzteres denn auch. Den mehrjährigen Umbau begleitete sie fotografisch.
«Olten 2049» entstand vor einem Jahr. Da war Bühlmann neu in der Stadt und hatte eben ihre Wohnung an der Baslerstrasse bezogen. «Ich wollte sie wegen dem Ausblick», erklärt sie am Fenster ihres Wohnzimmers und deutet auf das Gebäude der Mobiliar auf der anderen Strassenseite. Es sei naheliegend, die Gebäude an ihrem Wohnort zu fotografieren. «Das ist meine Art, mich zurechtzufinden.» Ausserdem habe jedes Gebäude seine Jahres- und Tageszeit, um fotografiert zu werden. «Dazu muss ich die Gebäude kennen lernen und das braucht Zeit.» Das Stadthaus habe sie inzwischen wohl bei jedem erdenklichen Wetter fotografiert. Mehrere Bilder aus «Olten 2049» hat Bühlmann bereits verkaufen können.
Veranstalten im Hintergrund
Fotografieren sei ein Veranstalten im Hintergrund, «ein Selbstporträt, ohne selber im Bild zu sein.» Das gefiel Bühlmann schon, als sie sich zu einer Lehre als Fotofachangestellte bei Foto-Wicht in Aarau entschied. «Das waren drei grossartige Jahre», schwärmt Bühlmann. «Ich konnte den Schwerpunkt auf die Arbeit im Labor und im Fotostudio setzen.» Während sie im Studio vor allem Porträtbilder schoss, entwickelte sie im Labor manchmal auch Schadensbilder für Versicherungen. «Damals war ja alles noch analog.» Von der Pike auf also lernte sie dort, was sie heute per Photoshop macht.
Schon während der Lehre übernahm Bühlmann Aufträge als Fotografin, oft an Hochzeiten – wohl zu oft: «Ich habe schon damals nicht an die grosse Liebe geglaubt», erinnert sie sich. Aufträge für Hochzeitsfotos lehnt sie inzwischen ab.
Doch die Fotografie sollte nicht ihre einzige Ausdrucksform bleiben. Anfang Zwanzig studierte Bühlmann Medienkunst, ebenfalls in Aarau, und schloss mit Diplom ab. Danach organisierte sie Konzerte für experimentelle elektronische Musik im Kunstraum Aarau, den sie auch mit leitete. Und 2010 ging sie nach Berlin und absolvierte den Masterstudiengang für Sound Studies an der Universität der Künste in Berlin. Als Abschlussarbeit baute sie eine Kamera Obscura, die 360-Grad-Panoramabilder aufnehmen konnte. «Damit fand ich eigentlich den Weg zurück zur Fotografie», sinniert sie. Danach sei sie in Berlin hängen geblieben. «Das geht ja vielen so», hängt sie achselzuckend an.
Während gut sieben Jahren lebte Bühlmann in Berlin, zwischen Neukölln und Kreuzberg, und arbeitete als freischaffende Künstlerin und Fotografin. 2018 kehrte sie in die Schweiz zurück. «Ich bin wieder da und habe eine Kamera», fasst sie die damalige Situation zusammen.
Seither arbeitet Bühlmann vorrangig mit der Kamera, neben Aufträgen auch als Ausstellungsfotografin für das Kunsthaus Zofingen und das Kunstmuseum Olten. Dort war im letzten Sommer auch «What/do you see/me?» ausgestellt. Zusammen mit Sadhyo Niederberger und Lea Pelosi porträtierte Bühlmann dafür Menschen, die auf dem Weg in den Ausgang waren. Die Stadt Olten kaufte zwölf Bilder aus der Serie. «Das freut mich natürlich sehr», sagt die Künstlerin. Sie ist sich sicher: «Die Bilder werden als Zeitdokumente in Zukunft noch spannender, als sie es heute schon sind.»
Die grösste Schallplatte der Welt
Im Moment arbeitet Bühlmann allerdings an einem Projekt ohne Kamera: Zusammmen mit dem Solothurner Künstler Flo Kaufmann presst sie die grösste abspielbare Schallplatte der Welt. «Sie wird einen Durchmesser von 240 Zentimetern haben», erklärt Bühlmann. «Tomorrow never knows» ist das Vorhaben nach einem Song der Beatles getauft. Wenn die Platte erst mal mit einem eigens in dieser Grösse gebauten Schneidwerkzeug hergestellt ist, wird sie wieder eingeschmolzen. Mit den rund vierzig Kilogramm Wachs von der Platte will das Künstlerduo dann ein öffentliches Kerzenziehen zum Advent veranstalten. Dass das irritiert, ist gewollt: «Die Arbeit thematisiert die Frage, wie wir mit Dingen umgehen, in die wir Energie gesteckt haben», erklärt Bühlmann. Ausserdem werde das Werk mit seiner Zerstörung der weiteren Vermarktung entzogen – eine Kapitalismuskritik. Der Auftakt zu «Tomorrow never knows» findet am 12. November im Eck – Raum für Kunst in Aarau mit einem Konzert statt.